idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Medieninformation der TU Berlin Nr. 166 vom 27. Juni 2006
Achtung: Sperrfrist: 27. Juni 2006, 16.00 Uhr
Die Diskussion um den mündigen Patienten zeigt: Für die einen ist er die
Lösung, für die anderen ein Problem
Er lebt gesundheitsbewusst und vermeidet alles, was seiner Gesundheit schaden könnte. Er raucht also nicht und treibt keine gefährlichen Sportarten. Falls er doch krank wird, informiert er sich über seine Krankheit und mögliche Therapien. Er tritt dem Arzt als kooperierender, mitdenkender, selbstbestimmt handelnder, Kosten bewusster Partner gegenüber. Das ist in etwa das, was wir uns unter dem mündigen Patienten vorstellen.
Seit geraumer Zeit wird er immer häufiger in gesundheitspolitischen Debatten ins Feld geführt. Dr. Anja Dieterich hat sich in ihrer Magisterarbeit "Eigenverantwortlich, informiert und - anspruchsvoll ... Der Diskurs um den mündigen Patienten aus ärztlicher Sicht" diesem Thema gewidmet. "Ich bin der Frage nachgegangen, wie der Begriff des mündigen Patien-ten derzeit verwendet wird, welche Interessen und Ziele dabei verfolgt werden und welche Zusammenhänge zu aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen auszumachen sind", sagt Anja Dieterich. Konzentriert hat sie sich dabei darauf, wie der Begriff von den deutschen Ärztinnen und Ärzten gebraucht wird. Dafür wertete sie das "Deutsche Ärzteblatt" von 1996 bis 2005 aus. Ziel ihrer Arbeit war es, den Diskurs der Ärztinnen und Ärzte zu rekonstruieren und den jetzigen Stand zu analysieren. "Mir ging es nicht darum, eine einzig gültige Definition zu erarbeiten oder vermeintlich richtige oder falsche Verwendungsweisen aufzuzeigen."
Für ihre Arbeit, entstanden im Rahmen ihres postgradualen Studiums Gesundheitswissenschaften/Public Health am Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin, erhielt die Medizinerin heute den 3. Preis des Hertha-Nathorff-Preises. Die mit 2500 Euro dotierte Auszeichnung wird von der Berliner Ärztekammer verliehen. Erstmals wurden in diesem Jahr die besten Magisterarbeiten aller gesundheitswissenschaftlichen postgradualen Studiengänge in Berlin prämiert.
Anja Dieterich fand heraus, dass der mündige Patient in vier Zusammenhängen diskutiert wird:
o Recht und Ethik,
o Wissen und Information,
o Strukturprobleme und
o Finanzierungsfragen.
Im Diskursstrang Recht und Ethik zum Beispiel wird Mündigkeit als Recht des Patienten verstanden, auf das Gesundheitswesen Einfluss zunehmen, aber auch als verantwortungsbewusstes Verhalten gegenüber dem Gemeinwohl. "Hier drücken sich sozialpolitische Tendenzen aus, die Zuständigkeit für das eigene Wohlergehen auf den Einzelnen zu verlagern", sagt Dr. Anja Dieterich.
Im Diskursstrang Wissen und Information geht es um die zunehmende Verfügbarkeit von Fachinformationen und den daraus resultierenden Wissenszuwachs für die Patienten. Als problematisch wird dabei angesehen, dass der sich als mündig verstehende Patient, ärztliche Entscheidungen zunehmend in Frage stellt und Behandlungsmethoden einfordert, von denen er glaubt, dass sie für ihn das Richtige sind. Andererseits wird eine angemessene Aufklärung von Patienten und die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Arzt und seinem adäquat informierten Patienten für zunehmend wichtig gehalten.
In den Diskurssträngen Strukturprobleme und Finanzierungsfragen wird der mündige Patient als Argument für Gesundheitsreformen eingeführt oder soll selbst steuernd aktiv werden.
Meist finden sich diese Darstellungsweisen des mündigen Patienten nicht getrennt, sondern in charakteristischen Verknüpfungen. Der mündige Patient erscheint als Schlüssel zur Lö-sung aktueller Probleme im deutschen Gesundheitssystem. Anja Dieterich: "Indem ihm Verantwortungsbewusstsein, Lernfähigkeit und die Fähigkeit zugeschrieben werden, nach rationalen Entscheidungskriterien zu handeln, scheint er ideal zu sein, die strukturellen und finanziellen Probleme im Gesundheitswesen zu lösen." So solle der mündige Patient durch eigenverantwortliches Verhalten, das heißt durch Risikovermeidung, Gesundheitsprävention betreiben, durch Leistungswahl Versorgungsprozesse mitsteuern und dadurch die Effizienz erhöhen und mithin Kosten sparen.
Anja Dieterich resümiert in ihrer Arbeit, dass der Begriff des mündigen Patienten je nach ärztlichem Selbstverständnis und den daraus resultierenden Interessen und Zielen strategisch eingesetzt werde - als Lösung, um strukturelle oder finanzielle Reformen durchzusetzen, oder als Problemfall, der sich selbst überschätzt und ärztliches Expertentum bedroht.
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Dr. Anja Dieterich, Institut für Allgemeinmedizin Charité, Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Charité-Platz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030/450 51 41 23, E-Mail: anja.dieterich@charite.de
Diese Medieninformation finden Sie auch im Internet unter der Adresse:
http://www.tu-berlin.de/presse/pi/2006/pi166.htm
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Personalia
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).