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Wissenschaft
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Presseinformation
Wa(h)re Geschichte?
Eine öffentliche Tagung des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs fragt im Januar nach guter wissenschaftlicher Praxis in der Geschichtswissenschaft
Fernsehsendungen, Gedenkstätten, Unternehmensgeschichten - Vergangenheit wird immer mehr zum Gegenstand öffentlicher Präsentation. Die zahlreichen Medienbeiträge anlässlich der 60jährigen Wiederkehr des Kriegsendes und der Nürnberger Prozesse haben das erneut eindrucksvoll dokumentiert. Oft scheint aber das Interesse an der erfolgreichen medialen Vermarktung historischer Ereignisse stärker im Vordergrund zu stehen als die seriöse Vermittlung historischer Bildung. Verkommt die Geschichte also zu einer Ware? Bleibt die wissenschaftliche Sorgfalt des Historikers auf dem Weg zur Medientauglichkeit seines Stoffs auf der Strecke?
Im Januar geht eine Tagung des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs dieser Frage nach. "Wahre Geschichte - Geschichte als Ware" heißt das Motto der Tagung, die die Verantwortung des Historikers gegenüber Wissenschaft und Gesellschaft untersucht. Unter der Leitung von Dr. Christoph Kühberger, Prof. Dr. Christian Lübke und Dr. Thomas Terberger diskutieren 26 Referenten aus fünf Ländern vom 12. bis zum 14. Januar 2006 im Greifswalder Kolleg über die Notwendigkeit und Möglichkeit der "richtigen" Vermittlung und Erforschung von Geschichte unter Wahrung wissenschaftlicher Standards. Dabei werden neben den Medien auch Bereiche wie Museum und Schule problematisiert - Vorträge dazu haben unter anderem Professor Dr. Rainer Blasius (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Professor Dr. Bodo von Borries (Universität Hamburg), Maren Krüger (Jüdisches Museum Berlin), Dr. Christoph Kühberger (Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald) und Professor Dr. Siegfried Quandt (Justus-Liebig-Universität Gießen) zugesagt, während Dr. Manfred Grieger (Volkswagen AG, Wolfsburg) die Chancen und Schwierigkeiten der Unternehmensgeschichtsschreibung beleuchtet.
Den gegenwärtigen Stand der Ethik der Geschichtsforschung stellen Professor Dr. Keith Jenkins (University of Chichester) und Professor Dr. Dr. Clemens Sedmak (King's College London) vor. Das Thema ist besonders aktuell, weil die knapper werdenden Forschungsmittel auch unter Historikern zu einer immer härteren Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit führen - die im Extremfall mit gefälschten Forschungsergebnissen leichter zu erringen ist als mit Sorgfalt und Fleiß bei der Quellenauswertung. Wie der Gefahr von unseriösen oder gar gefälschten Quellen begegnet werden kann, werden Wolf Buchmann vom Koblenzer Bundesarchiv und Mitveranstalter PD Dr. Thomas Terberger erklären.
Ein weiterer wichtiger Themenkomplex ist das Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Geschichtsforschung und "moralischem Gericht". So müssen Juristen immer wieder Fälle in einem zeithistorischen Kontext bewerten. Die Probleme, die dadurch aufgeworfen werden, erörtert Professor Dr. Clemens Jabloner vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof in Wien. Professor Dr. Ludolf Herbst (Humboldt-Universität zu Berlin) wird dagegen danach fragen, ob Politiker der oft von ihnen selbst erhobenen Forderung nach einer systematischen Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit in ihrem eigenen Umfeld angemessen Rechnung tragen. Der deutschen Zeitgeschichte ist auch eine Podiumsdiskussion zum Thema "Stasi-Akten und kein Ende?" gewidmet, an der unter anderem der Greifswalder Politologe Professor Dr. Hubertus Buchstein, Christoph Kleemann von der Außenstelle Rostock der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, der Schweriner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Jörn Mothes, der Historiker Professor Dr. Michael Scholz aus dem schwedischen Visby und der Publizist Dr. Peter Jochen Winters teilnehmen werden.
Lassen sich Historiker nicht oft zu sehr vor den "Karren" politischer Interessen spannen? Während Professor Dr. Wilfried Menghin vom Berliner Museum für Ur- und Frühgeschichte danach fragt, ob Wissenschaftler nicht eigentlich lautstark die Herausgabe der Beutekunst von der russischen Regierung fordern müssten, machen die Vorträge von Professor Dr. Johannes Fried (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main), Professor Dr. Jan M. Piskorski (Universität Stettin) und Professor Dr. Stefan Troebst (Universität Leipzig) die Verquickung von Geschichte und Politik zum Thema, die in jüngster Zeit gerade im Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn deutlich wird, wenn es etwa um die Suche nach kulturellen Gemeinsamkeiten oder um Wege zur Aufarbeitung der Vertreibung geht.
Die Tagung mit Beiträgen aus der Geschichtswissenschaft, Philosophie, Rechtswissenschaft, Medienwissenschaft und Archäologie wird aber nicht nur Probleme, sondern auch Wege guter wissenschaftlicher Praxis in einem schwierigen Umfeld aufzeigen, die der Hamburger Jurist Professor Dr. Hans-Heinrich Trute in seinem Schlussvortrag noch einmal bilanzieren wird.
Die vom Landesinstitut für Schule und Ausbildung des Landes Mecklenburg-Vorpommern als Lehrerweiterbildung anerkannte Tagung wird finanziell gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig. Die Teilnahme ist kostenlos.
Anmeldungen und Anfragen zur Tagung werden an Herrn Priv.-Doz. Dr. Thomas Terberger (Tel. 03834 86-3243; E-Mail: terberge@uni-greifswald.de) erbeten. Herr PD Dr. Terberger steht auch gerne für Rückfragen der Presse als Ansprechpartner zur Verfügung.
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Martin-Luther-Straße 14, D-17489 Greifswald
Telefon 0 38 34 86-19001
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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