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07.06.1999 14:04

Woran scheitern internationale Verhandlungen?

Heiner Stix Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Interdisziplinäre Mannheimer Forschergruppe startet Projekt zur Erklärung und zukünftigen Unterstützung internationaler Verhandlungssysteme

    Runde Tische, Koalitionsgespräche, Konzertierte Aktionen, Übernahme-Verhandlungen oder Kooperationsgespräche in der Wirtschaft bis hin zu Konfliktlösungs- oder Friedensverhandlungen wie - erfolglos - in Rambouillet: Verhandlungen prägen heute Wirtschaft, Innenpolitik und Internationale Politik. Das Spektrum reicht von ad-hoc- Gesprächen zur Klärung spontan auftretender Probleme bis hin zu institutionalisierten Verhandlungssystemen wie etwa die KSZE oder die EU. Was passiert, wenn Verhandlungen scheitern, macht der Kosovokrieg deutlich. Aber welche Faktoren bzw. Randbedingungen sind für Erfolg oder Scheitern einer Verhandlung verantwortlich? Welche Verhandlungsformen versprechen die besten Ergebnisse? Unter welchen Umständen kommt es am runden Tisch zum Konsens?

    Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben Wissenschaftler der Universität Mannheim eine fächerübergreifende Forschungsgruppe namens "Institutionalisierung internationaler Verhandlungssysteme" eingerichtet. Im Rahmen dieses von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsvorhabens kooperieren unter der Leitung des Politikwissenschaftlers Prof. Franz Urban Pappi Politikwissenschaftler, Juristen, Volks- und Betriebswirte der Universität Mannheim, des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die DFG stellt diesem auf sechs Jahre angelegten Großprojekt für den ersten Zweijahresterm ca. 900.000 Mark zur Verfügung.

    Im Mittelpunkt des dreistufigen Projektes steht dabei der Zusammenhang von Ausgangssituation, Verfahren, Funktion und Umsetzung der Ergebnisse internationaler Verhandlungssysteme. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Frage, wie der Institutionalisierungsgrad solcher Systeme und die Verbindlichkeit bzw. Verpflichtungsfolge der jeweiligen Verhandlungsergebnisse voneinander abhängen. Wenn sich zum Beispiel zwei verfeindete Kriegsparteien mit Vermittlern zu ad-hoc-Gesprächen einfinden, sich aber weder über Ziele noch über Regeln einig sind, wird das Verhandlungsergebnis trotz intensivster Bemühungen der internationalen Kontaktgruppe mangels gemeinsamer Übereinstimmung kaum auf mehr als vage Formulierungen ohne jede Bindungskraft hinauslaufen. Der Ministerrat der EU dagegen hat als stark institutionalisiertes Entscheidungsorgan, das im Institutionengefüge der EU fest eingebunden ist, einen weitaus größeren gemeinsamen Regel- und Normenfundus. Dieses EU-Organ kann deshalb auf Verhandlungsverfahren und Entscheidungsmechanismen zurückgreifen, die zu Vereinbarungen von weitaus größerer Verbindlichkeit führen. Dies gilt auch, wenn - wie im Falle der gemeinsamen Agrarpolitik - die Positionen der Mitgliedstaaten weit auseinanderklaffen.

    In einem ersten Schritt werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine vergleichende Bestandsaufnahme der unterschiedlichen existierenden Verhandlungssysteme vornehmen. Das Spektrum reicht dabei von relativ wenig institutionalisierten Formen wie etwa in Rambouillet über internationale Organisationen mit einem stärkeren Institutionalisierungsgrad, also beispielsweise die UNO oder die OECD, bis hin zu supranationalen Entscheidungsstrukturen der EU und multinationalen Konzernen wie Daimler-Chrysler oder Nestlé. In einem zweiten Schritt formulieren die Wissenschaftler anhand ausgewählter Fallstudien geeignete Hypothesen, die in der Lage sind, die Entstehung, Arbeitsweise und Wirkung dieser unterschiedlichen Verhandlungssysteme möglichst umfassend zu erklären. Warum funktioniert die Arbeitsweise eines Systems bei dem einen Thema ausgezeichnet, bei einem anderen nicht? Liegt es - um nur Beispiele auftretender Fragestellungen zu nennen - an den handelnden Personen oder eher an spezifischen Konfliktkonstellationen? Wie werden nationale Interessen wahrgenommen und wie kommt es zum internationalen Interessenausgleich? Wie müssen Verträge sinnvollerweise konzipiert werden, damit sie von den unterzeichnenden Staaten auch umgesetzt werden?

    Die unterschiedlichen theoretischen Ansätze müssen sich in einem dritten Schritt schließlich auch gegeneinander bewähren. Es gilt zu klären, welche Theorie die höchste Erklärungskraft für internationale Verhandlungssysteme besitzt und sich am besten auf die Praxis übertragen lässt. Die Grundzüge der zu überprüfenden Theorien stehen bereits fest. In den Wirtschaftswissenschaften verwenden die Volkswirte Prof. Dr. Roland Vaubel von der Fakultät für Volkswirtschaftslehre und Dr. Bernhard Boockmann vom ZEW die "Public-Choice-Theorie" bzw. den Ansatz der Politischen Ökonomie. Hierbei geht es um eine Übertragung wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze auf den Bereich der Politik. Die beiden Wissenschaftler möchten damit der Funktionsweise der "International Labor Organisation" (ILO) auf den Grund gehen. Die ILO ist eine Sonderorganisation der UNO zur internationalen Standardisierung sozialpolitischer Normen, in der neben verschiedenen Regierungen auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände vertreten sind.

    Die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Franz-Urban Pappi und Dr. Paul W. Thurner verwenden "Mehrebenenmodelle" auf tauschtheoretischer und spieltheoretischer Grundlage. Sie wollen mit Hilfe dieser Theorien das Zustandekommen des Amsterdamer Vertrages von 1997 modellieren und erklären. Ihr Ziel ist es, die innenpolitischen Restriktionen, insbesondere im Rahmen der interministeriellen Koordination der EU-Mitgliedsländer, auf die Ergebnisse der Regierungskonferen 1996 zu bestimmen, um damit nützliche Aussagen für zukünftige EU-Reformkonferenzen zu gewinnen.

    Prof. Dr. Beate Kohler-Koch baut als Politikwissenschaftlerin auf dem Ansatz des "reflexiven Institutionalismus" auf. Hierbei werden die normativen und ideellen Probleme bei der Konsensfindung in den Vordergrund gestellt. Die Wissenschaftlerin untersucht, ob und inwiefern sich Institutionalisierungseffekte auf Verhandlungsergebnisse auswirken und untersucht dies am Beispiel des Einflusses der Kommission auf die EG-Technologiepolitik.

    Prof. Dr. Eibe Riedel vertritt im Theorienwettbewerb die Juristen, insbesondere das Völkerrecht und integriert traditionelle und moderne Ansätze des "Internationalen Rechts". An unterschiedlichen Fallbeispielen von Regimen und Internationalen Organisationen soll Aufschluss darüber gewonnen werden, inwiefern es möglich ist, im Rahmen des Internationalen Rechts möglichst effiziente standardisierte Verfahren zur Beilegung von Konflikten bei gegebenen Ausgangssituationen zu entwickeln.

    Zwei weitere Einzelprojekte sind derzeit noch in Vorbereitung und sollen im Laufe des Jahres zur Forschergruppe stoßen: Die Volkswirte Dr. Christoph Böhringer, Abteilungsleiter der Umwelt- und Ressourcenökonomik am ZEW, Dipl. Volkswirt Karl Ludwig Brockmann und Dipl.-Wi.-Ing. Wolfgang Bräuer (ebenfalls ZEW), wollen mit Hilfe spieltheoretischer Modelle die internationale Klimapolitik vor dem Hintergrund nationaler Verteilungskämpfe analysieren. In dem interdisziplinären Einzelprojekt "Entscheidungsprozesse und -strukturen in internationalen Unternehmenswerken" versuchen der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Pappi und der Betriebswirtschaftler Prof. Dr. Manfred Perlitz anhand netzwerkanalytischer Verfahren die Bedeutung von Verhandlungen für strategische Entscheidungen multinationaler Konzerne bestimmen.

    Durch den systematischen Vergleich unterschiedlicher Verhandlungssysteme mittels unterschiedlicher theoretischer Perspektiven erhofft man sich Erkenntnisse darüber, welche institutionellen Rahmenbedingungen unter den jeweils gegebenen Umständen zu den besten Verhandlungsergebnissen führen. Schließlich gilt es, aus diesen theoretisch gewonnenen Einsichten auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Verhandlungspraxis zu gewinnen. Deshalb sollen die Theorien in einer weiteren Projektphase einer letzten Tauglichkeitsprüfung durch Praktiker unterzogen werden, die sie auf ihre Praktikabilität und Effektivität hin testen. Denn was nützt die beste Theorie, wenn sie auch in der Praxis nichts weiter bleibt als Theorie?

    Kontakt:
    Prof. Dr. Franz-Urban Pappi
    Lehrstuhl für Politische Wissenschaft I
    Tel. 0621/292-2746
    Dr. Paul W. Thurner
    Tel. 0621/292-5314


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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