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08.02.2006 15:19

Verantwortung der Wissenschaft

Myriam Hönig Büro Berlin - Informations-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften

    Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler für ihr Tun? Vier Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen haben in öffentlichen Vorträgen aus den Gebieten Mikrobiologie, Medizin, Theologie und Rechtswissenschaften Denkanstöße zu dieser Frage gegeben. Die Vorträge sind nun als Sammelband erschienen.

    Die Lehrmeinung schien so einleuchtend. Wer einen schwachen Herzmuskel hat, darf kein Medikament bekommen, das Puls und Herzleistung mindern kann. Die so genannten Beta-Blocker schieden für die Therapie aus. Ein Fehler, wie sich 1999 herausstellte. Denn sie begünstigen Umbauprozesse, die letztlich die Struktur und die Funktion des Herzens verbessern. Wie wichtig es in der klinischen Forschung ist, etablierte Dogmen oder nahe liegende Schlüsse zu hinterfragen, zeigt der Kardiologe Gerd Hasenfuß an mannigfachen Beispielen. Die Konsequenzen am Krankenbett seien gravierend, selbst noch so logische Annahmen könnten Menschenleben gefährden. Genauso wie falscher Ehrgeiz. Nie, betont Hasenfuß, dürfe der Erfolg des forschenden Arztes im Vordergrund stehen, allein das Wohlergehen des Patienten müsse seine Handlungen bestimmen.

    Welche weiteren Grenzen der Forschungsfreiheit gesetzt sind, lotet Christian Starck aus der Perspektive eines Juristen aus. Neben den Vorgaben des Gesetzgebers geht er dabei auf die Schranken ein, die sich aus der Forschung selbst ergeben: die Regeln "guter wissenschaftlicher Praxis" und die daraus abgeleiteten Kriterien für wissenschaftliches Fehlverhalten. Ein Katalog, gegen dessen zentrale Punkte - Erfinden und Verfälschen von Daten, Auswählen und Zurückweisen unerwünschter Ergebnisse, Manipulation einer Abbildung oder Darstellung - jüngst ein koreanischer Stammzellforscher verstoßen hat. Starck kritisiert Verstöße dieser Art als "geradezu wissenschaftsfeindlich".

    Das Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Verantwortung, in dem sich die molekularen Biowissenschaften bewegen, ist das Thema des Mikrobiologen Gerhard Gottschalk. Der Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften weist in seinem Aufsatz darauf hin, wie weit die Medizin von einem Sieg über die Infektionskrankheiten entfernt ist: Allein 99 Prozent der Bakterienarten entziehen sich Untersuchungen im Labor. Hilflos ist die Forschung dennoch nicht. Der Blick ins Genom der Mikroorganismen erlaubt Rückschlüsse darauf, warum diese so schädlich für den Menschen sind und wie man sie bekämpfen kann. Die Kehrseite: Solche Erkenntnisse könnten auch der Entwicklung von Biowaffen dienen.

    Wesentlich weniger kontrovers scheint da die Theologie, deren praktische Verantwortung Joachim Ringleben beleuchtet. Ein Trugschluss, wie es sich zuletzt sehr deutlich in der Zeit des Nationalsozialismus herausstellte. Die strenge Theologie Karl Barths bot damals eine Möglichkeit zum Widerstand. Das Festhalten an der biblischen Botschaft eröffnete Perspektiven jenseits der übermächtigen "Deutschen Christen". Doch nicht nur in solch extremen Situationen sei die Theologie "praktisch". Auch heute schärfe sie den Blick auf den Menschen und sein Tun, setze ethische Grenzen und erinnere an seine Verantwortung.

    Bibliographische Angaben

    Christian Starck (Hrsg.): Verantwortung der Wissenschaft. Erschienen bei Mohr Siebeck, Tübingen, 2005, ISBN 3-16-148812-1, Preis: 24 Euro.

    Die Autoren

    Die molekularen Biowissenschaften im Spannungsfeld: Gerhard Gottschalk, Professor der Mikrobiologie, seit 1976 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, seit 2003 Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

    Verantwortung in der klinischen Forschung: Gerd Hasenfuß, Professor der Inneren Medizin, seit 2002 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

    Theologie in praktischer Verantwortung: Joachim Ringleben, Professor der Systematischen Theologie in Göttingen, seit 1997 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

    Forschungsfreiheit und ihre Grenzen: Christian Starck, Professor des Öffentlichen Rechts, seit 1982 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.


    Ihre Ansprechpartner

    Ulla Deppe, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Tel.: 0551 - 39 53 62, udeppe@gwdg.de

    Jana Schlütter, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Büro Berlin, Tel.: 030 - 325 98 73 72, schluetter@akademienunion-berlin.de

    "Kompetenz durch Kooperation" lautet der Leitspruch der 1751 gegründeten Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Damit hält sie nicht nur an dem Gedanken der Einheit der Wissenschaften fest, sondern hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu führen. Der Forschungsschwerpunkt der Göttinger Akademie liegt in der geisteswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Hier leitet sie langfristig angelegte und international angesehene Forschungsvorhaben. In vielen ihrer Forschungsprojekte kommt der interdisziplinäre Charakter zwischen geisteswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Forschung zum Tragen. Regelmäßig wendet sich die Göttinger Akademie mit einem breiten Spektrum von Veranstaltungen an das wissenschaftlich interessierte Publikum. Dazu gehören nicht nur Vortragsabende zu aktuellen Themenstellungen, öffentliche Akademiesitzungen und gemeinsame Ringvorlesungen mit der Universität Göttingen, sondern auch internationale Konferenzen und Tagungen.

    Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ist die Dachorga-nisation von sieben Wissenschaftsakademien, die sich zur Umsetzung gemeinsamer Interessen zusammengeschlossen haben. Unter dem Dach der Union sind mehr als 1600 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedenster Fachrichtungen vereint, die zu den national und international herausragenden Vertretern ihrer Disziplinen gehören. Die Union koordiniert das "Akademienprogramm", das eines der größten und bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Forschungsprogramme der Bundesrepublik Deutschland darstellt. So ist die Union zuständig für die Koordinierung und Durchführung gemeinsamer Forschungsvorhaben ihrer Mitgliedsakademien. Sie empfiehlt die Bildung von Schwerpunkten für verwandte Projekte, fördert die Kommunikation zwischen den Akademien und betreibt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie kommuniziert mit Wissenschaftsorganisationen des In- und Auslandes und entsendet Vertreter in nationale und internationale Wissenschaftsorganisationen. Eine organisierte Zusammenarbeit der deutschsprachigen Akademien der Wissenschaften gibt es bereits seit über 100 Jahren. Sie geht zurück auf das so genannte "Kartell", das 1893 in Leipzig für die Betreuung von über 30 gemeinsamen Akademie-Forschungsvorhaben gegründet wurde.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Informationstechnik, Medizin, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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