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28.01.2000 11:55

Funksignale aus dem Rücken

Dipl.Pol. Justin Westhoff UKBF-Pressestelle / MWM-Vermittlung
Universitätsklinikum Benjamin Franklin

    Biomechaniker des Oskar-Helene-Heims gewinnen renommierten Volvo-Forschungspreis 2000 für telemetrische Untersuchungen an der Wirbelsäule

    Fast jeder Mensch hat irgendwann in seinem Leben einmal Rückenschmerzen. In den meisten Fällen vergehen diese Schmerzen nach wenigen Tagen. Bei einigen Patienten ist die Wirbelsäule jedoch aufgrund von Verschleißerscheinungen, Wirbelfrakturen oder Tumoren instabil. In diesen Fällen wird heutzutage die Wirbelsäule mit Implantaten, sogenannten Wirbelfixateuren, wieder stabilisiert. Ist beispielsweise ein Wirbelkörper gebrochen, wird in die benachbarten Wirbelkörper von hinten, rechts und links neben dem Dornfortsatz, jeweils eine Schraube eingedreht. An diese Schrauben wird auf jeder Seite der Wirbelsäule ein Längsträger befestigt. Die paarweise eingesetzten Implantate übernehmen dann einen Teil der Wirbelsäulenbelastung. In einer zweiten Operation wird von schräg vorne ein Knochenspan aus dem Beckenkamm in den Bereich des frakturierten Wirbelkörpers eingebracht. Dieser fusioniert innerhalb eines Jahres mit den benachbarten Wirbelkörpern und bildet dann eine stabile Einheit. Die Implantate können dann wieder entfernt werden. Im Oskar-Helene-Heim (Orthopädische Universitätsklinik der Freien Universität Berlin) werden von Prof. Ulrich Weber und seinen Ärzten pro Jahr etwa 500 Operation an der Wirbelsäule durchgeführt; dabei wird in rund 200 Fällen ein Implantat zur Stabilisierung der Wirbelsäule eingesetzt. Damit zählt das Oskar-Helene-Heim zu den wichtigsten Kliniken auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie in Deutschland. In den meisten Fällen sind die Patienten nach Stabilisierung der Wirbelsäule wieder beschwerdefrei.
    Über die Belastung der Wirbelsäulenimplantate wußte man bisher nur wenig. Manchmal vorkommende Schraubenbrüche deuteten auf eine sehr hohe Belastung hin. Ob diese Belastung beispielsweise durch ein Korsett oder die Benutzung von Gehstützen reduziert werden kann, war ebenfalls nicht bekannt. Das Forscherteam des Biomechanik-Labors im Oskar-Helene-Heim der Freien Universität Berlin / UKBF unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr.-Ing. Georg Bergmann hat deshalb ein handelsübliches Implantat zur Stabilisierung der Wirbelsäule so umgebaut, das damit seine Belastung im Patienten gemessen werden kann. In den Längsträger wurde eine Meßhülse integriert. In dieser befinden sich sechs Belastungssensoren, ein Meßsender und eine Spule für die induktive Energieversorgung. Um die Hülse hermetisch abzudichten wurde sie mit Elektronenstrahlen zugeschweißt. Eine kleine Drahtschlaufe dient als Sendeantenne für die Belastungssignale. Sie ist über eine elektrische Durchleitung, wie sie auch bei Herzschrittmachern verwendet wird, mit dem Meßsender in der Hülse verbunden. Für die Messungen bekommt der Patient eine flache Spule auf dem Rücken befestigt. Nur wenn durch sie ein Strom fließt, wird der Meßsender aktiviert. Bei den Messungen wird der Patient mit einer Videokamera gefilmt. Dabei werden die Signale der beiden Meßsender auf die Tonspuren des Videobandes aufgezeichnet. Gleichzeitig werden die Signale auch in einen Rechner eingelesen, in Kräfte und Momente umgerechnet und online auf dem Rechnermonitor dargestellt. Die Belastung der Implantate kann also direkt während der Messung kontrolliert werden. Andererseits ist durch die Videoaufzeichnung eine detailierte Analyse zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
    Die weltweit ersten implantierbaren Meßfixateure für die Wirbelsäule wurden 1994 im Oskar- Helene-Heim eingesetzt. Zehn Patienten wurden seitdem mit derartigen Meßimplantaten versorgt. Die Belastung der Fixateure wurde bei vielen Positionen und Aktivitäten des täglichen Lebens gemessen, u.a. im Liegen, Sitzen und Stehen sowie beim Gehen und während der Krankengymnastik. Die Einflüsse von Korsetts und Gehhilfen auf die Implantatbelastung wurden ebenso untersucht wie das Tragen von Gewichten. Die Höhe der Fixateurbelastung war aufgrund der unterschiedlichen Indikationen und Fusionsverfahren bei den Patienten verschieden, jedoch konnten einige klare Trends festgestellt werden.
    Dabei verblüfften einige Resultate selbst erfahrene Orthopäden:
    Die Belastung der Implantate
    ist im Sitzen niedriger als im Stehen
    ist beim bequemen Sitzen geringer als beim betont gerade Sitzen
    ist im Gehen etwas höher als im Stehen.
    Gehen stellt von den regelmäßig auftretenden Aktivitäten die höchste Belastung der Implantate dar
    - ändert sich beim Vorbeugen des Oberkörpers nur geringfügig - wird durch ein Korsett nicht reduziert
    - wird durch die Benutzung eines Gehwagens vermindert, nicht aber durch Verwendung von Stockstützen
    - wird durch das Einbringen eines Knochenspans häufig erhöht
    - ändert sich durch die Einheilung des Knochenspans meistens nur geringfügig
    - wird wesentlich durch Muskelkräfte beeinflußt, solange der Knochenspan nicht fest mit den Wirbelkörpern verwachsen ist.

    Die Ergebnisse der Messungen im Biomechanik-Labor haben bereits zu einer Änderung der Behandlung von Wirbelsäulenpatienten geführt. Die Patienten dürfen jetzt beispielsweise schon viel früher wieder sitzen. Auch brauchen Patienten, deren Wirbelsäule stabilisiert worden ist, kein Korsett mehr tragen. Ferner werden die Meßergebnisse für die Festigkeitsprüfung von Wirbelsäulenimplantaten und zur optimalen Gestaltung neuer Implantate verwendet.
    Nachdem die Biomechaniker des Oskar-Helene-Heims für ihre Arbeiten bereits im letzten Jahr mit dem Forschungspreis der Spine Society of Europe ausgezeichnet worden sind, haben sie nun den renommierten Volvo-Forschungspreis 2000 der International Society for the Study of the Lumbar Spine gewonnen. Dieser Preis ist mit 10.000 US$ dotiert und wird im April 2000 in Adelaide, Australien übergeben.

    Ansprechpartner:
    Dr.-Ing. Antonius Rohlmann
    Biomechanik-Labor Freie Universität Berlin / Universitätsklinik Benjamin Franklin (UKBF)
    Oskar-Helene-Heim
    Clayallee 229, 14195 Berlin
    Tel.: 30/81004-274, Fax: -275
    E-mail: rohlmann@biomechanik.de


    Weitere Informationen:

    http://www.biomechanik.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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