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04.05.1999 09:29

Abschied nehmen von der Vergötzung der Arbeit

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    3. Thüringentag für Philosophie zu "Arbeit und Lebenssinn"

    Jena. (04.05.99) Dem Thema "Arbeit und Lebenssinn" ist der dritte "Thüringentag für Philosophie" am kommenden Wochenende, dem 7. und 8. Mai, an der Friedrich-Schiller-Universität gewidmet. "Angesichts vier Millionen Arbeitsloser in Deutschland und des althergebrachten politischen Primats der Vollbeschäftigung ist es sicher ein lohnenswertes und sinnreiches Unterfangen, sich interdisziplinär und grundsätzlich mit diesem Thema zu befassen", erläutert der Jenaer Philosophie-Professor Klaus-Michael Kodalle als Organisator der Veranstaltung.

    Referenten werden u. a. der renommierte Karlsruher Philosoph und Soziologe Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Hans Lenk, der Wittener Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Birger P. Priddat, der Münchner Soziologe Prof. Dr. Gerd Mutz und der Erlanger Theologe PD Dr. Bernd Wannenwetsch sein. Der Eintritt zu der Veranstaltung, die von der Thüringer Gesellschaft für Philosophie und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien ausgerichtet wird, ist an beiden Tagen frei. Gäste sind herzlich willkommen.

    "In der Antike und noch im Mittelalter wurde Arbeit keineswegs als sinnstiftend, sondern eher als notwendiges Übel betrachtet. Das Mittel zur Selbstverwirklichung hieß Müßiggang", faßt Klaus-Michael Kodalle den vorgesehenen kulturphilosophischen Rückblick auf den Wandel der Zeiten zusammen. "Erst im 19. Jahrhundert prägt sich im europäischen Bewußtsein eine regelrechte ,Vergötzung der Arbeit' ein."

    Die materialistische Philosophiebewegung, die neu entstehende Soziologie, aber auch die Theologie - "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" - begleiteten diese Entwicklung mit theoretischen Diskursen. Seitdem mißt sich für die meisten Menschen der Wert des Individuums an seiner Arbeitsleistung; wer nichts arbeitet, gilt als gesellschaftlicher Parasit - und fühlt sich auch selbst überflüssig und nichtsnutzig. "Unser heutiges Verständnis von Arbeit ist also noch sehr jung", meint Prof. Kodalle, "nun wird es radikal in Frage gestellt, da immer leistungsfähigere Maschinen uns zunehmend vom Joch der Arbeit befreien."

    Nach der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert und einer digitalen in unseren Tagen wünscht sich Kodalle nun auch eine baldige mentale Revolution: "Viele Menschen müssen lernen, ihre zunehmende Freizeit wieder kreativ zu gestalten und sich nicht auf die Anerkennung in der bezahlten Erwerbsarbeit zu fixieren."

    Langeweile und Überdruß sieht der Philosoph nur als eine vorübergehende Erscheinung, das Sinnvakuum, das aus einer lethargischen Konsumentenhaltung - etwa vor dem Fernseher - resultiere, könne aktiv überwunden werden. Konzepte dafür will er mit seinen Gästen beraten: etwa die Idee einer Bürgergesellschaft, in der gemeinnütziges karitatives oder soziales Engagement hoch angesehen werde. Auch sei es nicht abwegig, eine größere Bedeutung des Ästhetischen im Leben zu erwarten; schließlich habe gerade der Begriff ,Lebenskunst' eine gewisse Konjunktur. Dazu wäre allerdings in den Schulen eine verstärkte ästhetische Erziehung unerläßlich. Außerdem sieht Kodalle "Chancen für die Entwicklung einer stärkeren Bereitschaft zum politischen Engagement", insbesondere auf kommunaler Ebene.

    Verdrießlichkeit und Verzweiflung angesichts mangelnder bezahlter Beschäftigung seien also nicht ausweglos, wenngleich natürlich die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen für eine solche mentale Revolution zunächst geklärt werden müßten. "Aber als erstes müssen wir kulturelle Einstellungen entwickeln, in denen wir uns von der lähmenden Vergötzung der Arbeit lösen", meint Prof. Kodalle. "Die Veranstaltung am Freitag und Samstag ist ein kleiner Beitrag dazu."

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Klaus-Michael Kodalle
    Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität
    Tel.: 03641/944120 oder 944121, Fax: 944122
    e-mail: x8kokl@dagobert.rz.uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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