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Wissenschaft
Germanist der Universität Jena konzipiert Ausstellung in der Erfurter Uni-Bibliothek
Jena (17.08.06) Sie sind rund 900 Jahre alt, doch man kennt sie erst seit kurzem. Manche mittelalterliche Schrift ist erst in den letzten Wochen und Monaten entdeckt worden - auch in Thüringer Bibliotheken. Zu den Entdeckern solcher bibliophilen Kostbarkeiten zählt auch der Germanist Dr. Christoph Fasbender von der Universität Jena. Dem Mittelalter-Experten ist es in den letzten Monaten gelungen, zwei kostbare Handschriften aus dem 12. und dem 15. Jahrhundert zu entdecken - und zuzuordnen. Die beiden wertvollen Schriften werden neben weiteren 44 Exponaten von elf Leihgebern vom 21. August bis 13. Oktober in einer Ausstellung in der Erfurter Universitäts-Bibliothek ausgestellt. Die Sonderausstellung wird am Montag, dem 21. August, um 17.30 Uhr mit einer Einführung durch den Jenaer Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Jens Haustein eröffnet. Danach ist die Schau, die den Titel "bescheidenheit. Deutsche Literatur des Mittelalters in Eisenach und Erfurt" trägt, montags-freitags von 9-17 Uhr geöffnet.
Die Ausstellung wird anlässlich einer Fachtagung zu Ehren des Thüringer Mediävisten Rudolf Benzinger eröffnet. Zu der Tagung, die die Germanisten der Jenaer Universität organisiert haben, sind inzwischen rund 100 Teilnehmer angemeldet - wesentlich mehr als erwartet. Doch Fasbenders neue Funde haben die Beachtung der Fachwelt gefunden.
Und so gilt das Interesse der Wissenschaft v. a. dem Fragment "Wigelis", das 1455 von dem bisher unbekannten Verfasser Dietrich von Hopfgarten geschrieben wurde. Bei diesem Fragment handelt sich um eine veränderte Abschrift einer Nachdichtung der um 1220 veröffentlichten Sage von König Artus mit einem vollkommenen Helden im Mittelpunkt - den es im höfischen Roman in dieser Form aber noch nicht gab. "Es ist das allererste Mal, dass ein Artus-Roman umgeformt wird in ein Heldenepos", betont Fasbender. Der "komplette, markante Gattungswechsel" von sangbaren in rezitierbare Verse in einer anderen Diktion machen das Werk so einmalig, unterstreicht der Jenaer Wissenschaftler, der in nächster Zeit seine Forschungen zu diesem Fund in einem neuen Buch publizieren wird.
Neben dem "Wigelis" steht als zweite spektakuläre Entdeckung ein Fragment der deutschen Kaiserchronik, dem ältesten deutschen Erzähltext des 12. Jahrhunderts. Der von Fasbender in Erfurt entdeckte Teil enthält eine grausige Szene: Eine Mutter erläutert ihrem Kind in einer belagerten Stadt, warum sie es nun verspeisen muss, um zu überleben. Dieses Kannibalismus-Fragment gehört eindeutig zur deutschen Kaiserchronik, von der es bisher nur einen anderen Teil gibt, der in Hamburg lagert. In der Erfurter Exposition sind beide Teile der Handschrift erstmals vereint.
Die Ausstellung selber trägt ihren Titel nach dem Werk des Spruchdichters Freidank, der "zu den innovativsten Intellektuellen des 13. Jahrhunderts zählte", wie Fasbender betont. Freidank sammelte und dichtete Sprichwörter, die er in dem Buch "bescheidenheit" zusammengefasst hat. Kurz nachdem sich die Erfurter im ausgehenden 13. Jahrhundert ein Rathaus erbaut hatten, ließen sie auf hölzerne Rundmedaillons Sprüche aus Freidanks "bescheidenheit" malen. Bescheidenheit bedeutete damals, Urteilsvermögen zu besitzen, zu wissen, wie die Welt beschaffen ist und wie man ihren Ordnungen zu begegnen hat. Der Erfurter Rat konzentrierte seine Auswahl der ursprünglich für ein adliges Publikum konzipierten Spruchsammlung weitgehend auf die Vermittlung handfester Lebenslehren. Die im Rathaus ausgehängten Sprüche konstituieren eine Art Minimalethik für Ratsherren und Stadtbürger. "In den Bescheidenheit-Medaillons prallen Hof und Stadt aufeinander", weiß Fasbender. Und so trifft Eisenach auf Erfurt, was in der Ausstellung, zu deren Eröffnung ein Katalog (Preis: 11 Euro) vorliegen wird, in ausdrucksstarker Form vorgeführt wird.
Darüber hinaus werden Objekte präsentiert, die von der reichen literarischen Kultur in Thüringens Zentren zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert zeugen. Die Erfurter Literatur präsentiert sich in Segmenten zur Organisation der Stadt, zur Ordnung des geistlichen Lebens und der Frömmigkeit, zur Ordnung des universitären Unterrichts und zur literarischen Interessenbildung in der Stadt. Die reiche Literatur des Eisenacher Hofs im Hochmittelalter wird in Form bekannter und weniger bekannter Fragmente bedeutender Handschriften mit Erzählliteratur präsentiert. Dazu zählen u. a. Wolfram von Eschenbachs "Parzival" und "Willehalm", Ulrich von Türheims "Rennewart" und eben Dietrich von Hopfgartens "Wigelis". Mit den integrierenden Werken des Stadtschreibers Johannes Rothe und seines Umkreises, in denen im Zeichen der "bescheidenheit" adlige und bürgerlich-städtische Ordnungen aufeinander treffen, ist Eisenachs spätes Mittelalter vertreten - u. a. wird als Leihgabe der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena die "Thüringische Weltchronik" gezeigt.
Kontakt:
Dr. Christoph Fasbender
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena
Fürstengraben 18, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944205
E-Mail: christoph.fasbender[at]uni-jena.de
Das Jenaer Exemplar der "Thüringischen Weltchronik" von Johannes Rothe (1360 - 1434), das in der Erf ...
Foto: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB)
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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