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S P E R R F R I S T: Montag, 14. März 2005, 18.00 Uhr
Für die Entschlüsselung der molekularen Grundlagen des Hodgkin-Lymphoms, einem bei Kindern und Erwachsenen häufigen Lymphdrüsenkrebs, haben Prof. Claus Scheidereit vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und Prof. Bernd Dörken (Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Berlin-Buch, Campus Virchow sowie MDC) den Deutschen Krebspreis 2005 erhalten. Die Auszeichnung wurde ihnen auf dem Kongress der Deutschen Krebsgesellschaft am 14. März 2005 in Würzburg überreicht. Der Grundlagenforscher und der Kliniker haben in "ihren exzellenten, teilweise in enger Kooperation entstandenen Arbeiten, entscheidend zum Verständnis der molekularen Ursachen des Hodgkin-Lymphoms beigetragen, und damit die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze ermöglicht", heißt es in der Begründung. Der Deutsche Krebspreis geht damit zum zweiten Mal an Forscher und Kliniker vom MDC und der Charité. 1999 hatten Prof. Walter Birchmeier (MDC) und Prof. Peter M. Schlag (Charité - Campus Berlin-Buch und MDC) diese Auszeichnung erhalten. Das MDC, eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft, arbeitet seit seiner Gründung 1992 eng mit Klinikern der Charité zusammen. Ein Schwerpunkt dabei ist die Krebsforschung.
Die Hodgkin`sche Erkrankung zählt zu den Lymphomen. Sie geht mit der Schwellung der Lymphknoten einher, die Teil des Immunsystems sind. Weitere Symptome sind Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust. Benannt ist die Erkrankung nach dem britischen Pathologen Thomas Hodgkin (1798-1866), der sie 1832 zuerst beschrieben hatte. Charakteristisch sind einkernige Hodgkin-Zellen und riesige, mit mehreren Kernen auftretende Reed-Sternberg-Zellen in den Lymphknoten. Die Ursachen für die bösartige Veränderung der weißen Blutzellen bei dieser Erkrankung sind unbekannt. Bis vor wenigen Jahren war auch unklar, welche molekularen Mechanismen zu der Entstehung dieses Lymphdrüsenkrebses beitragen.
1996 jedoch entdeckten Prof. Scheidereit und Prof. Dörken in den Kernen der Hodgkin/Reed-Sternberg-Zellen von Hodgkin-Patienten den Genschalter NF-kappaB. Es zeigte sich, dass dieser Genregulator das bösartige Zellwachstum beim Hodgkin-Lymphom auslöst. NF-kappaB gehört zu einer Gruppe von Genregulatoren, die etwa bei Virusinfektionen oder Entzündungsprozessen, Signale übermitteln. Diese NF-kappaB-Faktoren liegen normalerweise im Zellinnern (Zytoplasma) in Wartestellung, festgehalten von so genannten Inhibitor-Proteinen (IkappaB). Botenstoffe des Immunsystems, so genannte Zytokine, können NF-kappaB-Faktoren aktivieren und sie für kurze Zeit in die Schaltzentrale der Zelle, den Zellkern, schicken, wenn Gefahr durch Viren oder bakterielle Infektion droht. Dort schalten NF-kappaB-Faktoren bestimmte Gene an, deren Produkte wiederum Immunzellen in Abwehrstellung bringen. Nach getaner Arbeit verlassen die NF-kappaB-Moleküle den Zellkern und wandern zurück in das Zytoplasma.
In den bösartig veränderten Zellen des Hodgkin-Lymphoms hingegen befindet sich NF-kappaB ständig im Zellkern. Der Grund dafür ist, wie die Forscher herausfanden, dass bestimmte, permanent aktivierte Enzyme (so genannte IKKs), die Inhibitorproteine ausschalten, die NF-kappaB normalerweise im Zellplasma festhalten. Sie konnten zudem zeigen, dass bei einem Teil der Patienten die Inhibitoren durch Mutationen defekt sind. Es zeigte sich, dass alle untersuchten Reed-Sternberg-Zellen, bei denen NF-kappaB in hohen Konzentrationen in den Zellkernen nachgewiesen werden konnte, sowohl im Reagenzglas als auch im Tierversuch ungehemmt wachsen. Diese Zellen sind nicht mehr in der Lage, das zelluläre Schutzprogramm auszulösen, welches normalerweise bei fehlgeschalteten Zellen zum programmierten Zelltod führt. Es gelang den Forschern, das bösartige Wachstum der Reed-Sternberg-Zellen zu stoppen, indem sie NF-kappaB mit einem künstlichen Inhibitor-Protein, das nicht von IKK inaktiviert werden kann, aus dem Zellkern in das Zellplasma schleusten. Der Genschalter ist damit quasi an die Kette gelegt und kann das Zellplasma nicht mehr verlassen. In neueren Arbeiten konnten Prof. Scheidereit und Prof. Dörken mit Hilfe der DNA-Chip-Technologie weitere Faktoren, die mit NF-kappaB wechselwirken, identifizieren und ihre Funktion aufklären. Damit haben sie einen weiteren Beitrag zur Entschlüsselung des komplexen Signalnetzwerks des Hodgkin-Lymphoms geleistet.
Neue therapeutische Ansätze
Bisher wird das Hodgkin-Lymphom mit Strahlen- und Chemotherapie behandelt. Die Forschungsarbeiten von Prof. Scheidereit und Prof. Dörken haben jetzt die Grundlage für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze geliefert. In präklinischen Studien werden derzeit verschiedene Substanzen auf ihre Fähigkeit getestet, die IKK-Aktivität direkt oder indirekt zu blockieren. Ob sich daraus allein eine neue und wirksamere Therapie entwickelt, oder ob diese Ansätze die Chemo- und Strahlentherapie ergänzen und verbessern können, wird die Zukunft zeigen.
Prof. Scheidereit, 1954 in Schleswig geboren, wurde 1995 vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Genetik (Berlin) an das MDC als Forschungsgruppenleiter berufen und ist außerplanmäßiger Professor an der Freien Universität (FU) Berlin. Der Chemiker studierte an der Universität Marburg und war dort nach seiner Promotion wissenschaftlicher Assistent. Er verbrachte dann drei Jahre als Postdoktorand an der Rockefeller Universität in New York, USA. 1988 erhielt er eine eigene Forschungsgruppe am MPI und habilitierte sich 1992 im Fach Biochemie an der FU.
Prof. Bernd Dörken, 1947 in Siegen geboren, ist Onkologe, Hämatologe und Tumorimmunologe. Er studierte in Erlangen und Nürnberg Medizin und war viele Jahre an der Universität Heidelberg tätig. 1992 nahm er einen Ruf auf eine C4-Professur an die Charité in der Rössle-Klinik in Berlin-Buch an und wurde dort ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie. Seit 2001 ist er auch ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie auf dem Campus Virchow Klinikum der Charité. Mit seiner Berufung nach Berlin-Buch wurde Prof. Dörken 1992 zugleich Forschungsgruppenleiter an dem damals neugegründeten MDC.
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http://www.helmholtz.de/de/Publikationen/Jahresheft_2005.html (MDC-Beitrag zu NF-kappaB)
http://www.ngfn.de
Prof. Claus Scheidereit (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, MDC, Berlin-Buch
privat
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Prof. Bernd Dörken (Charité Universitätsmedizin Berlin und MDC)
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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