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16.12.1999 15:46

Die Duma ist besser als ihr Ruf

Dr. Werner Boder Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Forschungsprojekt zum Parlamentarismus in Russland mit ersten Ergebnissen

    Hannover (vws) Die dritten Parlamentswahlen postsowjetischer Zeitrechnung in Russland (am 19. Dezember) stellen einen weiteren Meilenstein auf dem mühevollen Weg des Landes in Richtung einer liberalen Demokratie dar. Die Abgeordneten konnten in der vergangenen Legislaturperiode ihren Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess ausweiten. Durch ihre oft erfolgreiche Tätigkeit widerlegen sie die ursprünglich weit verbreitete Einschätzung, wonach die aktuelle russische Verfassung einer parlamentarischen Entwicklung jede Grundlage entziehe. Allerdings sind noch immer viele russische und auch westliche Beobachter der Überzeugung, die russische Legislative trage die Hauptschuld daran, dass das gesamte Regime von einer demokratischen Konsolidierung nach wie vor weit entfernt ist. Die Volksvertreter seien grundsätzlich reformfeindlich eingestellt, sie blockierten die dauerhafte Verankerung demokratischer Standards, außerdem arbeiteten sie unprofessionell und verfolgten vorwiegend ihre persönlichen Interessen, lauten gängige Vorwürfe.

    "Die Duma agiert inzwischen erheblich professioneller und effizienter als ihr schlechter Ruf vermuten lässt. Viele der Vorwürfe halten einer fundierten empirischen Überprüfung nicht Stand", meint dagegen Dr. Silvia von Steinsdorff. Sie ist Mitarbeiterin in dem von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt "Parlamentarismus in Russland", das seit gut einem Jahr an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Lehrstuhl Politische Systeme Osteuropas, Prof. Dr. Margareta Mommsen) durchgeführt wird. Während ihrer Forschungsaufenthalte in Moskau ist es ihr gelungen, bereits bestehende Kontakte zu Abgeordneten und Mitarbeitern des Apparats der Staatsduma auszubauen und den Arbeitsalltag der Parlamentarier genauer kennenzulernen. Sie erhielt jederzeit Zutritt zum Parlamentsgebäude, konnte das interne Informationssystem nutzen und sogar an verschiedenen Ausschusssitzungen und Fraktionsrunden teilnehmen. Ihrer Meinung nach hat die große Mehrheit der Abgeordneten grundsätzlich die Bereitschaft unter Beweis gestellt, in wichtigen Sachfragen pragmatisch und kompromissbereit mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Mit Ausnahme einiger, allerdings äußerst medienwirksamer "schwarzer Schafe" seien die russischen Abgeordneten außerdem bereit und fähig, viel zu leisten. So hat die Staatsduma in den ersten Jahren ihrer Existenz etwa fünfmal so viele Gesetze verabschiedet wie der deutsche Bundestag im vergleichbaren Zeitraum.

    Dass die russische Legislative trotz wichtiger Schritte in Richtung einer parlamentarischen Demokratie bislang nicht in der Lage ist, alle zentralen Funktionen eines demokratischen Parlaments kompetent auszufüllen, führt die Wissenschaftlerin vor allem auf das unterentwickelte Parteiensystem zurück: "Mit Ausnahme der Kommunistischen Partei verfügt keine der in der Duma vertretenen Parteien bisher über einen nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung." Auch während dieses Wahlkampfes habe sich die extreme Volatilität und Fragmentierung der russischen Parteienlandschaft gezeigt. Blöcke und Wahllisten mit den abenteuerlichsten Programmen und keiner Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, seien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Tatsache, dass diesmal "nur" noch 29 Listen auf dem Wahlzettel stehen, während zuletzt 43 Parteien und Bündnisse angetreten waren, lässt nach Einschätzung von Dr. von Steinsdorff zumindest langfristig auf eine gewisse Konsolidierung des Parteiensystems hoffen.

    Auch wenn voraussichtlich wiederum keine politische Kraft über eine stabile Mandatsmehrheit verfügen wird, könnte die neue demokratische Legitimation der Abgeordneten ihre Durchsetzungsfähigkeit erhöhen, vermutet die Politikwissenschaftlerin. Wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel die lange geplante Beschneidung der verfassungsrechtlichen "Allmacht" des Staatspräsidenten oder die Vollendung der dringend benötigten neuen Steuergesetzgebung könnten dann zügig verabschiedet werden.

    Es ist zu erwarten, dass die Volksvertreter die Zusammensetzung der Regierung wesentlich energischer beeinflussen werden als vor vier Jahren, und dass sie möglicherweise bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr erstmals eine wichtige Rolle als "Königsmacher" spielen werden.

    Kontakt: Dr. Silvia von Steinsdorff, Tel.: 030/85961694


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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