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20.01.2000 08:30

Neues Verstaendnis von einem wichtigen Steuermechanismus des Gehirns

Debbie Weiss Publications and Media Relations Department
Weizmann Institut

    Ergebnisse des Weizmann Instituts ermoeglichen mehr Einblick in
    verschiedenste neurologische Stoerungen, darunter Alzheimer, Autismus und Epilepsie.

    Obwohl sich die Forschung seit ueber einem Jahrhundert mit inhibierenden Neuronen beschaeftigt, weiss man nur wenig darueber, wie diese kleine Gruppe (10-20 % der Neurone im Gehirn) seine Steuerfunktion ueber das Gehirn wahrnimmt. Inhibierende Neurone sind wesentlich fuer die Entwicklung des Gehirns, fuer Lernen und Gedaechtnis, und so ueberrascht es nicht, dass sie bei den meisten neurologischen Stoerungen eine Rolle spielen. Eine kuerzlich vollendete Studie am Weizmann Institut, die in der Zeitschrift Science, Ausgabe Januar 2000, erscheint, enthuellt die wichtigsten Prinzipien, die dem Aufbau und der Funktion dieses inhibitorischen Systems zu Grunde liegen.

    Indem sie den Aktivitaetsgrad der benachbarten Neurone eindaemmen, hindern inhibierende Neurone (I-Neurone) das Gehirn daran, ausser Kontrolle zu geraten und etwa in einen Zustand uebermaessiger Erregung einzutreten oder epileptische Anfaelle zu produzieren. Eines der Probleme von Kindern mit Autismus oder Konzentrationsmangel aufgrund von Hyperaktivitaet ist eine Fehlfunktion von I-Neuronen: Ihr inhibitorisches System ist nicht wirksam bei der Unterdrueckung unerwuenschter Information, was wiederum die Entscheidungsfaehigkeit behindert. Eine Fehlfunktion der I-Neurone spielt auch bei Gedaechtnisstoerungen (wie zum Beispiel bei Alzheimer), neuronalem Trauma und Abhaengigkeiten eine Rolle. Sie hat auch Anteil bei einer grossen Zahl psychiatrischer Stoerungen, zum Beispiel bei Depressionen, obsessiv-kompulsiven Stoerungen und Schizophrenie.

    In der Vergangenheit dachten Wissenschaftler im Grunde genommen, dass I-Neuroneschlicht einen hemmenden Neurotransmitter namens GABA auf ihre Nachbarn spruehen. Doch dies erklaerte nicht, wie sie die richtigen Neurone genau zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Masse hemmen. Die neue Studie, die im Labor von Prof. Henry Markram von der Abteilung Neurobiologie des Weizmann Instituts durchgefuehrt wurde, zeigt nun genau dies.

    Kontrolle ueber Neuronenpopulationen
    Das Forschungsteam fand neue Typen von I-Neuronen und zeigte dabei, dass diese kleine Gruppe erheblich mehr Vielfalt aufweist als bisher angenommen. Darueber hinaus konnten die Wissenschaftler mit Hilfe neuer, von ihnen selbst entwickelter Methoden direkt aufzeichnen, wie einzelne inhibitorische Neurone ihre Nachbarn kontrollieren. Sie fanden, dass I-Neurone komplexe Synapsen (Verbindungen) zu ihren Zielneuronen aufbauen. Diese Synapsen filtern selektiv hemmende Botschaften, wodurch die I-Neurone die Aktivitaet ihrer Nachbarn ganz nach Bedarf abstellen koennen. Diese Synapsen funktionieren als rapide, umschaltbare 'wenn-dann'- Filterschranken, die dafuer sorgen, dass die Hemmung nur genau in der richtigen Millisekunde und im richtigen Ausmass erfolgt.

    Jedes I-Neuron verfuegt ueber komplexe 'wenn-dann'-Schranken zu Tausenden benachbarter Neurone und ist damit fuer die Kontrolle ihrer
    Aktivitaet 'verantwortlich'. Diese Schranken befaehigen I-Neurone, rapide ihren Fokus von einem Neuron zum anderen, mit welchem sie verbunden sind, zu verschieben. Dieser geniale Aufbau erlaubt einer kleinen Gruppe von I-Neuronen aeusserst differenzierte Wirkung, wobei sie gleichzeitig der Aktivitaet jedem der einzelnen Neurone, mit denen sie verbunden sind, 'persoenliche Aufmerksamkeit' widmen kann.

    Am Verhandlungstisch
    Die Forscher zeigten, dass eine 'Diskussion' zwischen I-Neuronen und Zielneuronen bei der Entscheidung eine Rolle spielt, welcher Typ von 'wenn-dann'-Schranke als Filter fuer die hemmende Botschaft eingesetzt wird. Dieser Entscheidungsprozess koennte es jedem Neuron im Gehirn erlauben, auf
    potenziell einzigartige Weise gehemmt zu werden. Dieses so genannte 'Interaktionsprinzip' ist ein Vorgang, der maximale Vielfalt von 'wenn-dann'-Schranken hervorruft, was wiederum eine komplexere und besser abgestimmte Kontrolle ueber mehr Neuronen ermoeglicht.

    Ein potenzielles Werkzeug zur Kartografierung des Gehirns
    Im weiteren Verlauf entdeckten die Forscher eine beachtliche Faehigkeit der I-Neurone. Sie koennen Neurone ausmachen, welche dieselben Funktionen im Gehirn wahrnehmen. I-Neurone 'selektieren' Gruppen von Zielneuronen, um denselben Typ von 'wenn-dann'-Schranken zu konstruieren, was den I-Neuronen moeglicherweise erlaubt, Neuronengruppen kollektiv zu steuern. Das bedeutet auch, dass I-Neurone im Gehirn Neurone 'aufspueren' koennen, die in den elementarsten Funktionen zusammenarbeiten, selbst wenn sie in fast jeder anderen Hinsicht unterschiedlich erscheinen (z.B. koennen sie Neurone identifizieren, die von denselben 'Ahnen' abstammen).

    'I-Neurone koennen Familienstammbaeume von Neuronen zurueckverfolgen. Mit anderen Worten, sie koennten uns helfen, herauszufinden, wie Neurone miteinander verwandt sind. Das koennte uns eines Tages ermoeglichen, den funktionellen Aspekt des Gehirns nach Abstammungskriterien von Neuronen bildlich darzustellen - ein Organisationsprinzip, das wir uns in unseren kuehnsten Traeumen nicht vorstellen konnten', sagt Markram. Die Forscher sind der Auffassung, dass die Faehigkeit zur Erfassung funktionell miteinander verwandter Gruppen im Gehirn, das so genannte 'Homogenitaetsprinzip', von gemeinsamen Signalmolekuelen herruehrt, welche die Zielzellen abgeben. I-Neurone koennten diese Signalmolekuele nutzen, um zu entscheiden, welche Art von 'wenn-dann'-Schranken sie aufbauen muessen. Kuenftige Untersuchungen zur Ermittlung der Identitaet dieser Molekuele koennten ein wirksames Werkzeug zur Erforschung des funktionellen Aufbaus des Gehirns liefern.

    Diese Studie wurde von der Human Frontier Science Program Organisation unterstuetzt, ebenso vom israelischen Wissenschaftsministerium, der Israel Science Foundation, der US Navy, der Minna James Heineman Stiftung, der Abramson Family Foundation und dem Nella und Leon Benoziyo-Center fuer Neurowissenschaften.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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