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18.02.2000 00:00

Das Normalarbeitsverhältnis in der Krise?

Claudia Braczko Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut Arbeit und Technik

    Wenn gewandelte Geschlechterrollen die Normalität verändern - Plädoyer für ein "neues Normalarbeitsverhältnis" für Männer und Frauen

    Ist das auf Dauer angelegte "Normalarbeitsverhältnis" in Vollzeit, das ein mindestens existenzsicherndes Einkommen und soziale Sicherung garantiert, ein Auslaufmodell, gar zu teuer, um noch für alle gültig zu sein? "Ganz im Gegenteil", meint die Arbeitsmarktforscherin Dr. Alexandra Wagner vom Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen). "aber die Norm der traditionellen Versorger- und Hausfrauenehe hat sich gewandelt." Während traditionell der männliche Familienernährer - durch die (Ehe-)frau befreit von Familien- und Hausarbeit - dem Arbeitsmarkt nahezu unbegrenzt zur Verfügung stand, arbeiten heute auch die Frauen. Häufig können sie dies allerdings nur in Teilzeit, während sich bei den Männern wenig geändert hat.

    "Insofern ist die Zunahme von Teilzeitarbeit und geringfügiger Beschäftigung nicht Ausdruck der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, sondern im Gegenteil Ausdruck seiner Stabilität! Weibliche Teilzeitbeschäftigung und die teilweise auch vollzeitige Erwerbstätigkeit der Frauen sind - obwohl im Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses nicht vorgesehen - zur Normalität geworden. Wenn man von einer Krise des Normalarbeitsverhältnisses sprechen kann, dann von seiner Krise als Institution und als Leitbild - keinesfalls jedoch von seiner Auflösung in der Realität".

    Von 1985 bis 1995 ging der Anteil der abhängig Vollzeitbeschäftigten von 76,9 Prozent auf 70,2 Prozent zurück. Deutlich zugenommen hat in diesem Zeitraum der Anteil von Teilzeitbeschäftigten (von 11,3 auf 18,5 Prozent), leicht zugenommen hat der Anteil der Selbständigen (von 8,1 auf 9,3 Prozent). "Diese Veränderungen in der Erwerbsstruktur sind in hohem Ausmaß auf Veränderungen der Beschäftigungsformen von Frauen zurückzuführen", so Dr. Alexandra Wagner.

    Die wachsende Erwerbsbeteiligung der Frauen ist ein Zeichen dafür, dass die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zunehmend in Frage gestellt wird. Kinderlose Frauen machen ebenso Karriere wie die Männer, die Eheschließung an sich beeinflusst das Erwerbsverhalten der Frauen kaum noch. Dennoch bleibt für Frauen mit Kindern die Versorgerehe mit Teilzeitbeschäftigung und "Zuverdienst" der Frau das dominierende Modell. Im Jahre 1995 bestritten 46 Prozent der verheirateten Frauen im Erwerbsalter ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus dem Unterhalt Angehöriger. Je mehr dabei der Mann pro Kopf der Familie verdiente, desto geringer war das durch die Frau erbrachte zusätzliche Familieneinkommen.

    Trotz zunehmender Erwerbsbeteiligung von Frauen in Westdeutschland änderte sich am Prinzip der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung wenig. Zwar stieg die Zahl der erwerbstätigen Frauen von 1980 bis 1995 um insgesamt 20 Prozent, diese Entwicklung war jedoch von einem gegenläufigen Trend in der durchschnittlichen Arbeitszeit von 35,2 auf 30,2 Stunden pro Woche begleitet. "Wenn derzeit ein Wandel der Normalität durch das geänderte Erwerbsverhalten von Frauen zu beobachten ist, so vollzieht sich dieser gegen das noch existierende Leitbild der Alleinernährer- bzw. Zuverdienerehe", stellt Wagner fest. Dieses Leitbild wird durch die derzeitige Steuer- und Sozialpolitik gestützt, da bei gleichzeitiger Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile eine höhere Abgabenquote in Kauf genommen werden muss. Zudem erschwert das im internationalen Vergleich äußerst dürftige öffentliche Angebot zur Kinderbetreuung die Berufstätigkeit beider Elternteile, wenn Kinder zu erziehen sind.

    Die Arbeitsmarktforscherin plädiert deshalb für ein "neues Normalarbeitsverhältnis", das für beide Geschlechter gilt. Da ein Vollzeiteinkommen nicht mehr für den gesamten Familienverbund, sondern nur noch für die erwerbstätige Person selbst existenzsichernd sein muss, könnten Arbeitszeiten und damit Einkommen des "neuen Normalarbeitsverhältnisses" unter dem gegenwärtigen Niveau regulärer Vollzeitbeschäftigung liegen. Zudem müsste eine eigenständige soziale Sicherung für Männer und Frauen erreicht werden, ein existenzsicherndes Kindergeld und ein ausreichend großes Netz öffentlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung sowie Veränderungen im Steuerrecht.

    "Die Sozialpolitik hechelt der tatsächlichen Entwicklung hinterher und ist widersprüchlich, weil konzeptionslos", kritisert Dr. Alexandra Wagner. Die Maßnahmen zielen einerseits auf eine Bewahrung der alten Norm, wenn Frauen durch Erziehungsgeld und Pflegegeld auf traditionelle Rollenerwartungen verpflichtet werden, andererseits wird ihre Integration in das Erwerbsleben arbeitsmarktpolitisch gefördert und die eigenständige soziale Sicherung unterstützt.

    Ein neues Normalarbeitsverhältnis bedeutet nicht Rückkehr zur Konformität, sondern muss vielmehr der Bezugspunkt für unterschiedliche Lebensformen sein. Flexibilität, Pluralität und soziale Sicherheit - dies ist die angestrebte gesellschaftspolitische Perspektive.

    Für weitere Fragen steht Ihnen zur Verfügung:

    Dr. Alexandra Wagner
    Tel.: 0209/1707-143

    Claudia Braczko
    Tel.: 0209/1707-176


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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