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Wissenschaft
München, 27. November 2006 -- Die Runen sind das älteste Schriftsystem der Germanen. Ihre unmittelbare Herkunft ist noch immer ungeklärt. Nach früheren Vermutungen stammt das Schriftsystem von einem etruskischen, einem damit verwandten alpinen oder vom lateinischen Alphabet ab. Diese Alphabete gehen ihrerseits auf das Griechische zurück und über diesen Umweg letztlich auf das etwa 3.000 Jahre alte phönizische Schriftsystem des östlichen Mittelmeerraums. Professor Theo Vennemann vom Institut für Deutsche Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München hat nun in der Fachzeitschrift Sprachwissenschaft vorgeschlagen, die Runenschrift ohne Anleihen bei anderen Schriftsystemen unmittelbar aus dem phönizischen Alphabet herzuleiten. Dies würde nicht nur einige Besonderheiten der Runenschrift erklären, sondern spräche auch für direkte und äußerst intensive Kontakte der Germanen mit den Phöniziern, wofür es Vennemann zufolge auch weitere sprachliche und kulturelle Anhaltspunkte gibt.
Nach Vennemanns Theorie stammt die Runenschrift von der westlichsten Variante des phönizischen Alphabets ab, wie sie im karthagischen Weltreich des dritten vorchristlichen Jahrhunderts gebräuchlich war. Zu der Zeit verfügte dieses Reich über die größte Kriegs- und Handelsflotte und erstreckte sich bis Westafrika, Spanien sowie zu den großen Inseln des westlichen Mittelmeers. Die Theorie der phönizischen Herkunft der Runenschrift beantwortet unter anderem die bislang offene Frage über den Anfang des Runenalphabets: Warum beginnt es mit F und nicht mit A? Die Antwort Vennenmanns lautet: In der karthagischen Schrift hatte der erste Buchstabe die Gestalt eines F. Im Germanischen hat dieser Buchstabe nicht nur die Gestalt, sondern auch den Lautwert eines F, da der Name des Buchstabens Aleph im Phönizischen wie in allen semitischen Sprachen "Rind" bedeutet, was die Germanen mit *Fehu "Vieh" wiedergaben. Bei den Germanen bedeuten die Buchstaben wie bei den Semiten immer auch etwas Konkretes, das über den bloßen Zeichencharakter des Buchstabens hinausweist. Ihre Schrift grenzt sich damit von derjenigen der Griechen oder Römer ab, bei denen das Zeichen ohne solche konkrete Zusatzbedeutung einfach als Alpha, Beta oder Gamma beziehungsweise A, B oder C benannt wird.
Diese Unterschiede verweisen laut Vennemann darauf, dass die Germanen das Schreiben direkt von den Phöniziern gelernt haben und nicht auf dem Umweg etwa über die Griechen, Etrusker oder Römer. Das würde auch erklären, warum die Germanen M und N nicht vor einem Konsonanten schrieben: Weil dies auch die Phönizier nicht taten. Und noch ein Unterschied zum Lateinischen und Griechischen passt in seine Theorie: Die Germanen schreiben - wie die Phönizier - keine Doppelkonsonanten wie TT, KK oder LL, sondern stets die einfachen Konsonanten T, K oder L.
Die sich aus Vennemanns Vorschlag ergebenden Konsequenzen sind nicht nur für die linguistische Fachwelt weitreichend. Denn sollte sich die Theorie weiter bestätigen, muss es einen direkten und intensiven Kontakt zwischen Germanen und Phöniziern, genauer den karthagischen Phöniziern, die von den Römern Punier genannt wurden, gegeben haben. Im Gegensatz zu früheren Erklärungsansätzen kann diese Theorie auch erklären, warum die ältesten Runenfunde in den skandinavischen Regionen zwischen Nord- und Ostsee gefunden wurden statt nahe dem Römischen Reich. Sie beantwortet auch die Frage nach den Gründen für die außerordentlich frühe Verfügbarkeit eines eigenen alphabetischen Schreibsystems im Norden Europas.
Ansprechpartnerin:
Dr. Patrizia Noel
Tel.: 089 / 2180-3423
E-Mail: patrizia.noel@germanistik.uni-muenchen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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