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16.02.2006 16:33

Machtverhältnisse und Spielräume auf der "Bühne DDR"

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Historiker der Universität Jena starten Forschungsprojekt zu Kulturkonflikten in der DDR-Provinz

    Jena (16.02.06) Im November 1981 wurde der Liedermacher Stefan Krawczyk mit seiner Band "Liede(h)rlich" bei den Chansontagen in Frankfurt/Oder prämiert. Während sich die Künstler durch diese Auszeichnung von einer repräsentativen Institution des DDR-Kulturbetriebs in ihrer Arbeit bestätigt sahen, witterten hauptamtliche Mitarbeiter der Geraer Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Gefahr. Deshalb brachten sie 1982 einen "Zentralen Operativen Vorgang" (ZOV) auf den Weg, um die Kulturszene der Stadt in den kommenden drei Jahren zu observieren und angeblicher "politischer Untergrundtätigkeit" vorzubeugen. Entgegen der sonst üblichen Praxis forderte das Ministerium in Berlin den ZOV "Bühne" nicht zur "zentralen" Leitung an, sondern die Regie verblieb vor Ort - allerdings erging auch keine Weisung, die Bespitzelung der ausgezeichneten Künstler zu unterlassen.

    Dieser Vorgang ist ein Beispiel für das ambivalente Verhältnis zwischen Künstlern und DDR-staatlicher Kunstlenkung, aber auch zwischen zentralem und provinziellem Umgang bei diesem Thema. Dieses Verhältnis werden Historiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Leitung von Prof. em. Dr. Lutz Niethammer in Zusammenarbeit mit der Berliner Birthler-Behörde untersuchen. Sie starten ein Forschungsprojekt zum Thema "Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Kulturkampf in der Provinz der späten DDR". Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zwei Jahre mit zwei halben Wissenschaftlerinnen- und einer Hilfskraftstelle sowie Sachmitteln in Höhe von 11.000 Euro gefördert.

    Die Studie soll - am Beispiel der damaligen Bezirkshauptstadt Gera - Kulturkonflikte in der Provinz der späten DDR analysieren, die sich aus dem besonderen Kulturverständnis der Staatsmacht ergaben, denn schließlich war Kunst in der DDR staatstragend. Das Verhältnis zwischen der Partei und den Künstlern gleich welcher Sparte war immer ambivalent. Während die SED Künstler nur zu gerne als Propagandisten in Dienst nahm, hofften viele Künstler, mit ihrer Arbeit tatsächlich etwas in "ihrem" Land verändern zu können. Glaubten die Funktionäre der SED dagegen, die Kontrolle über die Arbeit und Ergebnisse der Künstler zu verlieren, griffen sie - auch mithilfe von gesteuerten Verbänden und staatlichen Einrichtungen - rigide ein, indem sie den kulturpolitischen Kurs änderten, angebliche Abweichler öffentlich rügten, sie aus den Künstler-Verbänden ausschlossen oder später auch des Landes verwiesen.

    Dennoch haben die Jenaer Zeithistoriker Unterschiede zwischen zentralem Agieren und dem Handeln weitab von Berlin ausgemacht. In der neuen Studie wollen sie die Motivationen für dieses differenzierte Agieren analysieren. Was unterlag staatlichen Vorgaben und was individuellen Anschauungen? Zudem sollen die Haltung und die biografische Prägung sowohl der Künstler als auch der Staats- und Sicherheitsfunktionäre erkundet werden. Dazu werden die Historiker neben intensiven Aktenstudien auch Künstler und Kulturfunktionäre sowie Sicherheitskräfte befragen. Gesucht werden für diese Zeitzeugen-Interviews noch Beteiligte aus allen Bereichen.

    Wichtig ist es den Projektmitarbeiterinnen Dr. Jeanette Michelmann und Agnès Pilleul-Arp, Schwarzweißschemata - also die Täter- und Opfer-Rollen - zu überwinden. Vielmehr geht es darum, den Alltag der Künstler, ganz gleich ob Puppenspieler, Schauspieler oder Liedermacher, darzustellen, die mit ihrem Repertoire die Zustände in ihrem Land aufgriffen. Angestrebt wird eine faktentreue Rekonstruktion der komplexen Motiv-, Verantwortungs- und Konfliktstrukturen in Verwaltung und Partei ebenso wie bei den Künstlern und ihren Verbänden. Dadurch hat das Projekt allgemeingültiges Potenzial. Denn die Erforschung und Gegenüberstellung der offiziellen und inoffiziellen kulturellen Szene in der Stadt Gera in den 1980er Jahren ist nur ein Beispiel für einen allgemeineren Konflikt, wie die Historiker der Universität nun herausarbeiten wollen.

    Zum Projektstart hält Dr. Matthias Braun von der Berliner Birthler-Behörde einen öffentlichen Vortrag über "SED-Kulturpolitik und Staatssicherheit in Theorie und Praxis". Braun, der am neuen Projekt mitwirkt, spricht am Freitag (17.02.) um 14.15 Uhr im Seminarraum 13 der August-Bebel-Straße 4.

    Kontakt:
    Dr. Jeannette Michelmann
    Historisches Institut der Universität Jena
    August-Bebel-Str. 4
    07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944489
    E-Mail: buehneddr@gmx.net


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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