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06.10.2005 13:35

Kann ein Elektron an zwei Orten gleichzeitig sein?

Dr. Andreas Trepte Abteilung Kommunikation
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

    Berliner Max-Planck-Forscher weisen an Elektronen von
    Stickstoff-Molekülen nach, dass der Welle-Teilchen-Charakter gleichzeitig
    in Erscheinung tritt

    In einer Art molekularem Doppelspaltexperiment haben Wissenschaftler
    des Fritz-Haber-Instituts (FHI) der Max-Planck Gesellschaft in
    Zusammenarbeit mit Forschern vom California Institute of Technology in
    Pasadena/USA erstmals an Elektronen nachgewiesen, dass diese
    gleichzeitig Eigenschaften von Welle und Teilchen besitzen und quasi per
    Knopfdruck zwischen beiden Zuständen hin- und hergeschaltet. Darüber
    gelang den Forschern der Nachweis, dass eine Störung der
    Spiegelsymmetrie dieser Moleküle durch den Einbau zweier verschieden
    schwerer Isotope, in diesem Fall N14 und N15, zu einem teilweisen Verlust
    der Kohärenz führt, da sich die Elektronen teilweise an einem der beiden,
    nun unterscheidbaren Atome, zu lokalisieren beginnen. Diese
    Untersuchungsergebnisse könnten für den Bau und die Kontrolle von
    "künstlichen Molekülen", die aus Halbleiter-Quantenpunkten bestehen
    und als Bauelemente von Quantencomputern in Betracht gezogen werden,
    von Bedeutung sein (nature, 29. September 2005).
    Vor hundert Jahren begann man den in der Naturphilosophie postulierten
    dualen Charakter der Natur auch auf der Ebene elementarer physikalischer
    Vorgänge schrittweise zu erkennen. Albert Einstein war der erste, der 1905
    diese Konsequenz aus Plancks Quantenhypothese zog. Er ordnete dem
    eindeutig als elektromagnetische Welle bekannten Photon Teilchencharakter
    zu. Dies ist die Quintessenz seiner Arbeit zum Photoeffekt. Später war es vor
    allem deBroglie, der 1926 erkannte, dass alle uns als Teilchen bekannten
    Bausteine der Natur - Elektronen, Protonen etc. - sich unter bestimmten
    Bedingungen wie Wellen verhalten.
    Die Natur in ihrer Gesamtheit ist also dual; kein einziger ihrer Bestandteile ist
    nur Teilchen oder Welle. Niels Bohr führte zum Verständnis dieser Tatsache
    1923 das Korrespondenz-Prinzip ein, das vereinfacht besagt: Jeder Bestandteil
    der Natur hat sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter und es hängt nur vom
    Beobachter ab, welchen Charakter er gerade sieht. Anders gesagt: Es hängt
    vom Experiment ab, welche Eigenschaft - Teilchen oder Welle - man gerade
    misst. Dieses Prinzip ist als Komplementaritätsprinzip in die Geschichte der
    Physik eingegangen.
    Albert Einstein war diese Abhängigkeit der Natureigenschaften vom
    Beobachter Zeit seines Lebens suspekt. Er glaubte, es müsse eine vom
    Beobachter unabhängige Realität geben. Doch die Quantenphysik hat die
    Tatsache, dass es keine unabhängige Realität zu geben scheint, im Laufe der
    Jahre einfach als gegeben akzeptiert, ohne sie weiter zu hinterfragen, da alle
    Experimente sie immer wieder und mit wachsender Genauigkeit bestätigt haben.
    Bestes Beispiel ist das Young'sche Doppelspaltexperiment. Bei diesem Doppelspaltexperiment lässt man
    kohärentes Licht auf eine Blende mit zwei Schlitzen fallen. Auf einem Beobachtungsschirm hinter der
    Blende zeigt sich dann ein Interferenzmuster aus hellen und dunklen Streifen. Das Experiment kann aber
    nicht nur mit Licht, sondern auch mit Teilchen wie z. B. Elektronen durchgeführt werden. Schickt man
    einzelne Elektronen nacheinander durch den offenen Young'schen Doppelspalt, erscheint auf der
    dahinterstehenden Photoplatte ein streifenförmiges Interferenzmuster, das keinerlei Information über den
    Weg, den das Elektron genommen hat, enthält. Schließt man jedoch einen der beiden Spalte, so erscheint
    auf der Photoplatte ein verwaschenes Abbild des jeweils offenen Spaltes, aus dem man den Weg des
    Elektrons direkt ablesen kann. Eine Kombination aus Streifenmuster und Lagebild ist in diesem
    Doppelspaltexperiment jedoch nicht möglich, dazu bedarf es eines molekularen Doppelspaltexperiments,
    das nicht auf der Orts-Impuls-Unschärfe, sondern der Spiegel-Symmetrie beruht.
    Nicht umsonst wurde das Experiment in einer Umfrage der englischen physikalischen Gesellschaft in der
    Zeitschrift Physics World 2002 zum schönsten Experiment aller Zeiten gewählt. Obwohl jedes Elektron
    einzeln durch einen der beiden Spalte zu laufen scheint, baut sich am Ende ein wellenartiges
    Interferenzmuster auf, als ob sich das Elektron beim Durchgang durch den Doppelspalt geteilt hätte, um
    sich danach wieder zu vereinen. Hält man aber einen Spalt zu oder beobachtet man, durch welchen Spalt
    das Elektron geht, verhält es sich wie ein ganz normales Teilchen, das sich zu einer bestimmten Zeit nur
    an einem bestimmten Ort aufhält, nicht aber an beiden gleichzeitig. Je nachdem also, wie man das
    Experiment ausführt, befindet sich das Elektron entweder an Ort A oder an Ort B oder an beiden
    gleichzeitig.
    Das diese Doppeldeutigkeit erklärende Bohrsche Komplementaritäts-Prinzip fordert aber zumindest, dass
    man nur eine der beiden Erscheinungsformen zu einer gegebenen Zeit in einem gegebenen Experiment
    beobachten kann - entweder Welle oder Teilchen, aber nicht beides zugleich. Bei aller Doppeldeutigkeit
    der Quantenphysik bleibt dieser Rest von Eindeutigkeit in jedem Experiment erhalten. Entweder ist ein
    System in einem Zustand des wellenartigen "Sowohl-als-auch" oder aber des teilchenartigen
    "Entweder-oder" in Bezug auf seine Lokalisierung. Im Prinzip ist dies eine Folge der Heisenbergschen
    Unschärferelation, die besagt, dass man immer nur eine Größe eines komplementären Pärchens von
    Größen (z.B. Ort und Impuls) gleichzeitig beliebig genau bestimmen kann. Die Information über die
    andere Größe geht dabei umgekehrt proportional verloren.
    In jüngster Zeit hat eine Klasse von Experimenten ergeben, dass diese verschiedenen Erscheinungsformen
    der Materie ineinander überführbar sind, das heißt, man kann von einer Form in die andere schalten und
    unter bestimmten Bedingungen wieder zurück. Diese Klasse von Experimenten nennt man
    Quantenmarker und Quantenradierer. Sie haben in den letzten Jahren an Atomen und Photonen und seit
    jüngstem auch an Elektronen gezeigt, das es ein Nebeneinander von "Sowohl-als-auch" und
    "Entweder-oder" für alle Formen der Materie gibt, also eine Grauzone der Komplementarität. Es gibt
    demzufolge experimentell nachweisbare Situationen, in denen die Materie sowohl als Welle aber auch als
    Teilchen gleichzeitig in Erscheinung tritt.
    Derartige Situationen werden mit einer Dualitäts-Relation beschrieben, bei der es sich um ein erweitertes
    Komplementaritäts-Prinzip der Quantenphysik handelt, das man auch als Koexistenzprinzip bezeichnen
    könnte. Es besagt, dass sich die normalerweise einander ausschließenden Erscheinungsformen der
    Materie, wie lokal und nichtlokal, kohärent und nichtkohärent, in einem bestimmten Übergangsbereich
    gleichzeitig nachweisen lassen, also messtechnisch vorhanden sind. Man spricht von teilweiser
    Lokalisierung und teilweiser Kohärenz bzw. von teilweiser Sichtbarkeit und teilweiser
    Unterscheidbarkeit; Größen, die über die Dualitätsrelation miteinander verbunden sind.
    Das Komplementaritäts-Prinzip und damit der komplementäre Dualismus der Natur wird in diesem
    Übergangsbereich also um ein Koexistenzprinzip, d.h. einen parallelen Dualismus erweitert. Dieser zeigt,
    das die Natur einen ambivalenteren Charakter hat, als bisher angenommen. Beispiele dafür sind die
    Atom-Interferometrie, wo dieses Verhalten 1997 erstmalig bei Atomen, d.h. zusammengesetzten Teilchen, gefunden wurde.
    In der aktuellen Ausgabe von Nature berichten die Berliner Max-Planck-Forscher gemeinsam mit
    Forschern vom California Institute of Technology in Pasadena/USA nun von molekularen
    Doppelspaltexperimenten mit Elektronen, also nicht zusammengesetzten elementaren Teilchen. Diese
    beruhen darauf, dass sich Moleküle mit identischen und damit spiegelsymmetrischen Atomen wie ein von
    der Natur aufgebauter mikroskopisch kleiner Doppelspalt verhalten. Dazu gehört Stickstoff, wo sich jedes
    Elektron - auch die hochlokalisierten inneren Elektronen - an beiden Atomen gleichzeitig aufhält.
    Ionisiert man nun ein solches Molekül etwa mit weicher Röntgenstrahlung, führt diese Eigenschaft zu
    einer kohärenten, also wellenartig streng gekoppelten Emission eines Elektrons von beiden atomaren
    Seiten, genauso wie im Doppelspaltexperiment mit Einzelelektronen.
    Die Forscher konnten erstmals den kohärenten Charakter der Elektronenemission solcher Moleküle
    analog zum Doppelspaltexperiment experimentell direkt nachweisen. Dazu haben sie die innersten und
    damit am stärksten lokalisierten Elektronen von Stickstoff aus dem Molekül mittels weicher
    Röntgenstrahlung gelöst und ihre Bewegung anschließend in dem Bezugssystem des Moleküls über eine
    koinzidente Messung mit den ionischen Molekülfragmenten verfolgt. Darüber hinaus gelang den
    Forschern der lange bezweifelte Nachweis, dass eine Störung der Spiegelsymmetrie dieser Moleküle
    durch den Einbau zweier verschieden schwerer Isotope, in unserem Fall N14 und N15, zu einem
    teilweisen Verlust der Kohärenz führt, da sich die Elektronen teilweise an einem der beiden, nun
    unterscheidbaren Atome, zu lokalisieren beginnen. Dies entspricht einer teilweisen Markierung eines der
    beiden Spalte in einem Young'schen Doppelspaltexperiment. Man spricht auch von teilweiser "Welcher
    Weg"-Information, weil die Markierung Aufschluss darüber gibt, welchen Weg das Elektron genommen
    hat.
    Die Experimente wurden von Mitarbeitern der Arbeitsgruppe "Atomphysik" des FHI an den
    Synchrotronstrahlungslaboren BESSY in Berlin und HASYLAB bei DESY in Hamburg durchgeführt.
    Die Messungen mittels einer Multi-Detektoranordnung für kombinierten Elektronen- und
    Ionen-Nachweis fanden hinter so genannten Undulator-Strahlrohren statt, die weiche Röntgenstrahlung
    mit hoher Intensität und spektraler Auflösung liefern.
    Die Arbeitsgruppe aus vier Wissenschaftlern und drei Doktoranden wird neben der
    Max-Planck-Gesellschaft hauptsächlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen
    der Förderung ausgewählter Schwerpunkte der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung gefördert.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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