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15.11.1999 09:07

Historische Entwicklungslinien des Strafrechts

Dr. Gerhard Trott Medien und News
Universität Bielefeld

    Historische Entwicklungslinien des Strafrechts
    vom Frühmittelalter bis zum 16. Jahrhundert

    Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld
    vom Freitag, den 19. November, bis Sonntag, den 21. November

    Das öffentliche Strafrecht, bei dem staatlich bestellte Richter über Delikte und Delinquenten zu Gericht sitzen und Strafen verhängen, hat es nicht immer gegeben. Noch im Stadtrecht des späten Mittelalters war es möglich, daß sich nach einem Totschlag die Familien von Täter und Opfer über die Folgen geeinigt haben, ohne daß ein Gericht eingeschritten wäre. Oberstes Ziel war in solchen Fällen die Wiederherstellung des sozialen Friedens und nicht die Befriedigung eines abstrakten Gerechtigkeitsgedankens. Heute wäre so etwas nicht denkbar. Unser modernes Rechtssystem beruht auf einer strafrechtlichen Dogmatik, die vorsieht, daß bei bestimmten Delikten bestimmte Strafen auszusprechen sind, und daß die Richter die Aufgabe haben, die Wahrheit zu ermitteln und die Strafen zu verhängen. Alle gravierenderen Delikte sind Offizialdelikte, die einer privaten Regelung entzogen sind.

    Die historische Entwicklung des Strafrechts ist lange Zeit als ein kontinuierlicher Prozeß der ständigen Verfeinerung und Ausdifferenzierung eines abstrakten Normensystems gesehen worden. Diese Sichtweise kommt wesentlich daher, daß das Strafrecht im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit das Strafrecht von den Rechtsgelehrten (vor allem der oberitalienischen Schule) begrifflich analysiert und vereinheitlicht worden ist. Bei dieser Sichtweise ist verloren gegangen, daß das Strafrecht seine lebendigen Wurzeln in den unterschiedlichsten Lebensbereichen hat: Leben und Ehre unter Standesgleichen und Nachbarn, Disziplin und Gewaltanwendung innerhalb der Familie, Schutz der Eigentumsordnung gegenüber dem Zugriff außenstehender Dritter, Bewahrung der herrschaftlichen Funktionszusammenhänge und der für alle verbindlichen Rechtgläubigkeit - um einige wichtige Ursprungsbereiche von Strafrecht zu nennen.

    Der Prozeß der Vereinheitlichung und der dogmatischen Durchformung des Strafrechts ging aber gerade wegen seiner vielfältigen sozialen Hintergründe vermutlich sehr langsam und keineswegs bruchlos vonstatten. Das haben historische Untersuchungen ergeben, die unter anderem im Rahmen des Forschungsschwerpunkts der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts" durchgeführt worden sind. Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts war ein sozial sehr komplexer und keineswegs so stringenter Prozeß, wie es die Konstruktionen der Rechtsdogmatiker glauben machen.

    Die historischen Analysen können auch für unser modernes Rechtssystem von Bedeutung sein. Möglicherweise muß es auch im Strafrecht nicht immer um abstrakte Werte wie Wahrheit und Gerechtigkeit gehen; möglicherweise genügt es, wenn ein Kompromiß erzielt wird, der beide Parteien zufriedenstellt, wie es etwa im Zivilrecht möglich ist; für bestimmte Sachverhalte sogar außerhalb des Rechtswegs über Schiedsgerichte. Das amerikanische Strafrecht kennt die bei uns nicht vorhandene Rechtsfigur des "plea bargaining", des Verhandelns über das Strafmaß. Das Mittelalter ist uns mit seinen Rechtsvorstellungen vielleicht nicht fremder als zeitgenössische Rechtssysteme anderer Kulturkreise. So mag es zu denken geben, daß heute wie im späten Mittelalter die vom Gericht verhängten Strafen sehr oft nicht in vollem Umfang vollstreckt werden; damals aufgrund der häufigen Gnadenerlasse, heute aufgrund von Strafmilderungs- und Straferlaßregeln. Recht und Gerechtigkeit ist durch das Urteil genüge getan; wenn es um die lebenspraktische Umsetzung geht, kommen andere Kriterien zum Tragen.

    In der nächsten Woche treffen sich am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld etwa 40 Historiker, Rechtshistoriker und Rechtswissenschaftler zu einer Tagung, die die Genese des Strafrechts zum Gegenstand hat. Es soll dabei eine Summe der Ergebnisse der langjährigen Arbeit an dem genannten Forschungsschwerpunkt der Deutschen Forschungsgemeinschaft gezogen werden. Die Tagung wird veranstaltet von dem Bielefelder Historiker und Mediävisten Prof. Dr. Neithard Bulst und von dem Würzburger Rechtshistoriker Prof. Dr. Dietmar Willoweit.

    Weitere Informationen im Internet unter
    http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/bulst_nov.html
    Informationen zur Tagungsorganisation beim Tagungsbüro des ZiF:
    Marina Hoffmann, Tel.: (0521) 106-2768, Fax: (05 21) 106-60 24, Email: martina.hoffmann@uni-bielefeld.de

    Inhaltliche Auskünfte bei
    Prof. Dr. Neithard Bulst,
    Universität Bielefeld
    Tel. O521/106-3249
    Fax 0521/106-2966
    Email: nbulst@geschichte.uni-bielefeld.de
    Email: neithard.bulst@geschichte.uni-bielefeld.de


    Weitere Informationen:

    http://lili.uni-bielefeld.de/~braungar/termine.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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