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21.06.1999 11:46

Vorlesung von Professor Herbert rief Nachdenklichkeit hervor

Waltraud Riess Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

    Die von der NORD LB/Mitteldeutsche Landesbank geförderten Otto-von-Guericke-Vorlesungen führen im regelmäßigen Rhythmus renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, welche die Fähigkeit zur Öffentlichkeitswirksamkeit mit herausragender Fachkompetenz verbinden, an die Magdeburger Universität. Im diesem Semester hielt der Freiburger Historiker Prof. Dr. Ulrich Herbert eine Vorlesung zum Thema: "Drei deutsche Vergangenheiten. Über den Umgang mit der deutschen Zeitgeschichte".

    Schon das Datum des Vortrages, der 17. Juni 1999, 46. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR, ließ, wenn auch zufällig gewählt, in Verbindung mit dem Thema kontroverse Diskussionen erwarten.

    Nun sind in der Deutschen Geschichte oft die falschen Rückschlüsse aus der Vergangenheit gezogen worden, wie der Rektor der Otto-von-Guericke-Universität, Professor Klaus Erich Pollmann, in seinen einleitenden Worten feststellte. Wie sollte also "Vergangenheitspolitik", ein Begriff den der Bochumer Historiker Norbert Frei für den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Frühphase der Bundesrepublik geprägt hat, in Zukunft aussehen ?

    Wer nun von dem Leibniz-Preisträger und führenden Zeitgeschichtsforscher Ulrich Herbert vorgefertigte Patentrezepte für den Umgang mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur erwartete, sah sich enttäuscht.
    Es ist nicht Ulrich Herberts Sache nur zu verurteilen. Die Erkenntnisse, die Professor Herbert recht behutsam aus seinen biographischen Forschungen gewinnt, sind oft zwiespältiger Natur. Versucht er doch zu erfassen, was uns oft unfaßbar erscheint, beispielsweise die Frage, was einen SS-Täter dazu bewegt haben mag, alle in einem Waisenhaus befindlichen Kinder zu ermorden. Verständnis für Täter zeigt Herbert dabei jedoch keinesfalls. Im Hinblick auf eine Aussöhnung und Bewältigung der Vergangenheit ruft er unmißverständlich dazu auf, zu allererst die Opfer zu befragen.

    Die "Drei deutsche Vergangenheiten", die Ulrich Herbert beschrieb, umfassen den Umgang mit Tätern und Opfern des NS-Regimes in der frühen Bundesrepublik mit der DDR Vergangenheit selbst.

    In den Anfangsjahren der Bundesrepublik wurden nach einer anfänglichen von den Alliierten inszenierten Entnazifizierungskampagne die NS-Verbrechen verschwiegen, die Kontinuität der einstigen militärischen, administrativen und wirtschaftlichen Eliten wurde kaum unterbrochen. Erst nach 1962, im Gefolge des Prozesses gegen Adolf Eichmann in Jerusalem und des Auschwitzprozesses 1963 bis 1966 in Frankfurt am Main, fand eine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit statt. Ein weiters Verdecken der NS-Greuel, so Herbert, hätte die Bundesrepublik zerrissen.

    In der DDR, deren Gründungslegitimation der Antifaschismus war, erfolgte die Abrechnung mit den Tätern weitaus rigoroser, zumal viele von diesen bald Richtung Westen entschwanden, hier auch eine "Entnazifizierung mit den Füßen" stattfand. Allerdings verkam der in der DDR zelebrierte Antifaschismus bald zur Staffage für Repressionen gegen die Bevölkerung, erklärte man die Berliner Mauer doch zum "Antifaschistischen Schutzwall".

    Der Forderung aber, aus der verfehlten "Vergangenheitspolitik" in der Bundesrepublik auf eine härtere Abrechnung mit den Verstrickungen in der DDR-Vergangenheit ableiten zu müssen, steht der Historiker Herbert zumindest skeptisch gegenüber.

    Statt auf allgemeine Statements verwies der Zeitgeschichtler in seinen Ausführungen immer wieder auf konkrete Lebensschicksale und persönliche Konfliktsituationen, etwa wenn er über die befriedende Rolle opportunistischer Anpassung nach radikalen Umbrüchen reflektierte.

    Auch auf Fragen nach der jüngsten deutschen Vergangenheit, nach verpaßten Chancen, nach Schuld und Verfehlungen im Vereinigungsprozess konnte der nachdenklich gewordene Referent mit seinen Erwiderungen nur zum Nachdenken anregen. Nachdenklich auch die Minen der Zuhörer beim Verlassen des Hörsaales. Eine Vorlesung, die sich würdig in die Reihe der bisherigen Otto-von-Guericke-Vorlesungen einfügt.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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