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15.07.1996 00:00

Olympische Spiele und Marktmechanismen

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 15.07.1996 Nr. 134

    Markt demokratisiert Sport

    Olympische Spiele im Blickfeld

    RUB-Soziologe zur ,Kommerzialisierung des Sports"

    ,Die 'Kommerzialisierung' des Sports hat zu nichts anderem als einer Demokratisierung des Hochleistungssports gefuehrt'; diese These vertritt Prof. Dr. Gert Wagner (Sozialpolitik und oeffentliche Wirtschaft, Fakultaet fuer Sozialwissenschaft der RUB) im Vorfeld der diese Woche beginnenden Olympischen Spiele.

    Auch Preisgelder haben ihr Gutes

    In seinem Aufsatz ,Olympische Spiele" (weiter unten komplett abgedruckt) argumentiert Wagner, dass mit der Kommerzialisierung nun alle Begabten unabhaengig ihrer sozialen Schicht Sport ausueben koennen. Darueber hinaus haben nach Ansicht des Bochumer Wissenschaftlers auch die 'Preisgelder' Gutes bewirkt: Sie haben nicht nur die Sportler zu besseren Leistungen angestachelt, sondern auch den Fernseh"rummel" hervorgebracht und so dazu beigetragen, dass praktisch Jede/r sportliche Hoechstleistungen konsumieren kann. Gleichzeitig wendet sich Wagner gegen das Argument, dass mit der Entwicklung des modernen Sports seine Vorbildfunktion zerstoert werde, wofuer nichts spreche. Insofern plaediert er dafuer, statt von Kommerzialisierung neutraler von der ,Professsionalisierung" des Sports zu reden.

    Quelle

    Es folgt der Text aus: WiSt, Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Zeitschrift fuer Ausbildung und Hochschulkontakt, Heft 7, 25. Jahrgang, Juli 1996, S. 333

    und Text

    ,Olympische Spiele

    Die meisten Sportfans stehen der sogenannten Kommerzialisierung des Sports skeptisch gegenueber. Dies duerfte auch fuer den Teil der Wirtschaftswissenschaftler gelten, die Sportfans sind. Ist diese negative Bewertung der Entwicklung des Sports aber aufrecht zu erhalten, wenn man die moderne Sportbranche an den ueblichen Zielen misst, die mit wirtschaftlichen Aktivitaeten verfolgt werden (Beduerfnisbefriedigung durch freies Angebot und freien Wettbewerb sowie Konsumentensouveraenitaet)?

    Betrachten wir zuerst die Athleten: Wenn es stimmt, dass Hochleistungssport Spass macht und er allen ermoeglicht werden sollte, die sich dafuer begeistern, war das alte Amateurideal nichts anderes als eine Marktzutrittsbarriere. Hochleistungssport konnten sich nur die Kinder betuchter Eltern leisten; genau deswegen hat die englische Oberschicht das Amateurideal ,erfunden". Umgekehrt hat der Amateurgedanke nicht verhindert, dass die faktischen Arbeitsbedingungen von Hochleistungssportlern schlecht waren und in einigen Sportarten, z.B. Turnen, sogar Kinderarbeit ueblich war. Hingegen versuchen Sportlergewerkschaften, z.B. im Tennis"zirkus", Mindestaltersgrenzen durchzusetzen.

    Die ,Kommerzialisierung" des Sports hat zu nichts anderem als einer Demokratisierung des Hochleistungssports gefuehrt, den aufgrund der Einkommen, die durch sportliche Leistungen erzielt werden koennen, nun alle entsprechend Begabten ausueben koennen. Die Sportwissenschaft haelt keine entsprechenden Statistiken bereit, aber jeder Sportfan wird nach kurzem Nachdenken bestaetigen koennen, dass die soziale Herkunft der Olympiaathleten heute offenbar weit staerker der sozialen Schichtung der entsprechenden Altersgruppe entspricht als dies noch in den sechziger Jahren der Fall war, in denen in westlichen Gesellschaften vorwiegend Kinder aus der Mittel- und Oberschicht den Olympiakadern angehoerten.

    Betrachtet man die Konsumenten des Hochleistungssports, naemlich die Zuschauer, so haben ,Preisgelder" nicht nur vielfach zu besseren Leistungen gefuehrt (z.B. im Mittel- und Langstreckenlauf), sondern der weltweite Fernseh"rummel" hat auch zu einer gleichmaessigeren Verteilung der Konsummoeglichkeiten gefuehrt. Die Freude, die durch das Betrachten sportlicher Hoechstleistungen entsteht, ist nicht mehr einer Minderheit vorbehalten, sondern via Television kann jeder Interessierte teilhaben. Dadurch hat sich nicht zuletzt auch die Vielfalt des aktiven Sportkonsums, d.h. des Sporttreibens deutlich verbreitert. Beispielsweise nahm der in den deutschen Schulen inzwischen bedeutsame Volleyballsport erst nach den Fernsehuebertragungen von den Olympischen Spielen in Muenchen seinen Aufschwung. In juengster Zeit boomt ,Streetball", der ohne Femsehuebertragungen hierzulande unbekannt geblieben waere.

    Traditionelle Sportfans, die eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung erfahren haben, koennten an dieser Stelle argumentieren, dass durch die ,Kommerzialisierung" des Sports positive externe Effekte fuer die gesamte Gesellschaft zerstoert wuerden, die dadurch entstehen, dass der faire sportliche Wettkampf von Amateuren eine besondere Vorbildfunktion fuer die Erziehung der Jugend hat.

    Diese Vorbildfunktion ist sicherlich wichtig, bislang spricht jedoch nichts dafuer, dass sie durch die moderne Entwicklung des Sports zerstoert wird (Betrug und Doping sind uebrigens so alt wie der Sport selbst und kein Auswuchs der Kommerzialisierung). Ein Blick in die USA zeigt, dass dort die Vorbildwirkung von Sportlern in den Medien und insbesondere den Eliteuniversitaeten keineswegs darunter gelitten hat, dass Sportler inzwischen viel Geld verdienen koennen.

    Es ist der modernen Sportszene weit angemessener, neutral von Professionalisierung statt von der negativ besetzten Kommerzialisierung zu reden.

    Prof. Dr. Gert Wagner, Bochum."


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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