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Wissenschaft
Wissenschaftlern gelingt tiefgreifender Einblick in die Schaltstation der
Proteinsynthese-Maschinerie
Ein Konsortium von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für
biophysikalische Chemie in Göttingen, einer Max-Planck Arbeitsgruppe
am DESY in Hamburg, der Universität Witten-Herdecke und der
Moskauer Lomonossov Universität hat die atomare Struktur eines
wichtigen Regulationszentrums der Proteinsynthesemaschinerie in
lebenden Zellen aufgeklärt und ist dem Verständnis seiner Funktionsweise
damit einen entscheidenden Schritt näher gekommen. In der aktuellen
Ausgabe der Zeitschrift Cell (1. Juli 2005) beschreiben die
Wissenschaftler, mit welchen Strukturen das Ribosom nach den so
genannten Translationsfaktoren "fischt" und diese molekularen Schalter
betätigt.
Die überwiegende Zahl der biochemischen Vorgänge und Funktionen in lebenden Zellen, wie z.B.
Katalyse von Reaktionen, Gerüstbildung, Kommunikation und Transport, werden von Proteinen
unterhalten. Die Bauanleitungen für diese Proteine sind in der Erbinformation (DNS) einer jeden Zelle
festgeschrieben. Sie werden abgerufen, indem zunächst Blaupausen der DNS in Form der
Boten-Ribonukleinsäuren (RNS) angelegt und anschließend in eine Kette von Aminosäuren, die
Proteinbausteine, übersetzt werden. Für diese Übersetzung ("Translation") ist das Ribosom zuständig.
Mit einem Durchmesser von ca. 25 Milliardstel Millimetern stellen bereits die einfachsten Ribosomen aus
Bakterien auf molekularer Ebene riesige Aggregate dar. Sie bestehen aus über fünfzig
Proteinkomponenten und drei langen RNS-Molekülen, die zu einer großen und einer kleinen ribosomalen
Untereinheit zusammengesetzt sind (siehe Bild). In Aufbau und Funktionsweise ist ein Ribosom einer
Miniatur-Maschinerie vergleichbar: Die Boten-RNS wird wie ein Fließband durch diese Maschine
hindurchgeschleust. Dabei wird das fadenförmige Botenmolekül Schritt für Schritt abgetastet; zu jedem
Nukleinsäuretriplett existiert ein passendes Adaptermolekül, eine Transport-RNS (t-RNS), die eine
bestimmte Aminosäure transportiert. Die Aminosäuren werden nacheinander zu einer Kette
zusammengefügt und ergeben schließlich ein neues Proteinmolekül.
Für jede Teilaufgabe, wie z.B. die Auswahl der passenden t-RNS, das Zusammenfügen der einzelnen
Proteinbausteine oder das Entsorgen entladener t-RNS, ist ein spezielles Modul des Ribosoms zuständig.
Um Fehler bei der Synthese der Proteine, von denen einige mehrere tausend Bausteine umfassen,
weitestgehend zu vermeiden, müssen die einzelnen Module und ihre Arbeitsgänge genau aufeinander
abgestimmt sein. Dazu bedient sich das Ribosom einer Reihe von Kontrollproteinen, so genannter
Translationsfaktoren, die nur zu bestimmten Zeitpunkten an die zentrale Maschinerie andocken. Einige
der Translationsfaktoren funktionieren dabei als molekulare Schalter. Sie tragen kleine, energiereiche
Moleküle, die während eines Arbeitsganges chemisch gespalten werden. Diese Spaltung zieht eine
Formveränderung der Faktoren nach sich, die vom Ribosom wahrgenommen wird und den Startschuss
zur Einleitung des nächsten Arbeitsschrittes gibt. Das Einholen der Translationsfaktoren und das
Umlegen der molekularen Schalter werden von einer speziellen Schaltzentrale am Ribosom koordiniert.
Obwohl die Bestandteile dieser Schaltzentrale seit längerem bekannt waren, wusste man bisher wenig
über die Art und Weise ihrer Funktion.
Um dieser Funktion auf die Schliche zu kommen, hat die Arbeitsgruppe von Markus Wahl vom
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie zunächst ein detailliertes, dreidimensionales Bild dieses
Ribosomenbereiches erstellt. Sie züchteten Kristalle von Teilen des Schaltzentrums und untersuchten
deren Streuung im Röntgenlicht. Aus den Streudaten konnten sie die atomare Struktur dieser
Komponenten auf 0,2 Nanometer genau berechnen. Frank Schlünzen und Jörg Harms am DESY
ermittelten über ähnliche Verfahren die Verankerung des Schaltzentrums an der großen ribosomalen
Untereinheit. Wie in einem dreidimensionalen Puzzlespiel passten die Forscher dann alle Teilstrukturen
in Hüllen des Ribosoms ein, die mithilfe der Elektronenmikroskopie im Arbeitskreis von Holger Stark bei
etwa zehnfach niedrigerer Auflösung sichtbar gemacht wurden. "Von der großen ribosomalen
Untereinheit in unmittelbarer Nähe der Stelle, an der die Translationsfaktoren zu liegen kommen,
erstreckt sich ein langer, beweglicher Fortsatz", beschreibt Markus Wahl das Bild. "An diesem Fortsatz
sind bis zu sechs flexible Molekülketten aufgehängt, jede mit einem kugelförmigen Kopf." (Abb. 1).
Im Einklang mit früheren Arbeiten, die darauf hindeuteten, dass die Köpfe die ersten Andockstellen für
die Translationsfaktoren darstellten, ähnelte die Struktur einer molekularen Angelrute mit sechs Schnüren
und je einem Köder, mit denen das Ribosom nach Translationfaktoren "fischen" konnte. Die Forscher
vermuteten außerdem, dass die Köpfe auch an die Ribosom-gebundenen Faktoren heranreichen könnten,
um deren Schalter umzulegen. Das Labor von Marina Rodnina in Witten testete diese Hypthesen durch
gezielte Veränderungen an der "Angelrute": Zunächst wurden die "Köder" durch genetische Verfahren
abgeschnitten. Wie erwartet waren die Angelschnüre ohne Köder erfolglos beim "Fischen" nach
Faktoren. Auch die Schaltprozesse waren erwartungsgemäß etwa 1000-fach verlangsamt. Dann
veränderten die Biochemiker gezielt Oberflächenbausteine der Köpfe, die mit den Translationsfaktoren in
Berührung kommen konnten, und störten somit ihre Funktionsweise. "Unsere Ergebnisse zeigten, dass
eine ganze Reihe solcher Bausteine gemeinsam für das Einholen der Faktoren und das Umlegen der
Schalter verantwortlich sind", erklärt Marina Rodnina.
Da die Fähigkeit zur Proteinsynthese eine elementare Grundlage für alles Leben auf unserer Erde ist,
kommen Ribosomen in allen Organismen, vom Bakterium bis zum Menschen, vor und ähneln sich in
ihrem Aufbau. Die bakteriellen Ribosomen weisen jedoch Detailunterschiede zu den Ribosomen höherer
Organismen auf. So verhindern z.B. einige Antibiotika die Proteinsynthese in Bakterien, aber nicht bei
Menschen, Tieren oder Pflanzen. Auch die Schaltzentrale des Ribosoms weist Unterschiede zwischen
Bakterien und höheren Organismen auf. Eine genauere Kenntnis der verschiedenen Translationsprozesse
könnte daher eine Grundlage zur Neuentwicklung beispielsweise von Medikamenten gegen
Infektionskrankheiten bieten.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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