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Wissenschaft
Sperrfrist bis 19:00 Uhr am 21. Dezember 2005
Erstmals hat ein internationales Forscherkonsortium die Genomsequenzen von drei verwandten Schimmelpilzen (Aspergillen) zusammengetragen und verglichen. Die Ergebnisse, die am 22. Dezember in Nature erscheinen, zeigen, dass die drei Pilze - Aspergillus oryzae, Aspergillus fumigatus und Aspergillus nidulans - obwohl zur gleichen Gattung zählend, genetisch so unterschiedlich sind wie Fische und Menschen. Die Resultate erlauben neue Rückschlüsse über die Genomevolution und Genomregulation im Allgemeinen und werden helfen, die Bekämpfung lebensbedrohlicher Infektionen maßgeblich voranzutreiben. An dem weltweiten Konsortium waren zwei deutsche Gruppen beteiligt: die Gruppe um Prof. Gerhard Braus vom Göttinger DFG Forschungszentrum Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB) am Institut für Mikrobiologie und Genetik der Georg-August-Universität in Göttingen sowie Prof. Reinhard Fischer, Leiter der Abteilung Angewandte Mikrobiologie der Universität Karlsruhe (vormals MPI für terrestrische Mikrobiologie, Marburg). Nature, 22.12.2005
Aspergillen (Gieskannenschimmel) begleiten uns auf Schritt und Tritt, kommen in allen Klimazonen der Erde vor - von der Sahara bis zur Antarktis - und haben ganz unterschiedliche Bedeutungen für den Menschen. Kaum eine Spezies legt einen "Jekyll-und-Hyde"-Charakter an den Tag wie Aspergillen. Sie dienen als Lebensmittelveredler, stellen Pencillin her oder können zu lebensbedrohlichen Infektionen bei immungeschwächten Patienten führen. So gilt A. fumigatus z. Z. als einer der "teuersten" Pilze für die weltweiten Gesundheitssysteme, da eine Infektionen mit diesem Pilz beispielsweise bei Leukämie- oder HIV-Patienten sehr rasch zum Tod führen kann.
Unter den insgesamt 185 verschiedenen Aspergillen spielt vor allem einer für die Wissenschaft eine zentrale Rolle: der Aspergillus nidulans. In den letzten fünfzig Jahren hat die Forschung zu A. nidulans das Verständnis zellbiologischer Prozesse beispielsweise auf dem Gebiet genetisch bedingter Krankheiten erheblich vorangetrieben. Seine besondere Rolle für die Wissenschaft verdankt A. nidulans der Tatsache, sich im Gegensatz zu seinen Artgenossen auf zwei Arten fortpflanzen zu können. Er kann sich sowohl über einen asexuellen Fruchtkörper reproduzieren als auch mit einem Partner einen sexuellen Zyklus durchlaufen. Dies macht ihn vor allem für die Genetik besonders interessant, da man ihn kreuzen und als Modellorganismus verwenden kann.
Die komplette Sequenzierung von drei Genomen einer Gattung kommentiert Chris Gunter, Senior Genome Editor bei Nature, folgendermassen: "Dies ist eine wirklich bemerkenswerte Leistung, sowohl technisch als auch wissenschaftlich. Es ist das Ergebnis sechsjähriger Arbeit von 150 Wissenschaftlern auf der ganzen Welt und hat weitreichende Bedeutungen für die Medizin, die Biologie und die Biotechnologie."
"Mit den vorliegenden Ergebnissen beginnt eine neue Ära in der Aspergillus-Forschung," bestätigt Gerhard Braus diese Einschätzung. "Durch die komplette Sequenzierung der drei verschiedenen Aspergillen und deren Vergleich, haben wir eine essentielle Grundlage für zukünftige genetische Untersuchungen geschaffen. Es gibt kaum eine Gattung, von der gleich drei Genome auf einmal komplett sequenziert wurden."
Braus will diese Grundlagen vor allem für die Hirnforschung nutzen. Doch was haben Aspergillen mit dem Gehirn zu tun? Aspergillen erinnern mit ihren schlauchartigen Zellfäden - den Filamenten - an den Nervenfortsatz eines Neurons - das Axon. Filamente und Axone haben mehrere ähnliche Probleme: sie müssen wissen, wohin sie wachsen sollen, sich also gewissermaßen räumlich orientieren können. Auch müssen sie den Transport von Stoffen oder Informationen koordinieren und in beide Richtungen durchführen können. Erste Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass diese Parallelen nicht zufällig zu sein scheinen. "Bei Aspergillus hat man herausgefunden, dass Lisencephalie - ein Gendefekt beim Menschen, der zur Degeneration des kindlichen Gehirns führt - auf einem Defekt in einem Regulator für ein Motorprotein beruht," erläutert Braus den Ansatz. "Während man so etwas beim Menschen kaum untersuchen kann, ist das beim Pilz relativ einfach, weil man hier viel besser gezielte Gentechnologie am Ursprungs-Ort im Chromosom durchführen kann," so Braus weiter. Komplementäre Untersuchungen werden im Labor von Reinhard Fischer in Karlsruhe durchgeführt. Dort wird die Rolle von Kinesinmotorproteinen in A. nidulans untersucht. Diese kleinen, extrem leistungsfähigen Motoren transportieren wichtige Bausteine in den Zellen und ermöglichen das schnelle Wachstum der Pilze. Die gleichen Motoren kommen auch in den Nervenzellen vor und ermöglichen den Langstreckentransport in den Neuronen. Auch hier ist der filamentöse Pilz ein hervorragendes Modell zur Aufklärung einiger Motorfunktionen, deren Kenntnis auch das Nervenwachstum im menschlichen Gehirn zu verstehen hilft.
Hinweis an Redaktionen:
Gerhard Braus (E-Mail: gbraus@gwdg.de, Tel.: 0551 - 393771) und Reinhard Fischer (E-Mail: reinhard.fischer@bio.uni-karlsruhe.de, Tel.: 0721 - 6084630) stehen am Mittwochvormittag, 21. Dezember 2005, für Anfragen und Interviews zur Verfügung.
Pilz-Genom-Projekt in Kürze
Die Idee zur genetischen Sequenzierung des A. fumigatus entstand 1999 auf einem Workshop in den USA, der vom Burroughs Wellcome Fund organisiert wurde. Die Hälfte der Genom-Sequenzierung wurde am Institute for Genome Research (TIGR) in Rockville, USA, durchgeführt, während die andere Hälfte am Sanger Institute in Hinxton, UK, in Zusammenarbeit mit der Universität Manchaster unter Federführung von Prof. David Denning sequenziert wurde.
Die Sequenzierung des A. oryzae begann 1996 am National Institute of Advanced Industrial Science & Technology (AIST) in Tsukuba, Japan, und wurde zwischen 1998 und 2001 durch die Zusammenarbeit mit drei nationalen Instituten, vier Universitäten, sieben Firmen und zwei mit A. oryzae arbeitende Gesellschaften erweitert. A. oryzae wurde am National Institute of Technology and Evaluation (NITE) sequenziert.
A. nidulans wurde am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an der Harvard University in Cambridge (MA) sequenziert, was die vergleichende Analyse der drei Gattungen ermöglichte.
Die Pilze in Kürze
Aspergillus fumigatus ist der gefährlichste aus der Aspergillen Familie. Die durch ihn verursachte invasive Aspergillose dringt vor allem in die Lungen oder Neben- bzw. Stirnhöhlen ein, kann aber auch andere Organe wie das Gehirn befallen. Neben Leukämie-Patienten und Patienten nach Knochenmarkstransplantation, greift die invasive Aspergillose immer häufiger auch andere Patientien-Gruppen (z.B. HIV-infizierte) in Krankenhäusern an und ist äußerst schwierig zu behandeln. Bis zur Hälfte aller Infizierten sterben und einer von 25 Patienten, die in modernen westeuropäischen Krankenhäusern sterben, leiden an Aspergillosis. Der Pilz gilt daher als einer der teuersten für die weltweiten Gesundheitssysteme.
A. fumigatus kann Asthma verstärken und allergische Nebenhöhlenentzündungen bei solchen Menschen verursachen,
die für Allergien anfällig sind. Er kann ebenfalls in Lungenhohlräume eindringen, die durch frühere Erkrankungen verursacht wurden und zu allgemeinen Erkrankung sowie Lungenbluten führen. Auch vor Pflanzen und Tieren macht der A. fumigatus nicht halt. Wohl fühlt sich der Pilz vor allem in Kellerräumen, Wohnraumpflanzen, Komposthaufen, Computern (auch denen im Krankenhaus), gemahlenem Pfeffer und anderen Gewürzen.
Aspergillus nidulans ist das klassische genetische Modell, mit dessen Hilfe seit den 1940er Jahren fundamentale genetische und zelluläre Prozesse erforscht werden. Er dient als Modellorganismus für alle seine Artgenossen und liefert das Fundament für alles Wissen über diese Pilzfamilie. Dank seiner Erforschung versteht die Wissenschaft heute die Biologie der Aspergillen, mitsamt ihrem Zellwachstum und ihrer Zellteilung. Auch die Produktion von Lebensmitteln, industriell nutzbarer Enzyme oder Medikamente ist durch die Forschung an A. nidulans stark beeinflusst worden.
Da das Genom dieses Pilzes nun entschlüsselt wurde, werden Wissenschaftler ihre zukünftigen Forschungen stark ausweiten und beschleunigen können, was auf neue und spannende Erkenntnisse über grundlegende zellbiologische Prozesse hoffen lässt.
Aspergillus oryzae wird sehr häufig in der traditionellen japanischen Küche verwendet, die vor ca. 2000 Jahren in China entstand. Japanische Biotech-Firmen verwenden diesen Pilz vor allem für die Enzym-Produktion und das Verkaufsvolumen japanischer Firmen, die den Pilz in irgendeiner Form nutzen, liegt bei einem Prozent des gesamten japanischen GDP (ca. 50 Billion US Dollar im Jahr). Seine Bedeutung hat ihm in Japan den Spitznamen 'kokkin' eingebracht, was so viel bedeutet wie 'nationaler Mikro-Organismus'.
A. oryzae spaltet Stärke in Zucker und Proteine in Peptide und Aminosäuren, in dem er enorme Mengen an 'hydrolytischen Enzymen' produziert. Neueste Erkenntnisse haben seinen Nutzen für die Produktion verschiedenster Proteine für die industrielle Nutzung stark vereinfacht.
Sporenträger von Aspergillus (Gießkannenschimmel): Die Sporen (C=Conidien) werden in die Luft entlas ...
AG Braus
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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