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Wissenschaft
Workshop widmet sich den Anmerkungspraktiken in literarischen Texten
Seit Noten in literarischen Texten Verwendung finden*, haben sie sich als enorm vielfältig erwiesen. So dienen sie seit mehr als 300 Jahren zum Ausweis bibliographischer Daten und Quellenangaben, zum Nachweis von Zitaten oder zusätzlichen Informationen, für Erläuterungen erklärungsbedürftiger Textteile, Kommentare und Spezifikationen bis hin zu Übertragungen fremdsprachiger Textelemente und mehr. Ein Workshop mit Teilnehmern aus den USA, Belgien, Frankreich, England, Schweiz und Deutschland widmet sich bis noch bis morgen (30. Juni) an der Universität Erfurt dieser Thematik. Der Workshop, der im Senatssaal (über der Mensa) auf dem Campus in der Nordhäuser Straße 63 stattfindet, interessiert sich für die funktionale Vielfalt von Anmerkungspraktiken und deren semiologische Potentiale, die in unterschiedlicher Weise in der Erzählliteratur realisiert werden.
Weitere Informationen zum Workshopthema:
In ihren interessantesten Ausprägungen dienen Noten auch dafür, narrative Linien zu übernehmen, zu unterbrechen oder sie zu vereiteln. Gerade ihre dys- und kontrafunktionalen, sinnentstellenden, lektüreverlangsamenden und -verhindernden Fähigkeiten, ausgelöst z.B. durch leere oder falsche Noten, irreführende Bezüge oder gar Noten ohne Text, stellen sowohl ein lineares Textkonzept als auch die gängige Definition von ?Para?-Textualität in Frage.
Noten sind als marginale Textelemente, die grenzregelnde und liminale Aufgaben übernehmen, dabei immer mit einer Doppelfunktion versehen; sie verbinden und trennen, stiften und verhindern Verbindungen zwischen Text-Text und Text-Leser, regeln Hierarchien, konstituieren Wertungen und ziehen Unterscheidungen ein (oben/unten, wichtig/unwichtig, zentral/marginal), die oftmals gerade diese Unterscheidungen wieder ad absurdum führen. Dadurch werden sie durch eine paradoxe Doppelbewegung charakterisiert: Noten operieren zum einen wie andere integrierte Anmerkungen (eingeklammerte, durch Kommata - oder Parenthesen - abgesetzte Textteile) als Erweiterungen, Einschübe, Amplifikationen ihrer Bezugstexte; zum anderen verschlanken und komprimieren sie den ihnen zugeordneten Text, konzentrieren ihn auf das Wesentliche, verdichten und verknappen ihn, während sie selbst das Sekundäre, Ephemere, Nebensächliche, Marginale, Belanglose, Unwichtige und Dezentrale inkorporieren und damit auslagern. Auf diese Weise reduzieren und amplifizieren Noten Texte gleichermaßen. Notentexte könnten somit als exemplarischer Fall polyphoner, vielschichtiger und dichter Literatur gelten, was zu einem unkonventionellen, nichtlinearen, kursorischen Lesen nicht nur einlädt, sondern ein solches geradezu erfordert.
* Fußnoten seit gut 300 Jahren, Endnoten schon seit dem 16. Jhdt.; Marginalnoten durch Vorläufer in der handschriftlichen Annotationspraxis entsprechend viel länger, auch im Druck wohl schon Ende des 15. Jhdts.
Programm:
Donnerstag, 29. Juni 2006 [Ort: Kleiner Senatssaal]
9:00-10:00 Eröffnungsvortrag
Friedrich Forssman (Kassel)
Anmerkungen, Noten, Typographie
10:00-10:45
Johannes K. Kipf (München)
"Pluto ist als vil als Lucifer." Zur ältesten Verwendung gedruckter Marginalnoten in deutschen literarischen Texten (bis 1520)
10:45-11:00 kurze Kaffeepause
11:00-11:45
Remigius Bunia (Siegen)
Fußnoten zitieren
11:45-12:30
Thorsten Bothe (Erfurt/Weimar)
"Zirkumfession": "...geschrieben in einer Art innerem Rand..." - Eine Randbemerkung
12:30-13:30 Mittagspause
13:30-14:15
Sabine Mainberger (Berlin)
Flußnoten. Zu Daniel Spoerri et al.: An Anecdoted Topography of Chance
14:15-15:00
Holt Meyer/Sabine Zubarik (Erfurt)
Zum Zuviel zu viel: Fußnoten und Klammern: Die Wiederaufnahme: Angelus Silesius' Cherubinischer Wandersmann und Robbe-Grillets La Reprise
15:00-15:15 kurze Kaffeepause
15:15-17:30
Bettine Menke (Erfurt)
- Gedankenstriche -
Till Dembeck (Siegen)
Text ohne Noten? Für eine Texttheorie des Ornamentalen am Beispiel von Rabener und Jean Paul
Magnus Wieland (Zürich)
Parasitärer Paratext. Die "Hand in margine" in Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Annina Klappert (Köln)
Hypertext und Fußnote. Medientheoretische Anmerkungen zu einem literarischen Phänomen
17:30-18:15 Snack-Pause
18:15-19:45 Abendvortrag [Ort: LG4, D08]
Andréas Pfersmann (Nizza)
Zur Parodie des kritischen Apparates im philologischen Roman
Freitag, 30. Juni 2006 [Ort: Kleiner Senatssaal]
9:00-9:45
Eva Erdmann (Erfurt)
Der Autor wider Willen und die Literatur als Fußnote: Cervantes' Don Quijote
9:45-10:30
Bernhard Metz (Berlin)
Falsche Noten: Macpherson, Chatterton, Poe
10:30-10:45 kurze Kaffeepause
10:45-11:30
Julika Funk (Erfurt)
"Unsofort & Etchetera" oder Die Erfindung der Literatur(hinweise) in Georges Perecs Romanen
11:30-12:15
Annette Gilbert (Berlin)
"Dieses ganze Buch ist ein Sich-Aussprechen, eine Verkörperung der russischen Seele." Dmitrij Galkovskijs Die unendliche Sackgasse
12:15-13:15 Mittagspause
13:15-14:00
Anthony Enns (Iowa)
Paratextuality and the lost Urtext: Nabokov's Pale Fire, Ballard's "The Index," and Dunn's Ibid: A Life
14:00-14.45
Iannis Goerlandt (Gent)
Fußnoten und Performativität bei David Foster Wallace
14:45-15:00 kurze Kaffeepause
15:00-15:45
Franziska Regner (Mannheim)
Text als Anmerkung. Zur Notenpraktik in Nicolás Gómez Dávilas Notas
15:45-16:30
Bettina Kümmerling-Meibauer (Tübingen)
Crosswriting und Mehrfachadressiertheit: Fußnoten in kinderliterarischen Texten
16:30-17:00
Abschlussdiskussion und Ausblick
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
regional
Buntes aus der Wissenschaft, Organisatorisches, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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