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01.02.2005 15:13

Auch Zweifel ist Sein (Universität Bamberg)

Dr. Monica Fröhlich Dezernat Kommunikation
Otto-Friedrich-Universität Bamberg

    Der Bamberger Philosoph Heinrich Beck führt in die Ontologie ein - eine Rezension von Siegfried Wollgast (Dresden)

    Für das Alltagsdenken erscheint "Wirklichkeit" ohne Verständnisprobleme. Bei ihrem Durchdenken mittels der Sinnwissenschaften - der Theologie wie Philosophie - stellt sich das anders dar. Die philosophische Disziplinen "Ontologie" und "Metaphysik" stellen grundlegend die Frage: "Was ist das, ein 'Seiendes'"? Sie ist überhaupt die grundlegendste und wichtigste Frage aller Fragen. Gleichzeitig geht es darum, "das Seiende (...) in seinem Grunde zu berühren und diesen mit auszusagen". Dies zu lösen ist eine theoretische Aufgabe, die mit praktischen Konsequenzen verbunden ist.

    Kreisende triadische Bewegung
    Beck gliedert seine Arbeit in 21 Vorlesungen, die einem Semesterangebot entsprachen. Der emeritierte Ordinarius für Philosophie an der Universität Bamberg, dessen internationale Bedeutung durch viele Ehren- und Titularprofessuren, durch zahlreiche Gastvorlesungen in verschiedenen Ländern Europas, Asiens, Afrikas, Nord- und Südamerikas, durch Mitgliedschaft in internationalen Wissenschaftsakademien belegt ist, will mit diesem Buch in das Thema philosophisch einführen, will dazu informieren, argumentieren und motivieren. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Argumentation. Spezielle Fachausdrücke und Schlüsselbegriffe werden im Text jeweils erläutert.

    Die Frage nach dem Sinn von Seiendem, nach dem, was ihm zugrunde liegt, ist historisch sehr unterschiedlich formuliert und immer wieder anders akzentuiert worden. Im 1. Kapitel (Vorlesungen 2-5) wird die theoretische und praktische Bedeutung von Metaphysik und Ontologie von Thales von Milet bis zur Gegenwart erörtert. Wenn Metaphysik mit der Neuzeit in eine schwere Krise geriet, so heißt das nach Beck nicht, dass wir heute in einem "nachmetaphysischen Zeitalter" leben; sondern die Metaphysik tritt vielmehr mit Beginn der Neuzeit aus ihrer klassischen Gestalt heraus, um im Durchgang durch die Probleme der technischen Kultur tiefer in ihr eigentliches Anliegen, die Frage nach dem Sinn des Seins, hineinzukommen. Es lasse sich "der 'absolute Seinsakt' als eine kreisende triadische Bewegung erahnen, die unbegrenzt aus sich heraus - und in sich hineingeht. In diese Bewegung erscheint der Hervorgang des relativen und begrenzten Seienden in gewisser Weise einbezogen".

    Auch Zweifel ist Sein!
    Das 2. Kapitel (Vorlesungen 6-10) erarbeitet den Begriff des Seienden. Auch Zweifel ist Sein! Die Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisskeptizismus ist hier vorrangig. Facit: "Der Begriff des Seienden kann nicht im strengen Sinne des Wortes 'definiert' werden." Er "ist nicht abgrenzbar, nicht definierbar, - aber dennoch bestimmbar". "Der Begriff des 'Nichts' (...) dient der Heraushebung des Seienden als solchen". Immer wieder greift Beck bei diesen Erörterungen auf aus Geschichte und Gegenwart bekannte Beispiele zurück.

    Im Kapitel 3 (Vorlesungen 11-15/1) wird "das Sein des Seienden" als "Akt" erfasst und seine Struktur entfaltet. Dabei ist zentral: "'Sein' ist die 'Kreisbewegung' 'aus sich heraus' und 'in sich hinein'" (S. 113). Auch hier ist verdienstlich, dass Beck stets auf das praktische Sein eingeht, die Wirklichkeit nicht als Abstraktum fasst! Bei der Selbstverwirklichung geht es stets um zwischenmenschliche Beziehungen! "Der Weg zu sich selbst führt bis zu einem gewissen Grad 'durch den Andern hindurch', d.h. 'aus sich selbst heraus' und 'zum Andern hin'". So gilt für die Selbstbegegnung: "Je weiter aus sich heraus, desto tiefer in sich hinein". Entschieden wendet sich Beck gegen den Egozentrismus: "Die Entwicklung und Selbstverwirklichung des Individuums wie auch die Sprach- und Kulturgeschichte der Gemeinschaft und Gesellschaft gehen Hand in Hand". Die Einheit von Mensch und Natur wird stark betont, was Beck bereits in seiner "Kulturphilosophie der Technik" (Trier 1979) dartat. Das Sein des Menschen, eingebettet in das organische Leben, wird "vom Akt-Rhythmus des materiellen Seins des Kosmos getragen", die Welt wird durchgängig "als ein Gefüge von analogen Abwandlungen des Akt-Rhythmus ihres Seinsaktes" gefasst. Ebenso wird die Frage einer grundlegenden Einheit, Wahrheit, Gutheit und Schönheit des Seienden behandelt. Wahrheit wird "als Entsprechung oder Übereinstimmung des Seins und seines Ausdrucks, genauer des Seins in sich selbst und in seiner Darstellung im geistigen Bewußtsein, von 'Realität' und 'Idee' (bzw. 'Idealität')" verstanden. Das Gute ist die Vollendung des Seins. Die "Leiderfahrung des Bösen" kann "zu einer größeren Bereitschaft für das Gute führen". Das Schöne kann als Weg zum Guten gelten (und umgekehrt). Beck zitiert hier auch Arbeiten seiner Schüler Arnulf Rieber und Erwin Schadel zustimmend, zugestehend, dass sie die Philosophie weiterentwickelt haben.

    Der absolute Zielgrund
    Ein 4. Kapitel (Vorlesung 15/2-17) sucht die inhaltliche "Fülle" des Seienden und seine kategorialen Abstufungen darzulegen. Beck sieht zu recht den Seinsbegriff zwischen Begrenzt- und Unbegrenztheit. Der Sinngehalt des Seins, der überhaupt alles umfasst, ist nicht durch sich selbst begrenzt! D.h. die von sich aus unendliche Fülle des Seins ist in jedem begrenzten Seienden nur begrenzt verwirklicht; keines schöpft sie völlig aus. Die Wesen drücken verschiedene begrenzte Weisen des Seins aus. Dabei gibt es Vollkommenheitsstufen des Seins. Der Begriff des Seienden umfasst alles nach Umfang und Inhalt. Jenseits des Seins ist nichts. Es gibt verschiedene Vollkommenheitsgrade des Seins; das Lebewesen zeigt eine größere Seinsfülle als die leblose Materie. Evolution wird als Entgrenzungsprozess gefasst, der Fortschritt von Stufe zu Stufe ist ein qualitativer Sprung. Hier wird gegen den dialektischen Materialismus argumentiert.

    Das 5. Kapitel (Vorlesungen 18-21) vertieft und vollendet die Untersuchung der "Dimensionen der Wirklichkeit" durch die Frage nach dem "absoluten Grund des Seins", wobei ein philosophischer Begriff von 'Gott' erarbeitet wird. Beck entfaltet drei Wege zum absoluten Grund. Dabei ist ihm die Welt ein offenes System, in dem jederzeit Neues hinzukommt. Die Welt als Evolutionsprozess, vornehmlich der Mensch, ziele auf das Unbegrenzte, das einen absolutem Zielgrund, Gott, voraussetzt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Atheismus in seinen verschiedenen Verständnisweisen. Schließlich behandelt Beck "das Wesen" des göttlichen Grundes. "Mit der Erkenntnis des Da-seins (das heißt: Überhaupt-seins) des absoluten Grundes ist eine anfängliche Erkenntnis seines grundlegenden So-seins (oder Wesens) schon mitgegeben". Beck untersucht 1. seine Überzeitlichkeit und Absolutheit; 2. seine unbegrenzte Fülle; 3. seine Personalität. Durch den gleichen Akt, durch den Gott ist, erkennt und liebt er. Nur er vermag im eigentlichen Sinne des Wortes zu "erschaffen". Erschaffung betrifft "nicht nur den zeitlichen Anfang, sondern auch den zeitlichen Fortgang des Seienden".

    Ist Gott der Ursprung des Bösen?
    Die lediglich 231 Seiten Text bergen fast unendlich viele Probleme und eine eindringliche Auseinandersetzung mit diesen. So etwa die Frage: "Will bzw. kann Gott ... das Übel und das Böse nicht verhindern, weil er selbst dessen Ursprung ist? Oder wie kommt das Übel in die Welt?" "Wären für uns Gründe denkbar, aus denen heraus es einer unendlichen Güte (nicht nur nicht widerspräche, sondern sogar) entspräche, die böse Handlung zuzulassen, in dem sie ihr die notwendige Daseinsgrundlage gibt?"

    Metaphysik fragt nach den ersten bzw. letzten Prinzipien allen Seins. Sie fragt nach dem Sinn von Sein und nach dem letzten Ziel des Weltprozesses. Dabei sucht sie das Absolute argumentativ anzudenken. Die Diskussionen um die Metaphysik-Probleme sind noch keineswegs abgeschlossen. Das zeigt nicht zuletzt dieses Werk von Heinrich Beck, das in einer klaren und transparenten Sprache in sie einführt und Wege zu ihrer Bearbeitung aufweist.

    Heinrich Beck: Dimensionen der Wirklichkeit. Argumente zur Ontologie und Metaphysik (Schriften zur Triadik und Ontodynamik. Hg. von Heinrich Beck und Erwin Schadel. Bd. 23), Frankfurt am Main (Peter Lang) 2004. 231 S., 42,50 Euro. ISBN 363152109X


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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