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15.02.2007 14:01

Umfrage unter Jurastudenten zum eigenen Delinquenzverhalten

Michael Seifert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Studenten gewinnen Einblick in die Entstehung einer Kriminalstatistik

    In diesem Semester wurden 73 Studierende der Rechtswissenschaft mit einer etwas ungewöhnlichen Lehrmethode konfrontiert. Prof. Dr. Jörg Kinzig vom Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht ließ in einer seiner ersten Vorlesungen in "Jugendstrafrecht" Fragebogen verteilen, mit denen er die Studierenden zu ihrem Delinquenzverhalten, ihrem Drogenkonsum, ihren Einstellungen zur Kriminalpolitik und zu Opfererfahrungen befragte.

    "Die gleiche Umfrage habe ich bereits vor einem Jahr in Freiburg durchgeführt - und die Resultate sind sehr ähnlich", so Jörg Kinzig. Die beiden Studierenden Arne Teuteberg (23) und Mirjam Lubrich (22) haben die Umfrage ausgewertet und präsentiert. Sie waren im Gegensatz zu ihrem Professor sehr erstaunt über einzelne Ergebnisse, wie zum Beispiel über die Einstellung ihrer Kommilitonen zu Folter und Todesstrafe. Fast die Hälfte aller Studierenden (49 Prozent) befürwortet den Einsatz von Folter in Ausnahmesituationen, wenn zum Beispiel Geiseln in Gefahr sind. Für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädierten 22 Prozent. Insgesamt beurteilten 55 Prozent die gängige deutsche Strafpraxis als "zu lasch". "Seit dem so genannten Daschner-Prozess in Folge des Entführungsfalls Jakob von Metzler, ist Folter nicht mehr Tabu, wobei die Werte der Studierenden im Vergleich zur Normalbevölkerung sogar unterdurchschnittlich sind," sagt Kinzig.

    Andere Ergebnisse zeigen, dass auch die meisten Juristen schon kleine Gesetzesbrüche vollzogen haben. So sind 77 Prozent bereits schwarzgefahren, 56 Prozent haben schon einmal unerlaubt Computersoftware kopiert und 51 Prozent einen kleineren Diebstahl oder Ladendiebstahl verübt. Auch hierin sieht Kinzig keine Besonderheit: "Praktisch alle Jugendlichen verüben irgendwann einmal eine kleinere Straftat, meistens handelt es sich aber um Bagatellen. Mit zunehmendem Alter nimmt dieses Verhalten ab. Deshalb haben wir auch zusätzlich immer Fragen zum Verhalten der Studierenden in den letzten zwölf Monaten gestellt, deren Ergebnisse diese abnehmende Tendenz bestätigen."

    Umgekehrt sind auch die meisten Studierenden (78 Prozent) bereits Opfer einer Straftat geworden, wobei es sich in den häufigsten Fällen um den Diebstahl von Geldbeuteln, Handys oder Fahrrädern gehandelt hat. Eine Person hatte angegeben, man habe ihr in der Grundschule das Stickeralbum entwendet. 32 der 73 Befragten mussten schon Eigentumsbeschädigungen hinnehmen und 9 Studentinnen (von 51) sind bereits Opfer einer versuchten Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden.

    Jörg Kinzig möchte mit dieser "Dunkelfeldbefragung" seinen Studierenden am eigenen Beispiel vor Augen führen, wie wenige dieser Fälle wirklich zur Verhandlung kommen, wie klein also letztlich das so genannte "Hellfeld" ist, das sie bearbeiten. Zudem haben die Studierenden erfahren, wie eine Statistik zu Stande kommt und mit welchen Schwierigkeiten man dabei konfrontiert wird.
    "Eine Studentin hatte extreme Werte zu ihrem Drogen- und Alkoholkonsum angegeben - die konnten nicht stimmen. Dann muss man sich entscheiden, ob man diesen Fragebogen mit berücksichtigt, oder außen vor lässt", sagt Arne Teuteberg. Auch die Befragungssituation im Hörsaal, wo alle nebeneinander saßen, hat die Umfrageergebnisse wahrscheinlich beeinflusst, da keine absolute Anonymität gegeben war und einige Studierende sogar während der Umfrage miteinander redeten.
    "Die Bedingungen waren, sagen wir mal, suboptimal", so Kinzig, trotzdem fügten sich die Ergebnisse erstaunlich gut in das Bild, das regelmäßige Befragungen von Erstsemestern in Gießen und Erlangen ergaben. Es ginge dabei auch nicht primär um die Datengewinnung, sondern mehr um den Blick in das Innere einer Statistik und den Lerneffekt.
    Diesen bestätigen 70 Prozent der Studierenden, die die Umfrage als hilfreich zum Zweck ihrer kriminologischen Ausbildung erachteten.

    Nähere Informationen:

    Prof. Dr. Jörg Kinzig
    Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
    Wilhelmstr.7, Zi. 330
    D-72074 Tübingen

    Tel.: +49 (0)7071 29-72549
    Fax: +49 (0)7071 29-5258

    joerg.kinzig@jura.uni-tuebingen.de

    EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit o Michael Seifert
    Wilhelmstr. 5 o 72074 Tübingen
    Tel.: 0 70 71 o 29 o 7 67 89 o Fax: 0 70 71 o 29 o 5566
    E-Mail: michael.seifert@verwaltung.uni-tuebingen.de
    Wir bitten um Zusendung von Belegexemplaren!


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht
    regional
    Forschungsergebnisse, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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