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Wissenschaft
Osnabrueck, 29. Januar 1997 / Nr. 9/97
Das "Tolopen Volk" war fuer die Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland unverzichtbar
Neue Publikation: Fluechtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrueck nach 1945
Sie galten als "Tolopen Volk" aus dem Osten, das nicht einmal "richtig" Deutsch sprechen konnte, als enorme Belastung fuer die oeffentlichen Kassen, als Konkurrenten um die ohnehin viel zu knappen Ressourcen der bettelarmen Nachkriegszeit. "Fluechtlinge, also, das war in der ersten Zeit doch ein sehr bitteres Wort", sagt im Rueckblick eine gebuertige Schlesierin, Jahrgang 1931, die in Osnabrueck ihre zweite Heimat gefunden hat. Eine an der Universitaet Osnabrueck erstellte Studie rueckt jetzt allerdings das bis heute gaengige Klischee von den Heerscharen der Zugewanderten, die als Habenichtse auf Kosten der Einheimischen lebten, zurecht: Fluechtlinge und Vertriebene waren keine Almosenempfaenger, sondern leisteten im Regierungsbezirk Osnabrueck einen erheblichen Beitrag zum wirtschaftlichen Neuanfang. Durch Mobilitaet, Anpassungsfaehigkeit und Leistungsbereitschaft, durch Wissen und Koennen haben sie die Entwicklung von Industrie und Dienstleistungsgewerbe "entscheidend gefoerdert", schreibt Dr. Bernhard Parisius. Der Leiter des Staatsarchivs Aurich hat den einleitenden Aufsatz zu dem Band "Fluechtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrueck nach 1945" verfasst, der jetzt im Universitaetsverlag Rasch von Dr. Parisius, dem Osnabruecker Migrationsforscher Prof. Dr. Klaus J. Bade und dem Historiker Hans-Bernd Meier veroeffentlicht worden ist.
Das Buch geht auf ein von Prof. Bade geleitetes Forschungsprojekt zurueck, bei dem Mitte der achtziger Jahre die Geschichte der Integration von Fluechtlingen und Vertriebenen in Osnabrueck und dem Osnabruecker Land untersucht wurde. Dabei stellten sich die Forscher insbesondere die Frage, wie die Betroffenen selbst die Eingliederung erlebt haben. Ausschnitte aus den 1985 und 1986 gefuehrten, mehrstuendigen Interviews mit 30 Zeitzeugen sind - thematisch geordnet - in Auszuegen aufgenommen worden, zwei weitere Gespraeche - weitgehend ungekuerzt - stammen aus dem Jahr 1995. Das Fazit der Wissenschaftler, die die Zeitzeugeninterviews unter anderem auf der Basis von unterschiedlichen Statistiken ausgewertet haben: Ueber die langfristigen psychischen Folgen der Einwanderung und den damit verbundenen Belastungen und Zumutungen ist bis heute kaum etwas bekannt, immerhin galt aber zumindest nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten die Integration bereits ab Mitte der fuenfziger Jahren als weitgehend abgeschlossen - wenn auch unter den falschen Vorzeichen eines von den Einheimischen getragenen "Fluechtlingswunders". Dazu Prof. Bade, der an der Universitaet Osnabrueck das Institut fuer Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) leitet: "Die Eigenleistung der Betroffenen ist bewusst hintangestellt worden. Verkannt wurde vielfach auch, dass Fluechtlinge und Vertriebene durch ihre wirtschaftliche Leistung den Lastenausgleich im Grunde wesentlich selbst finanziert haben."
Die Studie macht zugleich deutlich, dass die Stadt Osnabrueck in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum eigenen Vorteil durchaus eine sehr bewusste "Zuwanderungspolitik" anstrebte. Fuer den Aufbau wurden dringend Arbeitskraefte gebraucht. Und so nahm die stark zerstoerte Stadt, obwohl sie von den Vertriebenentransporten offiziell ausgeklammert blieb, dennoch Fluechtlinge und Vertriebene in groesserer Zahl auf: Bis zum Jahre 1950 stieg ihr Anteil an der Osnabruecker Bevoelkerung auf fast zehn Prozent. Dabei gewaehrte Osnabrueck - trotz aller Probleme bei der Unterbringung und der Versorgung - vor allem den "besonders tuechtig scheinenden" Fluechtlingen und Vertriebenen, so Dr. Parisius, Einlass in die Stadt.
Kontaktadresse: Universitaet Osnabrueck Institut fuer Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) Neuer Graben 19/21, 49069 Osnabrueck Tel. (0541) 969-4365, Fax (0541) 969-4380
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie
überregional
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Deutsch
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