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21.07.1995 00:00

Rollkontakte von Fahrzeugrädern

Ramona Ehret Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Den "heulenden Schienen" auf der Spur

    TU-Wissenschaftler am DFG-Sonderforschungsbereich 181 untersuchten Rollkontakte von Fahrzeugraedern

    Ein droehnendes Geraeusch kuendigt sein Kommen schon von weitem an. Sekunden spaeter ist es soweit, mit ueber 200 km/h donnert der ICE vorbei. Fuer einen Augenblick lang geht jegliches Geraeusch in dem ohrenbetaeubenden Getoese des Zuges unter. Dann breitet sich wieder sanfte Stille aus. Tagtaeglich spielt sich ein solches Szenario in deutschen Landen ab. Ursache fuer solche uebermaessige Laermbelaestigung sind nicht selten bestimmte Verschleisserscheinungen der Schiene. Nach einiger Zeit praegen sich naemlich wellenfoermige Unregelmaessigkeiten in das Schienenprofil ein. Die Fachleute nennen sie Riffel. Die Riffelbildung ist im Grunde genauso alt wie die Eisenbahn selbst. Intensiv beschaeftigen sich die Gelehrten mit diesem Problem allerdings erst seit etwa fuenfzehn Jahren. Fest steht, dass diese Erscheinungen verblueffend gleichmaessig auftreten. Von Riffelberg zu Riffelberg betraegt der Abstand ungefaehr drei bis acht Zentimeter. Der Hoehenunterschied von Bergen und Taelern liegt in der Regel unter einem Zehntel Millimeter. Er ist damit so klein, dass er gerade mal mit den Fingern zu ertasten ist. Dennoch sorgen diese Unebenheiten dafuer, dass von vorbeirollenden Zuegen noch mehr Laerm ausgeht als sonst. "Roaring rails", "heulende Schienen", wird dieses Phaenomen in England genannt. Das Rad ist hier wie eine Grammophonnadel, die die Profilunebenheiten abtastet. Ausser zu groesseren Laermbelaestigungen kommt es zu extremeren Beanspruchungen von Komponenten des Radsatzes und des Gleises - und somit zu erhoehtem Verschleiss. Die einzige Abhilfe bestand bisher im Abschleifen der Schiene. Das Abschleifen der Schienen verschlingt jedoch beispielsweise bei der Deutschen Bahn AG jaehrlich bis zu 20 Millionen Mark.

    Fragen rund um rollende Raeder widmete sich ueber neun Jahre ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierter Sonderforschungsbereich, der Sfb 181 "Hochfrequenter Rollkontakt der Fahrzeugraeder". In dem Teilprojekt "Wirkungsketten zur Riffelbildung" wurde nun das Phaenomen der Riffelbildung untersucht. Nach zahlreichen Messungen an Gleisen entwickelten die Forscher ein Rechnersimulationsmodell. Mit diesem Modell koennen die Schwingungsformen der Schiene und der Radsaetze sowie das Riffelwachstum simuliert werden. Ein Ergebnis der Untersuchungen: Hauptverantwortlich fuer die Riffelbildung ist das gesamte Schwingungsverhalten des Gleises. Denn durch vorbeifahrende Zuege wird das Gleis zu Schwingungen angeregt. "Bei bestimmten Frequenzen verhaelt sich das Gleis ausgesprochen steif", erlaeutert Dr. Klaus Hempelmann, ehemaliger Mitarbeiter im Teilprojekt, "das bedeutet, es schwingt kaum". Die Folge: Unglaublich hohe Kraefte wirken im Kontakt von Rad und Schiene. Bis zu zehn Tonnen Last koennen auf die Schiene wirken. Dabei ist die Kontaktflaeche zwischen Rad und Schiene gerade mal so gross wie ein Pfennigstueck. Zusaetzlich treten parallel zur Oberflaeche weitere Beanspruchungen auf. Durch diese Beanspruchungen praegen sich nach einiger Zeit die Verschleissmuster in die Schiene ein. Wie schnell das geschieht, haengt unter anderem davon ab, wie viele Zuege mit welcher Geschwindigkeit die Schiene taeglich belasten. Auch die Materialeigenschaften der Schiene und die Steifigkeit der Zwischenlage zwischen Schiene und Schwelle spielen eine gewisse Rolle. Es gibt jedoch eine Fuelle weiterer Parameter, die die Riffelbildung beeinflussen. Eigentlich muesste beruecksichtigt werden, dass Schienen niemals gleichmaessig gefertigt werden und schon bei der Herstellung kleinere Ungleichmaessigkeiten aufweisen. Schon mit den heutigen Moeglichkeiten gestatten aber die Simulationsmodelle im Frequenzbereich bis zu 2.000 Hz die rechnerische Untersuchung der Beanspruchungen von Fahrzeug und Gleis sowie der sich daraus ergebenden Verriffelung von Schienenoberflaechen.

    Interessant sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppen Rad/Schiene des Sonderforschungsbereiches insbesondere fuer die Deutsche Bahn AG und das Europaeische Eisenbahnforschungsinstitut (ERRI). Ergebnisse der Forschungen werden mittlerweile bereits beim Neubau von Eisenbahnstrecken beruecksichtigt. Bei der Strecke Wuerzburg- Hannover werden zum Beispiel weichere Zwischenlagen zwischen Schiene und Schwelle eingebaut. Ein Ergebnis dieser Veraenderungen ist, dass in besonders kritischen Situationen geringere Kraefte zwischen Rad und Schiene wirken. Die Verschleisserscheinungen koennen dadurch verzoegert werden. Fuer die TU-Forscher ist das aber erst der Anfang. "Langfristig koennten die Schienensysteme schon in der Planungsphase auf dem Rechner getestet und so unguenstige Parameterkombinationen beim Streckenbau vermieden werden", prognostiziert Klaus Hempelmann. Allerdings raeumt er ein, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Erklaertes Ziel der gesamten Forschungsarbeiten im Sonderforschungsbereich war ein grundlegendes Verstaendnis der Rollkontaktvorgaenge beim Abrollen des Reifens auf der Strasse, der Eisenbahnraeder auf der Schiene und von Kunststoffwalzen auf Stahlfahrbahnen. Durch Simulationsrechnungen und Praezisionsmessungen konnten die TU-Wissenschaftler die Vorgaenge viel genauer untersuchen, als es bisher moeglich war. Die Grundlagenuntersuchungen zur Reifenkonstruktion gestatten es zum Beispiel, genauere Antworten auf Fragen zum Verschleiss, Rollwiderstand oder zur Laermentwicklung zu geben. Auch gelang es den Wissenschaftlern, das Fahrwerk von Autos im Hinblick auf Komfort und Sicherheit zu optimieren. Schon mit den derzeitigen Ergebnissen koennen so die Umweltbeeintraechtigungen durch Laerm vermindert und der Verschleiss von Rad und Schiene verringert werden, was letztendlich den Komfort fuer die Fahrgaeste deutlich erhoeht.

    Auf der Grundlage dieser Arbeiten konnte eine Vielzahl weiterer Forschungsprojekte initiiert werden. Hervorzuheben sind hier zwei EU-finanzierte Projekte im Rahmen des BRITE- EURAM-Programmes: naemlich zur Optimierung von Schottergleisen und zur schalltechnischen Optimierung von Eisenbahnschienen. Im Bereich der Bahntechnik sind die Arbeiten ausserdem eine Keimzelle fuer den in Gruendung befindlichen interdisziplinaeren Forschungsverbund Bahntechnik. Auch in der internationalen Kooperation erwies sich die Arbeit als ausserordentlich fruchtbar: mit Schweden und China wird in der Rad/Schiene-Technik sowie mit Polen und Russland beim Reifen/Strassen-Problem zusammengearbeitet.

    Der Sonderforschungsbereich 181 "Hochfrequenter Rollkontakt der Fahrzeugraeder" war 1986 eingerichtet worden und lief nun nach neun Jahren aus. Er wurde in diesem Zeitraum von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Gesamtsumme von 11,9 Millionen DM gefoerdert. Beteiligt an der Arbeit des Sonderforschungsbereichs waren vom Fachbereich Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Werkstoffwissenschaften der TU Berlin die Fachgebiete Technische Akustik (Prof. Dr.-Ing. Manfred Heckl) und Metallphysik (Prof. Dr.-Ing. Heinz Gerhard Feller bis zu seinem Ausscheiden, Prof. Dr.-Ing. Hans-Joerg Fecht), vom Fachbereich Verkehrswesen und Angewandte Mechanik die Fachgebiete Mechanik (Prof. Dr.-Ing. Friedrich Boehm, zugleich Sprecher des Sfb 181), Konstruktionsberechnung (Prof. Dr.-Ing. Klaus Knothe), Spurgebundene Fahrzeuge (Prof. Dr.-Ing. Helmut Bugarcic, zeitweise), Eisenbahnwesen (Prof. Dr.-Ing. Werner Herbst, zeitweise) und Kraftfahrwesen (Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Willumeit) sowie vom Fachbereich Maschinenbau und Produktionstechnik das Fachgebiet Foerdertechnik (Prof. Dr.-Ing. Dietrich Severin).

    Naehere Informationen erteilen Ihnen gerne: Prof. Dr.-Ing. Friedrich Boehm, 1. Institut fuer Mechanik der TU Berlin, Tel. (030) 314-23456/72626 oder Prof. Dr.-Ing. Klaus Knothe, Institut fuer Luft- und Raumfahrt der TU Berlin, (030) 314-22345/21338.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Maschinenbau
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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