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01.09.2005 13:47

"Patriotismus war ursprünglich ein linker Begriff"

Frank Luerweg Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Gerhard Schröder tut es, Angela Merkel auch und Horst Köhler ebenfalls: Sie alle bekennen sich zum Patriotismus oder gar, wie der Bundespräsident nach seiner Wahl am 23. Mai 2004, zur "Liebe zu unserem Land". Noch in den 80er und 90er Jahren dagegen waren Patriotismus und Vaterlandsliebe in Deutschland verpönt. Grund ist nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Dr. Volker Kronenberg von der Universität Bonn unter anderem die - fälschliche - Gleichsetzung von Patriotismus und Nationalismus. In einem kürzlich erschienenen Buch setzt sich Kronenberg mit dem Patriotismus-Begriff in Deutschland und seiner historischen Entwicklung auseinander. Seine These: In Deutschland gebe es nicht zuviel, sondern zuwenig Patriotismus.

    Entstanden ist der Patriotismus-Begriff in der Französischen Revolution und stand dort auch für den Gleichheitsanspruch des Bürgers: Die Zugehörigkeit zur Nation sollte wichtiger sein als die Zugehörigkeit zu einem Stand. "In diesem Sinne war Patriotismus ursprünglich ein linker Begriff, der für ein liberales Gesellschaftsmodell stand", betont der Privatdozent. Diese Idee schwappte während der Deutschen Revolution auch nach Deutschland über.

    Unter Otto von Bismarck ging der liberale Aspekt zunehmend verloren; so sprach der Reichskanzler Kommunisten und Sozialisten patriotische Gefühle ab. Mehr und mehr wurde der Begriff seit Ende des 19. Jahrhunderts auch nationalistisch besetzt: Der Patriot verstand sich als Angehöriger einer "überlegenen" Nation. "Mit der ursprünglichen Bedeutung hat das aber nichts zu tun", wehrt Kronenberg ab. "Ganz im Gegenteil: Niemand würde den Franzosen oder Amerikanern - zweifellos sehr patriotischen Nationen - absprechen, dass sie neben der eigenen 'Patria' auch andere Vaterländer schätzen." Dennoch haftet dem Patrioten spätestens seit dem Nationalsozialismus auch der Ruch des Chauvinisten an. "Dabei hat sich Hitler selbst auffällig selten als Patriot bezeichnet - meiner Meinung nach bewusst", sagt der Bonner Privatdozent. Die wirklichen Patrioten seien die Attentäter des 20. Juli, die "Weiße Rose" und die sozialdemokratischen und kirchlichen Regimegegner gewesen.

    Mehr als eine reine "Deutschland-AG"

    Nach dem Krieg war das Bekenntnis zum Vaterland lange verpönt. Man wollte auch vor dem Ausland bloß nicht zu selbstbewusst auftreten - und sei es nur symbolisch, indem man die Nationalhymne sang oder die Deutschlandfahne schwenkte. "Inzwischen findet das Ausland diese Selbstverleugung mitunter sogar befremdlich", meint Kronenberg.

    Wenn der Bundespräsident heute öffentlich seine Liebe zu Deutschland bekennt, bleibt der Sturm der Entrüstung aus. Dennoch klingt der Begriff "Liebe" manchen Deutschen wohl zu pathetisch. "Gustav Heinemann hat mal gesagt: Ich liebe nicht mein Land, ich liebe meine Frau", sagt der Politikwissenschaftler. "Dennoch hat Patriotismus neben der rationalen eindeutig auch eine emotionale Komponente. Als Patriot muss ich dieses Land vielleicht nicht lieben. Es sollte aber auf jeden Fall mehr für mich sein als eine reine Deutschland-AG."

    Dass der Patriotismus-Gedanke gerade in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt, ist wohl auch auf die wachsende Erkenntnis zurückzuführen, dass der Staat nicht alle Probleme der Bürger lösen kann. "Patriotismus bedeutet nicht zuletzt, dass der Einzelne für die Gesellschaft einen Beitrag leistet, unabhängig davon, was er von ihr zurückbekommt", erklärt der Politikwissenschaftler, der für sein Buch unter anderem Ralf Dahrendorf, Helmut Kohl und den kürzlich verstorbenen Peter Glotz interviewt hat. Das Engagement der Bürger in Bürgerinitiativen, Parteien oder im sozialen Bereich sei ein ganz wichtiges Element. "Das ist ein Gedanke, den zu reaktivieren sich lohnt."

    Patriotismus in Deutschland. Perspektiven für eine weltoffene Nation. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005

    Kontakt:
    Priv.-Doz. Dr. Volker Kronenberg
    Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn
    Telefon: 0228/73-5073
    Telefax: 0228/73-7512
    E-Mail: kronenberg@uni-bonn.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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