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Wissenschaft
Jena. (06.10.99) Ein Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IZWR) entsteht an der Friedrich-Schiller-Universität. Damit stoßen die Jenaer das Tor in eine neue Dimension naturwissenschaftlicher Forschung auf. "Der Computereinsatz ist natürlich längst eine Selbstverständlichkeit", beschreibt Prof. Dr. Martin Hermann, Mathematiker und Sprecher der Arbeitsgruppe die Situation, "aber die Anforderungen, etwa an nichtlineare Simulationen, werden inzwischen so aufwändig, dass sie mit herkömmlichen Methoden nicht mehr zu bewältigen sind."
Aufrüsten will die Jenaer Universität mit millionenschwerer Rechentechnik, vor allem aber mit einem Expertenteam, das anwendungsspezifische Softwaremodelle entwirft. - Ein Meilenstein für die Forschung in Thüringens Wissenschaftsmetropole, denn das IZWR wird auch den außeruniversitären Instituten mit Rat und Tat zur Seite stehen. In der chemischen Syntheseplanung und der Arzneimittelforschung, bei der Genomanalyse, in der Festkörper- und in der Astrophysik, in der Hirnforschung oder bei der Modellierung von Umweltdaten: Überall, wo komplexe Systeme von einer Vielzahl äußerer Parameter bestimmt werden, kommen Superrechner zum Einsatz. Das im Alltag bekannteste Beispiel ist sicherlich die Wettervorhersage, "aber daran werden wir uns nicht versuchen", schmunzelt Martin Hermann, "sondern vertrauen weiterhin dem Deutschen Wetterdienst."
Für seinen Kollegen Prof. Ernst Anders in der Organischen Chemie ist die Arbeit mit Hochleistungsrechensystemen inzwischen Normalität. Die Herstellung vieler chemischer Verbindungen probiert er zunächst gezielt in der Rechnersimulation durch, bevor er im Labor zum Reagenzglas greift. "Bei komplexen organischen Synthesen kann die Rechnersimulation binnen weniger Stunden die experimentelle Arbeit von Wochen oder Monaten sparen", erläutert er, "von den Kosten ganz zu schweigen."
Auch der Strukturbiologe Prof. Dr. Rolf Hilgenfeld und sein Team am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMB) verbringen bereits rund 60 Prozent ihrer Forschungsarbeit am Computer. Hier werden die experimentell ermittelten Kristallstrukturmodelle von Proteinen und Nukleinsäuren mathematisch überarbeitet. Etwa der menschliche Blutgerinnungsfaktor XIII, dessen Struktur Hilgenfelds Mannschaft im vergangenen Jahr hochauflösend aufklärte, besteht aus rund 12.000 Atomen. "Das ergibt für die dreidimensionale Darstellung 48.000 Parameter", rechnet Hilgenfeld vor, "mit einem gewöhnlichen Personalcom-puter sind Sie da aufgeschmissen."
Noch in diesem Herbst steht der Uni Jena die Anschaffung eines 2,5 Mio. Mark teuren Shared-Memory-Processing-Computers ins Haus, der mit rund 100 Gigaflops pro Sekunde etwa die 200fache Rechenleistung eines modernen Pentium-PCs schafft. Das entscheidende Plus des neuen ,Superhirns': Es kann mit mehreren, untereinander vernetzten Prozessoren eine Fülle von Rechenoperationen gleichzeitig parallel erledigen, so dass komplexe Aufgaben quasi arbeitsteilig erfüllt werden. Allerdings bewältigt die Maschine die Arbeitsplanung nicht selbsttätig, sondern benötigt mathematische Befehlsketten, sogenannte Algorithmen, die für jede Anwendung maßgeschneidert werden müssen.
Dies ist die Aufgabe von Mathematikern und Informatikern im neuen Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen. "Für die meisten dieser praktischen Probleme reichen die Algorithmen, die wir bei herkömmlichen sequentiellen Verfahren einsetzen, nicht aus, so dass wir auch ganz neue Algorithmen entwickeln müssen", erläutert Prof. Martin Hermann. "Das ist dann die große Stunde für uns Numeriker." Sein Institut für Angewandte Mathematik verbindet hier die Servicearbeit für andere Fachdisziplinen mit eigener mathematischer Forschung. Mit dem Vorschlag, das IZWR einzurichten, habe er bei seinen naturwissenschaftlichen Kollegen nur ein Steinchen angestoßen und eine Lawine der Zustimmung ausgelöst, so Hermann. In diesem Wintersemester findet erstmalig ein interdisziplinäres Forschungsseminar "Wissenschaftliches Rechnen in den Naturwissenschaft und der Medizin" statt, das auch für Studenten höherer Semester zugänglich ist.
Parallel zum neuen Zentrum bereiten Mathematiker, Informatiker und Biologen sogar die Etablierung eines neuen Studiengangs Bioinformatik an der Jenaer Universität vor. "Allein in unserer 75köpfigen Abteilung ,Genomanalyse' arbeiten zehn Bioinformatiker", erläutert IMBDirektor Rolf Hilgenfeld. "Der Bedarf an solchen Fachkräften mit interdisziplinärer Kompetenz ist riesig und wird in den kommenden Jahren exponenziell wachsen."
Ansprechpartner: Prof. Dr. Martin Hermann
Tel.: 03641/946230, Fax: 946202, e-mail: mhermann@bigfoot.com
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
http://www.minet.uni-jena.de/~izwr
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Informationstechnik, Mathematik, Physik / Astronomie
regional
Organisatorisches
Deutsch
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