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10.05.2007 15:00

Deutsche Einheit - Deutsche Zustände

Jens Panse Pressestelle
Universität Erfurt

    "Deutsche Einheit - Deutsche Zustände" ist der Titel der nächsten Ringvorlesung mit dem renommierten Philosophen und Theologen Prof. Dr. Richard Schröder aus Berlin. Er wird am Dienstag, dem 15. Mai 2007 um 18.00 Uhr im Rathausfestsaal referieren.

    "Die deutsche Einheit und der Aufbau Ost haben in Deutschland keinen guten Ruf. Manche halten beides gar für gescheitert. Ich sage dazu: ihr seid verrückt", so Richard Schröder. Auf die Frage: Wie sehen Sie Ihre Situation im Vergleich mit 1990?, antworteten die meisten Ostdeutschen: "gut" oder: "kann nicht klagen". Auf die Frage, wie sie die Lage im Osten allgemein beurteilten, antworte die Mehrheit: "katastrophal". "Die Mehrheit ist zufrieden, hält sich aber für die Ausnahme", stellt der Philosophieprofessor von der Humboldt-Universität Berlin fest.

    Dass so viele im Westen die Einheit für gescheitert hielten, läge vor allem daran, dass sie das Ausmaß der anstehenden Aufgaben weit unterschätzt und zugleich der Möglichkeiten, die Hinterlassenschaften der DDR abzuarbeiten, weit überschätzt hätten. "Ein glücklicher Irrtum war das, denn sonst hätten sie vielleicht nein gesagt - mit unabsehbaren abträglichen Folgen. Denn die deutsche Einheit hat die europäische Einigung nicht etwa behindert, wie manche fürchteten, sondern gefördert", so Schröder, der 1990 Mitglied der letzten Volkskammer der DDR und des Bundestages war.

    "Nach welchen Maßstäben wollen wir eigentlich den Stand der deutschen Einheit taxieren?", fragt Schröder in seinem Vortrag. Ganz selbstverständlich gelte in Ost und West als Maßstab: "der Westen". Es gäbe aber noch zwei andere plausible Maßstäbe: "den Vergleich mit den Verhältnissen in der DDR und den Vergleich mit den anderen ehemals sozialistischen Ländern, die dieselben Umstellungsprozesse durchmachen mussten, allerdings ohne Vereinigung. Nach diesen beiden Maßstäben schneidet der Osten ausgezeichnet ab".

    Um zu beurteilen, was geleistet werden musste und zu einem guten Teil auch geleistet worden ist, sollte man sich die Dimensionen des Prozesses vergegenwärtigen: Die Transformation von einer Diktatur zur Demokratie und von einer zentralen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft sowie ein technologischer Rückstand von zehn bis zwanzig Jahren, der aufgeholt werden musste. Außerdem müsse man die besonderen Bedingungen bedenken, unter denen jene Transformationsprozesse im Osten abliefen, eben unter den Bedingungen der deutschen Einheit. "Man kann nicht die Mauer wegreißen und das Echo stehen lassen", so Schröder, der beklagt, man habe sich in Deutschland einen "sehr provinziellen Blick auf die deutsche Einheit angewöhnt".

    "Mit dem 3. Oktober 1990 ist Deutschland wieder als gleichberechtigtes Glied in die Völkergemeinschaft aufgenommen worden. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag hat auch den Zweiten Weltkrieg völkerrechtlich beendet. Seit dem 3.Oktober 1990 lebt Deutschland erstmals in seiner Geschichte in allseits anerkannten Grenzen. Die Einigungskosten sind verspätete Kriegsfolgelasten. Und die deutsche Einheit kostet bloß Geld, kein Blut - und das Geld bleibt außerdem noch im Lande", so Schröder. "Die meisten Menschen dieser Welt würden ihre Probleme sofort mit unseren tauschen. Wir sind nicht zum Trübsinn verpflichtet".

    Richard Schröder studierte Theologie und Philosophie an den Kirchlichen Hochschulen Naumburg (Saale) und Berlin. Von 1973 bis 1977 war er Pfarrer in Wiederstedt im Harz. 1977 erfolgte die Promotion. Von 1977 bis 1990 war er Dozent für Philosophie, ebenfalls in Berlin und Naumburg. 1991 habilitierte er an der Kirchlichen Hochschule Leipzig. 1988/89 arbeitete Richard Schröder bei der "Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" in der DDR als Berater der Arbeitsgruppe "Mehr Gerechtigkeit in der DDR", 1989 erfolgte auch sein Eintritt in die SPD. Vom 18. März bis zum 2. Oktober 1990 war Richard Schröder Mitglied der Volkskammer der DDR, vom 3. April bis zum 21. August 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD und vom 3. Oktober bis zum 18. Dezember 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 1990 ist er Mitglied der Grundwertekommission. Seine Lehrtätigkeit setzte Richard Schröder 1991 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin fort. Von 1991 bis 1997 war er Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und seit 1992 Mitglied des Beirates beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). 1993 erfolgte die Berufung zum Professor auf den Lehrstuhl für Philosophie in Verbindung mit Systematischer Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1993 und 1994 auch Dekan war. Seit 1993 ist Richard Schröder Verfassungsrichter des Landes Brandenburg und Präsident des Senats der von Helmut Schmidt und Kurt Biedenkopf gegründeten "Deutschen Nationalstiftung" Weimar. Von 1995 bis 2000 war er außerdem Vorsitzender des Kuratoriums der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover und seit 1999 Vorsitzender des Beirates der Evangelischen Akademie zu Berlin. Seine Berufung zum Nationalen Ethikrat erfolgte 2001 durch Beschluss des Bundeskabinetts.

    "Deutsche Einheit - ein Projekt" ist der Titel der 14. Ringvorlesung der Universität, die in diesem Sommersemester wieder gemeinsam mit der Fachhochschule veranstaltet wird. In der Ringvorlesung soll eine Zwischenbilanz versucht werden. Redner aus der Universität und der Fachhochschule, Wissenschaftler anderer Universitäten, aber auch Politiker wie Bernhard Vogel sowie der Schriftsteller Landolf Scherzer werden sich mit Fragen beschäftigen wie diesen: Was wurde richtig gemacht? Wo ist die Einheit gelungen? Wo sind nach 17 Jahren immer noch Defizite zu verzeichnen? Was hätte anders gemacht werden müssen angesichts der Chance zur Wiedervereinigung des seit 1945 faktisch geteilten Landes?

    Die mit Unterstützung der Sparkassenfinanzgruppe, der Stadtverwaltung Erfurt und der Universitätsgesellschaft Erfurt e.V. veranstaltete und von der Thüringer Allgemeine präsentierte populäre Reihe bietet jeweils dienstags (Beginn 18.00 Uhr im Rathausfestsaal) in insgesamt 11 Veranstaltungen Vorträge ausgewiesener Experten. Den Abschlussvortrag hält der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Professor Dr. Bernhard Vogel.

    Nächster Termin der Reihe: 22.05.2007, 18.00 Uhr, Rathausfestsaal: "Wirkliche Einheit - gefühlte Einheit. Gründe für die Diskrepanz", Professor Dr. Wolf Wagner, Fachhochschule Erfurt


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-erfurt.de/presse/veranstaltungen/ringvorlesung/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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