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07.02.2005 12:53

Stellungnahme - Obst und Gemüse: Schutz vor Krebserkrankungen?

Dr. Gunda Backes Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke

    Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam - Rehbrücke (DIfE) hat
    zur Thematik

    Obst und Gemüse: Schutz vor Krebserkrankungen?

    eine Stellungnahme verfasst, in der die aktuelle Datenlage für verschiedene
    Krebserkrankungen dargelegt und diskutiert wird. Damit möchten wir dazu
    beitragen, der öffentlichen Diskussion dieses Themas eine wissenschaftliche
    Grundlage zu geben.

    Sie finden diese Stellungnahme auch auf unserer website:
    http://www.dife.de/de/index.php?request=/de/presse/stellungnahmen.php

    Obst und Gemüse: Schutz vor Krebserkrankungen?
    Stellungnahme des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
    Seit Beginn der 90er Jahre wird mit der 5-am-Tag-Kampagne, einer der größten gesundheitsbezogenen Kampagnen der letzten Jahre, in den USA und in Europa das Ziel verfolgt, den Verzehr von Gemüse und Obst anzuheben - in Deutschland von derzeitig durchschnittlich 350 g/Tag auf 650 g/Tag. Ein wesentlicher Grund für diese Kampagne war die Annahme, dass sich ein großer Teil der Krebserkrankungen durch Änderungen der Ernährungsgewohnheiten verhindern ließe (Doll und Peto, 1981). Diese Annahme wurde durch Ländervergleiche, Fall-Kontroll-Studien und einige wenige Kohortenstudien gestützt. In den letzten Jahren sind die Daten mehrerer großer, prospektiv angelegter Kohortenstudien publiziert worden, so dass u.E. die Bewertung der vermuteten Assoziation von Obst- und Gemüse-Verzehr und Krebsrisiko nun auf einer breiteren Datenbasis erfolgen kann.
    Die Auswertung der beiden amerikanischen Kohorten Nurses Health Study und Health Professional Study (insgesamt 109,000 Teilnehmer, 2500 Krebsfälle) zeigte keinen Einfluss des Obst- und Gemüseverzehrs auf das gesamte Krebsrisiko und nur eine geringe (und nicht signifikante) Absenkung des Erkrankungsrisikos für chronische Erkrankungen (5%) insgesamt (Hung et al., 2004). Dieses Ergebnis schließt jedoch nicht aus, dass es für einzelne Krebsarten und in anderen Populationen signifikante Assoziationen gibt. Deshalb sollten zur Beurteilung der Datenlage alle prospektiv angelegten Untersuchungen, die nach Krebsart differenzieren, insbesondere auch die wichtigsten europäischen Studien, herangezogen werden (siehe Tabelle).
    Die Daten der prospektiven Kohortenstudien zeigen übereinstimmend, dass zwischen dem Verzehr von Obst und Gemüse und dem Risiko einer Brustkrebserkrankung keine Assoziation besteht (Smith-Warner et al., 2001; van Gils et al., 2005). Sie zeigen aber ein signifikant erniedrigtes Lungenkrebs-Risiko in der Quintile (Fünftel) der Studienteilnehmern mit dem höchsten Obstverzehr (Voorrips et al., 2000; Smith-Warner et al., 2003; Miller et al., 2004). Diese Assoziation ist ein Hinweis auf eine schützende Wirkung des Obstverzehrs, kann diese jedoch nicht zweifelsfrei beweisen. Es muss zudem hervorgehoben werden, dass die Daten für den geringeren Obstverzehr von Rauchern korrigiert werden mussten; einige Autoren schließen deshalb nicht aus, dass die Assoziation durch einen Rest-Effekt des sog. Confounders Rauchen zustande gekommen ist (Smith-Warner et al., 2003).
    Die Daten zur Rolle des Obst- und Gemüseverzehrs in der Entstehung des Colon/Rectum-Carcinom sind bislang inkonsistent, zeigen geringe Effekte und z.T. nur in Subgruppen der Studienpopulationen (s. Tabelle). Allerdings ist die Rolle der Ernährung für die Entstehung dieser Krebsform am besten belegt: So hatte die EPIC-Studie gezeigt, dass ein hoher Ballaststoffgehalt der Ernährung mit einem erniedrigten Dickdarmkrebs-Risiko assoziiert ist (Bingham et al., 2003).
    Nach der jetzigen Datenlage ist also das vermutete Krebs-präventive Potenzial von Obst und Gemüse geringer als bislang angenommen und auf wenige Krebsarten beschränkt. Ob sich diese Beurteilung nach sehr langen Beobachtungszeiten ändern kann, werden die weiteren Auswertungen der noch laufenden EPIC-Studie sowie anderer großer Kohortenstudien klären.
    Die 5-am-Tag-Kampagne hat ihre Begründung auch in der Beobachtung, dass Herz-Kreislauferkrankungen in Bevölkerungsgruppen, die viel Gemüse und Obst verzehren, vermindert auftreten (WHO, 2003). Dieser Effekt wurde in der US-amerikanischen Studie (Hung et al., 2004) bestätigt: eine Erhöhung des Obst- und Gemüseverzehrs von durchschnittlich 2,6 auf 9,4 Portionen pro Tag senkte das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen pro Gemüse- und Obstportion um 12%. Die Beweislage für einen protektiven Effekt eines hohen Gemüse- und Obstverzehrs ist also für Herz- Kreislauferkrankungen erheblich besser als für Krebserkrankungen, wie zudem schon 2003 von einem Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation festgestellt wurde (WHO 2003). Deshalb kann u.E. an der allgemeinen Empfehlung, den Obst- und Gemüseverzehr in Deutschland auf die in Spanien und Griechenland verzehrte Menge (650g) anzuheben, festgehalten werden.

    Prof. Dr. Dr. H.-G. Joost
    Wissenschaftlicher Direktor
    Deutsches Institut für Ernährungsforschung
    Potsdam-Rehbrücke
    Arthur-Scheunert-Allee 114-116
    14558 Nuthetal

    Literatur:
    Bingham SA, Day NE, Luben R, et al. Dietary fibre in food and protection against colorectal cancer in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC): an observational study. Lancet 361:1496-501 (2003)
    Botterweck AA, van den Brandt PA, Goldbohm RA. A prospective cohort study on vegetable and fruit consumption and stomach cancer risk in The Netherlands. Am J Epidemiol 148:842-53 (1998)
    Doll R, Peto R. The causes of cancer: quantitative estimates of avoidable risks of cancer in the United States today. J Natl Cancer Inst 66:1191-308 (1981)
    Giovannucci E, Rimm EB, Liu Y, Stampfer MJ, Willett WC. A prospective study of cruciferous vegetables and prostate cancer. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 12:1403-9 (2003).
    Hung HC, Joshipura KJ, Jiang R, et al. Fruit and vegetable intake and risk of major chronic disease. J Natl Cancer Inst 96:1577-84 (2004).
    Key TJ, Allen N, Appleby P, et al. Fruits and vegetables and prostate cancer: no association among 1104 cases in a prospective study of 130544 men in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC). Int J Cancer 109:119-24 (2004).
    Michaud DS, Pietinen P, Taylor PR, Virtanen M, Virtamo J, Albanes D. Intakes of fruits and vegetables, carotenoids and vitamins A, E, C in relation to the risk of bladder cancer in the ATBC cohort study. Br J Cancer 87:960-5 (2002).
    Miller AB, Altenburg HP, Bueno-De-Mesquita B, et al. Fruits and vegetables and lung cancer: Findings from the European prospective investigation into cancer and nutrition. Int J Cancer 108:269-276 (2004).
    Pietinen P, Malila N, Virtanen M, et al. Diet and risk of colorectal cancer in a cohort of Finnish men. Cancer Causes Control 10:387-96 (1999).
    Smith-Warner SA, Spiegelman D, Yaun SS, Adami HO, Beeson WL, van den Brandt PA, et al., Intake of fruits and vegetables and risk of breast cancer: a pooled analysis of cohort studies. JAMA 285:769-76 (2001).
    Smith-Warner SA, Spiegelman D, Yaun SS, Albanes D, Beeson WL, van den Brandt PA, et al.: Fruits, vegetables and lung cancer: a pooled analysis of cohort studies. Int J Cancer Dec 107:1001-11 (2003).
    Terry P, Giovannucci E, Michels KB, et al. Fruit, vegetables, dietary fiber, and risk of colorectal cancer. J Natl Cancer Inst 93:525-33 (2001).
    van Gils C et al. Consumption of vegetables and fruits and risk of breast cancer. JAMA 293:183-193 (2005).
    Voorrips LE, Goldbohm RA, Verhoeven DT, et al. Vegetable and fruit consumption and lung cancer risk in the Netherlands Cohort Study on diet and cancer. Cancer Causes Control 11:101-15 (2000a).
    Voorrips LE, Goldbohm RA, van Poppel G, Sturmans F, Hermus RJ, van den Brandt PA. Vegetable and fruit consumption and risks of colon and rectal cancer in a prospective cohort study: The Netherlands Cohort Study on Diet and Cancer. Am J Epidemiol 152:1081-92 (2000).
    WHO. Diet, nutrition and the prevention of chronic diseases. Technical Report Series 2003.
    Zeegers MP, Goldbohm RA, van den Brandt PA. Consumption of vegetables and fruits and urothelial cancer incidence: a prospective study. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 10:1121-8 (2001).

    Hintergrundinformationen
    EPIC-Studie (European Investigation into Cancer and Nutrition)-Studie: eine prospektive, 1992 begonnene Studie, die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs und anderen chronischen Erkrankungen aufdeckt. 23 administrative Zentren in zehn europäischen Ländern mit 519.000 Studienteilnehmern sind an der Studie beteiligt. Die EPIC-Studie wird von Dr. Elio Riboli (International Agency on Research of Cancer, Lyon, Frankreich) koordiniert. Die Potsdamer EPIC-Studie wird von Prof. Dr. Heiner Boeing, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) geleitet.

    Nurses Health Study (NHS)
    Die NHS ist eine prospektive Kohortenstudie mit 121.700 Teilnehmerinnen im Alter zwischen 30 und 55 Jahren. Datengrundlage sind 9.329 chronische Erkrankungen bei 71.910 Frauen während einer Beobachtungszeit von 14 Jahren.

    Health Professional Follow-up Study (HPFS)
    Die HPFS ist eine prospektive Kohortenstudie mit 51.529 Teilnehmern im Alter zwischen 40 und 75 Jahren. Datengrundlage waren 4.957 chronische Ereignisse bei 38.2107 Männern während einer Beobachtungszeit von 12 Jahren.

    In Fall- Kontrollstudien wird der Gemüse- und Obstkonsum bei Erkrankten und Nicht-Erkrankten vor der Erkrankung verglichen und daraus das relative Risiko für Erkrankungen abgeleitet;

    In Kohortenstudien wird dagegen zunächst die Aufnahme von Obst und Gemüse erfasst und danach mit dem Erkrankungsrisiko innerhalb einer längeren Beobachtungszeit assoziiert.

    Prospektive Studien
    Prospektive (Längsschnitt-)Studien beginnen mit einer Stichprobe aus der Bevölkerung, erfassen Risikofaktoren und beobachten danach langfristig die in dieser Gruppe auftretenden Krankheiten. Dadurch können Aussagen über den Einfluss von Faktoren und deren Präventionspotential auf das Krankheitsrisiko getroffen werden.
    Die Tabelle "Ergebnisse prospektiver Kohortenstudien (> 25.000 Teilnehmer) zum Zusammenhang zwischen Obst- und Gemüseverzehr und häufigen Krebsarten" finden Sie als angehängte jpg-Datei.

    Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Zur Leibniz-Gemeinschaft
    gehören 84 außeruniversitäre Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen
    für die Forschung. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den
    Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial-
    und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften.
    Leibniz-Institute arbeiten interdisziplinär und verbinden
    Grundlagenforschung mit Anwendungsnähe. Sie sind der wissenschaftlichen
    Exzellenz verpflichtet und pflegen intensive Kooperationen mit Hochschulen,
    Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Das externe
    Begutachtungsverfahren der Leibniz-Gemeinschaft setzt Maßstäbe. Jedes
    Leibniz-Institut hat eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung. Bund und
    Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Die
    Leibniz-Institute beschäftigen rund 12.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
    und haben einen Gesamtetat von 950 Millionen Euro. Näheres unter
    http://www.leibniz-gemeinschaft.de.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     


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