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Wissenschaft
Institut Arbeit und Technik untersuchte Flexibilität und Funktionsweise der Arbeitsmärkte in Ost und West
Auch mehr als 15 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der deutsche Arbeitsmarkt gespalten. Das zeigt sich nicht nur an den nach wie vor deutlich unterschiedlichen Arbeitslosenquoten in Ost und West. Gleichzeitig funktionieren die Arbeitsmärkte auch vollkommen anders. So offenbart der ostdeutsche Arbeitsmarkt seit Mitte der 90er Jahre weiterhin erhebliche Anpassungsprobleme. Dagegen funktioniert der Arbeitsmarkt im Westen besser als sein Ruf. So hat die Bedeutung arbeitgeberseitiger Entlassungen entgegen allen Vorstellungen von massivem Stellenabbau seit den 1980er Jahren nicht kontinuierlich zugenommen. Das zeigen Untersuchungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT/ Gelsenkirchen) zur Entwicklung von Kündigungen und Entlassungen in Ost und West. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in zwei soeben online erschienenen IAT-Reports http://iat-info.iatge.de/iat-report/index.html .
Im Westen werden jährlich - im Konjunkturverlauf unterschiedlich - zwischen 1,3 und 4,5 Prozent der Beschäftigten durch den Arbeitgeber gekündigt. Die Eigenkündigungen liegen dagegen mit 3,5 bis 6,1 Prozent auf wesentlich höherem Niveau. "Sogar in Krisenzeiten und erst recht im Aufschwung haben im Westen mehr Menschen selbst gekündigt, als entlassen wurden", so Dr. Marcel Erlinghagen, der federführend für die westdeutschen Analysen ist und gemeinsam mit seinem IAT-Kollegen Dr. Martin Brussig den ostdeutschen Arbeitsmarkt untersucht hat. In den Neuen Bundesländern gingen die Austrittsraten nach den einigungsbedingten Anfangsturbulenzen zwar etwas zurück, blieben aber im Vergleich zu Westdeutschland insgesamt auf höherem Niveau. Allerdings liegt die Eigenkündigungsrate im Osten seit Mitte der neunziger Jahre dauerhaft unter dem westdeutschen Niveau. Die IAT-Forscher schließen daraus, dass in den neuen Bundesländern nicht nur die Arbeitslosen schlechte (Wieder)Beschäftigungschancen haben, sondern auch die Beschäftigten weniger Möglichkeiten haben, sich nach eigenem Wunsch beruflich zu verändern. Stattdessen dominieren im Osten Entlassungen und auslaufende Fristverträge. Hinter dem Ende von Befristungen stehen in Ostdeutschland oft öffentlich geförderte Arbeitsbeschaffungs und Strukturanpassungsmaßnahmen, die grundsätzlich befristet sind, sowie Übergänge in Vorruhestand und Rente.
Skeptisch sind Erlinghagen und Brussig gegenüber der einfachen These, dass eine (weitere) Deregulierung des ostdeutschen Arbeitsmarktes dessen Anpassungsfähigkeit entscheidend verbessern könnte. Denn trotz mittlerweile weit verbreiteter Tariföffnungsklauseln, fehlender Tarifbindung und der - aufgrund der kleinbetrieblichen Struktur in den neuen Bundesländern - weniger wirksamen Kündigungsschutzbestimmungen weist der ostdeutsche Arbeitsmarkt auch nach Abschluss der ersten Transformationsphase deutliche Funktionsmängel auf. "Wer mehr Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt will, muss erklären, warum sie in Ostdeutschland nicht geholfen hat", sagt Dr. Martin Brussig, Ko-Autor der Analyse zum ostdeutschen Arbeitsmarkt.
Demgegenüber zeigt der wesentlich stärker regulierte westdeutsche Arbeitsmarkt, der in den vergangenen 15 Jahren auch einen beachtlichen Nettozuwachs an Arbeitsplätzen verzeichnen konnte, deutliche Konjunkturreagibilität. Die Fähigkeit der westdeutschen Betriebe, (auch) durch vermehrte Entlassungen auf wirtschaftliche Krisenzeiten zu reagieren, wird durch den Kündigungsschutz wenig gehindert. Die Betriebe begegnen heute den gewachsenen Flexibilitätsanforderungen offenbar öfter mit betriebsinternen Flexibilisierungen, z.B. durch flexible Arbeitszeiten, anstelle einer verstärkten "Hire-and-fire"-Politik.
Wie die Untersuchungen zu Westdeutschland zeigen, haben - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - weder die Beschäftigungsstabilität noch die Beschäftigungssicherheit generell abgenommen. Obwohl sich ein langfristiger Destabilisierungs- und Unsicherheitstrend der Arbeitsverhältnisse statistisch nicht nachweisen lässt, erkaufen sich Belegschaften "Sicherheit" durch Zugeständnisse bei Arbeitszeitverlängerungen und Löhnen. Welche langfristigen Folgen ein dauerhaftes Bedrohungsgefühl bei gleichzeitig mehr Arbeitsbelastung für Gesundheit und gesamtwirtschaftliche Produktivität haben wird, ist noch weitgehend offen, warnen die IAT-Wissenschaftler. "Die langfristigen Folgen einer solchen, an kurzfristigen Interessen ausgerichteten Arbeitspolitik könnten allerdings fatal sein, wenn nicht gleichzeitig ein verantwortungsbewusster Umgang mit der Ressource "Arbeitskraft" erfolgt. Denn gerade für die Leistungsfähigkeit einer alternden Gesellschaft wird ein nachhaltiger Umgang mit Humankapitalressourcen von besonderer, wachsender Bedeutung sein."
Für weitere Fragen stehen
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Dr. Martin Brussig
Durchwahl: 0209/1707-132
Dr. Marcel Erlinghagen
Durchwahl: 0209/1707-342
Pressereferentin
Claudia Braczko
Munscheidstraße 14
45886 Gelsenkirchen
Tel.: +49-209/1707-176
Fax: +49-209/1707-110
E-Mail: braczko@iatge.de
info@iatge.de
WWW: http://www.iatge.de
http://iat-info.iatge.de/iat-report/index.html
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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