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06.06.2005 09:56

Europa-Premiere: Google für 3.000 Jahre alte chinesische Inschriften

Frank Luerweg Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Vor über 3.000 Jahren ist die chinesische Schrift entstanden; die ältesten erhaltenen Texte stammen aus dem 13. Jahrhundert vor Christus. Seit dieser Zeit hat sich nicht nur die Schreibweise der meisten Begriffe radikal verändert; auch die Zeichen selbst ähneln heute kaum noch ihren Vorfahren. Die Sinologen der Universität Bonn können diese Evolution nun mit neu entwickelten Datenbanken nachvollziehen: Wissenschaftler der Universität Shanghai haben ihren Bonner Kollegen kürzlich mehr als 20 CD-ROMs geschenkt, die unter anderem die Bronzeinschriften der Zhou-Zeit (11. bis 3. Jahrhundert vor Christus) enthalten - eine Europa-Premiere. Erstmals ist damit eine Volltext-Recherche in den ältesten überlieferten Texten Chinas möglich.

    "Schône sanc diu nahtegal", dichtete vor 800 Jahren Walther von der Vogelweide; heute hätte er wohl "schön sang die Nachtigall" geschrieben. Sprache verändert sich permanent. Wörter werden anders buchstabiert, Zeichen anders geschrieben, Begriffe ändern ihre Bedeutung: "Geil" hieß im 12. Jahrhundert noch "lustig" oder "schön", vom 16. bis ins späte 20. Jahrhundert dann "sexuell erregt" und heute wieder "schön" oder "toll". Nicht anders war es im Chinesischen: Auch dort haben sich über die Jahrtausende Schreibweisen, Zeichenformen und Bedeutungen radikal geändert.

    Um beispielsweise nachzuvollziehen, welche Rolle der Alkohol im alten China spielte, mussten Sinologen daher bislang nicht nur jede Menge Literatur wälzen, sondern dabei auch noch genau aufpassen: Schließlich hat die Schreibung des Wortes über die Jahrhunderte eine deutliche Wandlung vollzogen. "Heute bestehen die meisten Zeichen aus zwei Teilen", erklärt der Bonner Chinakundler Christian Schwermann, "dem so genannten 'Radikal' oder Bedeutungsträger und einem Lautungsträger, der die Aussprache beschreibt." So steht eine Komponente im Zeichen für das Wort jiu ("Alkohol") für die Bedeutung "Wasser" - wie Wasser ist Alkohol flüssig. Der Rest reflektiert die ursprüngliche Schreibung des Wortes, steht aber auch für seine Aussprache. "In den Inschriften wird das Alkohol-Zeichen zumeist noch ohne Wasser-Radikal geschrieben", sagt Schwermann. "Erst Jahrhunderte später, in der frühen Kaiserzeit, fügte man das Radikal regelhaft hinzu, um das Wort von gleich geschriebenen Begriffen mit anderer Bedeutung zu unterscheiden."

    In der neuen Datenbank kann man auf Knopfdruck in sämtlichen gespeicherten Texten nach dem Wort jiu = "Alkohol" suchen - im Prinzip ähnlich wie bei "Google". Anders als "Google" sucht die Datenbank aber nach sämtlichen bekannten Schreibweisen des eingegebenen Wortes. Ob mit Wasser-Radikal oder ohne, ist der Software egal. Zudem kann man angeben, aus welcher Periode, welchem Fürstentum oder von welchem Gefäßtyp die Inschriften stammen sollen. Die Datenbank spuckt nicht nur sämtliche Textstellen aus, in denen das Suchwort vorkommt, sondern verweist auch gleich auf die komplette Sekundärliteratur - sprich: Wer hat zu dieser Textpassage was geschrieben? Per Knopfdruck kann man sich zudem eine Reproduktion der Original-Inschrift anzeigen lassen.

    Ergebnisse von Monaten Recherche in wenigen Minuten

    Die rund 20 CDs enthalten sämtliche Inschriften, die bislang auf Opfergefäßen der Zhou-Zeit gefunden wurden - insgesamt rund 6.000 Stück. Dazu kommen zahlreiche Texte, die in vorchristlicher Zeit auf Bambusstreifen geschrieben wurden und als Grabbeigaben erhalten geblieben sind, sowie ein bedeutendes antikes Wörterbuch aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, das Shuowen jiezi. "Damit eröffnen sich uns völlig neue Möglichkeiten für eine Erforschung der frühen chinesischen Schriftgeschichte", freut sich Schwermann. "Eine Literaturrecherche, für die man früher Wochen oder Monate benötigte, dauert jetzt nur noch wenige Minuten. Ganz zu schweigen davon, dass viele Quellen erst aufwändig bestellt werden mussten oder gar nicht zu bekommen waren."

    Professor Dr. Liu Zhiji vom Schwerpunktzentrum für die Erforschung der chinesischen Schrift und ihrer Anwendungen an der East China Normal University Shanghai hat seinem Bonner Kollegen Professor Dr. Wolfgang Kubin die Datenbank Mitte Mai überreicht. Kubin will sie zusammen mit der wichtigsten Forschungsliteratur mittelfristig in einem eigenen Bibliotheksraum unterbringen und damit den Grundstein zu einem Museum für chinesische Schrift legen.

    Mehr als zehn Jahre haben die Shanghaier Wissenschaftler an dem Recherche-Tool gearbeitet. Im kommenden Jahr wollen sie ihren Kollegen auch noch eine komplette Sammlung der ältesten Texte zur Verfügung stellen, die bislang in China gefunden wurden: Bei diesen so genannten "Orakelknochen-Inschriften" handelt es sich um Prophezeiungen, die vor mehr als 3.000 Jahren in Schildkrötenpanzer oder Tierknochen eingeritzt wurden. Meist handelt es sich um Vorhersagen über reiche oder magere Ernten, das Wetter oder Erfolge bei der Jagd. In den letzten 100 Jahren wurden etwa 155.000 derartige Inschriften gefunden, die allerdings teilweise zerstört sind. Erst rund 1.000 Schriftzeichen darauf sind bislang entziffert.


    Kontakt:
    Dr. des. Christian Schwermann
    Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn
    Telefon: 0228/73-7396
    E-Mail: c.schwermann@uni-bonn.de


    Bilder

    Der Bibliothekar Björn Fischer, Prof. Dr. Wang Ping und Dr. Christian Schwermann an der neuen Datenbank (v.l.)
    Der Bibliothekar Björn Fischer, Prof. Dr. Wang Ping und Dr. Christian Schwermann an der neuen Datenb ...
    Foto: Frank Luerweg / Uni Bonn
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte, Organisatorisches
    Deutsch


     

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