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16.06.2005 10:11

Die lange Blütezeit der hellenistischen Polis - Neues DFG-Schwerpunktprogramm

Luise Dirscherl Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    Unter dem Titel "Die hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel" wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ab Anfang 2006 ein neues Schwerpunktprogramm fördern, das von Professor Martin Zimmermann, Lehrstuhl für Alte Geschichte im Historischen Seminar der LMU, koordiniert werden wird. Beteiligt sind auch Wissenschaftler der TU München sowie der Universitäten Köln und Frankfurt/Main. Im Zentrum der Untersuchung steht die Polis als spezifische Form der Bürgergemeinschaft im östlichen Mittelmeerraum. Archäologische und historische Forschung sollen auf neuartige Weise vernetzt werden, um das bisherige, eher statische Bild von Blüte und Verfall der griechischen Polis neu zu beleuchten und vorherrschende Stereotype zu revidieren. Wissenschaftliche Kooperationspartner aus dem Mittelmeerraum werden in das Projekt eingebunden sein, das über die Fachgrenzen der Altertumswissenschaften an Bedeutung gewinnen könnte.

    "Die Polis bildete seit archaischer Zeit die Grundlage griechischer Kultur", berichtet Prof. Dr. Martin Zimmermann vom Historischen Seminar der LMU. "Dabei wird Polis in diesem Zusammenhang als Gemeinschaft verstanden, die mittels politischer, sozialer und religiöser Ordnungssysteme ein Maximum an Selbstbestimmung, Interessenausgleich und innerer Stabilität anstrebt. Das findet seinen Ausdruck in einer spezifischen Bürgeridentität und einem zugehörigen Stadtbild." Das 4. Jahrhundert v. Chr., besonders aber die hellenistische Zeit wurden in der Forschung vielfach als Niedergang der in klassischer Zeit blühenden Polis verstanden. Begründet wird dies damit, dass diese Gemeinschaft im Kräftefeld der neu entstandenen hellenistischen Staatenwelt wesentliche Eigenheiten einbüßte und transformiert wurde.

    "Vor allem Veränderungen in den Institutionen der Polis, aber auch der offensichtliche Wandel im öffentlichen Raum der Städte, der in neuartiger Weise ausgestaltet wurde, sind als Indikatoren dieses vermeintlichen Verfalls interpretiert worden", so Zimmermann. "Allerdings wurde diese These angesichts der Fülle neuer Polisgründungen und der immensen Ausbreitung griechischer Stadtkultur im Hellenismus auch schon angezweifelt. Dabei wird vor allem auf die Stärke und Bedeutung zentraler politischer und kultureller Institutionen wie Rats- und Volksversammlung, Gymnasium und Theater sowie der damit zusammenhängenden baulichen und urbanistischen Veränderungen verwiesen."

    Der angestrebte Interessenausgleich, die Beteiligung der Bürger und deren daraus resultierendes Selbstverständnis sind weiterhin die Grundlage der Gemeinschaft. Daraus konnten sich Gemeinsamkeiten wie individuelle Eigenarten in Bürger- und Stadtbild der verschiedenen Poleis ungeachtet der monarchischen Strukturen der hellenistischen Staatenwelt entwickeln. Selbst unter stark veränderten Rahmenbedingungen und nach Verlust der Autonomie in den Königreichen hat die Polis als Form der Gemeinschaftsbildung also nicht an Attraktivität verloren. "Für das Verständnis antiker Zivilisation muss deshalb untersucht werden, welche Anpassungsphänomene zum nachhaltigen Erfolg der Polis in dieser Zeit geführt haben", meint Zimmermann. "Der neue Ansatz, den wir vertreten, fragt vor diesem Hintergrund nach dem gewandelten Funktionieren der Polis im Hellenismus."

    Die Komplexität und Vitalität der Polisgemeinschaft kann dabei nur erfasst werden, wenn die sozio-politischen Verhältnisse mit den urbanen Veränderungen gemeinsam in den Blick genommen und als voneinander abhängige Größen verstanden werden. Anstelle der bisher vorwiegenden statischen Bilder der hellenistischen Bürgergemeinden und ihrer städtischen Zentren soll im neuen Schwerpunktprogramm ihre historische Entwicklung als dynamischer Prozess verstanden werden, der immer wieder vom Ausgleich der Interessen und der Anpassung an veränderte äußere Rahmenbedingungen geprägt ist. "Eine Serie von untereinander eng abgestimmten historischen und archäologischen Fallstudien kann daher zu einem neuen Verständnis jener Faktoren führen, die auf die hellenistische Polis einwirkten", meint Zimmermann. "Umgekehrt können sie verdeutlichen, weshalb die Polis selbst ein prägender Faktor war, etwa bei der Ausrichtung königlicher Politik."

    Die skizzierten Fragen sind aber nur durch eine enge Verzahnung vorhandener Forschungseinrichtungen zu bearbeiten. Im neuen Schwerpunktprogramm, das voraussichtlich für sechs Jahre gefördert werden wird, sollen deshalb archäologische Projekte mit vergleichbarer Zielsetzung miteinander und mit historischer Forschung auf neuartige Weise vernetzt werden: Epigraphische Studien zu speziellen Inschriftengruppen und Themen, Grabungen, Bauforschungen an einzelnen Monumenten, Umlandsurveys sowie archäologische Feldforschungen in Unterzentren, numismatische Studien oder auch rechtswissenschaftliche Forschungen sollen zusammengeführt werden. "Durch die Verbindung unterschiedlicher archäologischer wie historischer Methoden können wir möglichst vielfältige Perspektiven einbeziehen", so Zimmermann. "Nur so kann die Vielschichtigkeit in der Entwicklung der hellenistischen Polis in allen Facetten erfasst werden. Wir wollen auch zeigen, dass dieser Prozess in der hellenistischen Zeit eher noch an Dynamik gewonnen hat." (suwe)

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Martin Zimmermann
    Historisches Seminar der LMU, Abteilung für Alte Geschichte
    Tel: 089/2180-5385
    Fax: 089/2180-5655
    E-Mail: Martin.Zimmermann@lrz.uni-muenchen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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