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Wissenschaft
Es wäre ja wirklich eine schöne Geschichte gewesen: Ein Professor, der das Spazierengehen zur Wissenschaft erhebt. Nur (leider?) stimmt sie nicht so ganz und gar. Und so wird die Lehrstuhlgeschichte zu einem Lehrstück über Enten, die quer durch die Republik spazieren gehen.
Kassel. Es wäre ja wirklich eine schöne Geschichte gewesen: Ein Professor, der das Spazierengehen zur Wissenschaft erhebt und eine Universität, die ihm dafür mit einem anständigen Professorengehalt einen Lehrstuhl einrichtet - eine skurrile, einzigartige Erscheinung, über die man sich bei der Frühstückslektüre, je nach Gusto, amüsieren oder erregen kann. Damit wäre sie ein toller Stoff für jedes Blatt, für jedes Radio und auch noch eine Geschichte, die sich im Fernsehen ansehnlich ins Bild setzen ließe.
Es war die Universität Kassel, der diese breite Publizität aufgrund einer Agenturmeldung Anfang März zufiel. Es waren weit über 300 Abdrucke, die diese Meldung erreichte. Nur (leider?) stimmt sie nicht so ganz und gar. Und so wird die Lehrstuhlgeschichte zu einem Lehrstück über Enten, die quer durch die Republik spazieren gehen.
Angefangen hat alles in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ein in Kassel lehrender renommierter Schweizer Stadtplaner und Soziologe namens Lucius Burckhardt zu der Erkenntnis kam, dass seine Studierenden zu viel in die Bücher und auf die Hörsaalwände schauen, anstatt sich die planerischen Objekte in Stadt und Land mit eigenen Sinnen und aus anderer Perspektive anzueignen - was zu Fuß allemal Erfolg versprechender war als mit jedem anderen Fortbewegungsmittel. Und da der Professor mit Humor und der Gabe zu Ironie gesegnet war und den Hang seiner Kollegen kannte, nur wissenschaftlich anmutenden Begrifflichkeiten Glauben zu schenken, nannte er seine Wahrnehmungsschule schließlich Spaziergangswissenschaft oder - noch einmal fremdsprachlich verballhornt - Promenadologie. Seine Begriffe und Erfolge blieben legendär über seinen Tod hinaus und der Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung vergibt seither einen 2-stündigen Lehrauftrag (zuletzt: "Sind Fußgängerzonen noch zeitgemäß?"), in dem dieses Vor-Gehen praktiziert wird - zuletzt an Dipl.-Ing. Martin Schmitz, Absolvent aus Kassel, jetzt im Hauptberuf Verleger in Berlin. Diese Lehrveranstaltung ist eine von rund 200 des Fachbereichs und wird - bedauerlich für Martin Schmitz - nicht mit einem Professorengehalt, sondern einem knapp bemessenen Stundenhonorar vergütet.
Die meisten Details dieser Geschichte wurden in besagter Meldung einer seriösen Nachrichtenagentur voller Sympathie dargestellt. Leider enthielt sie einen kleinen Fehler, als im Titel behauptet wurde: Deutschlands einziger Lehrstuhl für Spaziergangswissenschaften stehe in Kassel und so mutierte die Geschichte für manche Redaktionen zum gerne genommenen Anlass, mal wieder ein wenig Häme und Spott über die wunderlichen Entscheidungen der Verwissenschaftlichung unserer Welt auszuschütten. Zum Abdruck- und damit Quotenrenner wurde sie allemal. So sehr sich die Universität Kassel auch prompt um eine Korrektur bemühte, die Redaktionen erreichte sie nicht. Und so eigenartig die Meldung einigen Redakteuren vorkam, zur Nachfrage entschlossen sich etwa so viele wie die Hand Finger hat. Und so spazierten die Enten munter weiter, promenadologisch ausgebeutet von Journalisten, die sich weder durch Tatsachen verwirren noch sich eine schöne Geschichte durch Recherche kaputt machen lassen.
Jens Brömer
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Info Universität Kassel
Jens Brömer
Kommunikation und Internationales
tel (0561) 804 2255
fax (0561) 804 7216
e-mail jbroemer@uni-kassel.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Bauwesen / Architektur, Medien- und Kommunikationswissenschaften
überregional
Forschungsprojekte, Studium und Lehre
Deutsch
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