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Universität Heidelberg nimmt Stellung zu einer Demonstration gegen Tierversuche am 24. Juni 2000 - Die Forschung mit Zellkulturen nimmt zu, kann aber nicht alle Fragen beantworten - Erst wenn mögliche Risiken aus Versuchen an Tieren abgeschätzt werden können, erlaubt die Ethikkommission einen ersten Eingriff am Patienten
Tierversuche sind für eine hochwertige Patientenversorgung weiterhin notwendig. Mit dieser Stellungnahme wendet sich die Universität Heidelberg gegen zentrale Aussagen einer Demonstration am 24. Juni. Die Forschung mit Zellkulturen nimmt zu, kann aber nicht alle Fragen beantworten. Auch Patienten mit seltenen Krankheiten erwarten eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Dazu müssen vorher Tierversuche durchgeführt werden.
Die Universitätskliniken Heidelberg versorgen jährlich mehr als 300 000 Patienten. Etwa 60 000 von ihnen werden stationär behandelt, davon knapp die Hälfte nach einer Operation. Forschungsaktivitäten der Kliniken richten sich darauf, die Ärzte auf alle denkbaren Erkrankungen und Komplikationen gut vorzubereiten.
Über 1500 Kinder mit angeborenen Fehlbildungen werden jedes Jahr von den Kinderchirurgen operiert. Ärzte müssen die Probleme erkennen und die Auswirkungen technisch so gut beseitigen können, dass ein unbelastetes Weiterleben gerade der jüngsten Patienten ermöglicht wird. Innerhalb der breit gefächerten Forschungsaktivität der Kinderchirurgen ist in geringem Umfang auch das Experimentieren mit Hunden erforderlich. Denn einige Krankheitsbilder, wie Fehlbildungen des Darmes, sind nur bei diesen Tieren so simulierbar, dass man lernen kann, wie eine erfolgreiche Behandlung beim menschlichen Patienten vorstellbar ist.
90% sind Ratten und Mäuse
Insgesamt finden im Universitätsklinikum mehr als doppelt so viele Operationen an Patienten statt, als Tiere in Tierversuchen eingesetzt werden. Über 90% dieser Tiere sind Ratten und Mäuse: Mit solchen kleinen Tieren erforscht man Grundlagen. Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf die Behandlung von Menschen muss dann mit einigen größeren Tieren wie Schweinen oder Hunden getestet werden. Die Entwicklung einer Methode ausschließlich an Menschen mit den damit verbundenen unabsehbaren Risiken ist aus ethischen Gründen nicht gestattet. Erst wenn mögliche Risiken aus Versuchen an Tieren abgeschätzt werden können, wird die Ethikkommission einen ersten Eingriff am Patienten erlauben.
Alle Tierversuche müssen genehmigt sein
Alle Tierversuche an der Universität Heidelberg und in den Kliniken müssen gemäß Tierschutzgesetz genehmigt sein. Sie werden intern von neun Tierschutzbeauftragten und extern vom Veterinäramt Heidelberg überwacht. Mögliche Beanstandungen und Kritik kommen vor Beginn der Experimente von der Genehmigungsbehörde, dem Regierungspräsidium in Karlsruhe. Dort befasst sich eine beratende Kommission (nach §15 Tierschutzgesetz), der auch Vertreter von Tierschutzorganisationen angehören, mit jedem einzelnen Antrag. Durch gesetzliche Verbote, die genannten Überwachungen und vielfältige Kontrollen ist damit "wildes Experimentieren" vor Erteilung einer Genehmigung unmöglich. Die Zucht von Tieren erfolgt zentral, und nur für genehmigte Versuche werden Tiere an die Labors abgegeben. Seit Beginn dieses Jahres ist darüber hinaus eine neue Meldeverordnung für Versuchstiere in Kraft, für die zu jedem verwendeten Tier detaillierte Angaben gemacht werden müssen.
Jedes Versuchstier wird narkotisiert, mit Schmerzmitteln behandelt und wie ein Patient versorgt
Durch dieses Überwachungssystem ist gewährleistet, dass bei genehmigten Versuchen jedes Versuchstier, ob Schwein, Ratte oder Maus, vor einem möglicherweise schmerzhaften chirurgischen Eingriff kunstgerecht narkotisiert, später mit Schmerzmitteln behandelt und wie ein Patient versorgt werden muss.
Ein immer wieder geforderter Verzicht auf Tierversuche ist praktisch die Forderung nach dem Ende unserer hochwertigen Krankenversorgung. Ein solches Szenario wird tatsächlich von manchem radikalen Gegner von Tierexperimenten angestrebt. Die Frage ist nur, ob diese fundamentalistische Haltung gesellschaftlichen Rückhalt hat. Wer nie ernsthaft krank war, sollte sich fragen lassen, was ihm seine künftige Gesundheit wert ist: der Ersatz eines Hüftgelenkes bedeutet für den Betroffenen eine sehr große Erleichterung und die Befreiung von unsäglichen Schmerzen. Dieses Ziel war aber nur über erhebliche Forschungsanstrengungen zu erreichen. Forschung ohne Tierversuche auf diesem Gebiet ist aber nicht möglich.
"Ersatzmethode" Zellkultur kann Tierversuche nicht ersetzen
Viele grundsätzliche Fragen lassen sich in Zellkulturen klären. Nur stammen auch diese Zellen oft von Tieren, die in Tierversuchen vorbehandelt wurden. Auch die "Ersatzmethode" Zellkultur wird nur die Zahl der Tierversuche vermindern, nicht aber ersetzen können. Untersuchungen anderer medizinischer Probleme benötigen aber von Anfang an einen intakten Organismus, da der Blutkreislauf, das komplexe Nervensystem oder auch das Immunsystem Einfluss auf die Ergebnisse haben können. Zum Beispiel sind die Forschungsarbeiten bei dem sehr verbreiteten Krankheitsbild "Bluthochdruck" besonders häufig auf Tiere angewiesen, da nur diese einen intakten Blutkreislauf und damit auch einen Blutdruck haben.
Die Herzchirurgen und die Kardiologen sind eine weitere Gruppe von Ärzten, die ihre Schlussfolgerungen aus Rattenexperimenten an Schweinen und Hunden testen müssen, bevor eine Behandlung von bestimmtem Patienten mit einer Herzoperation oder dem Herzkatheter aussichtsreich erscheinen und daher erlaubt werden kann.
Überhaupt führen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems in Deutschland am häufigsten zum Tod. Sie liegen damit immer noch vor der Sterblichkeit durch Krebserkrankungen. Die Forschungsaktivitäten richten sich also keineswegs auf ein medizinisch unwichtiges Thema.
So genannte präklinische, also mittelbar im Patienteninteresse liegende Grundlagenforschung findet in Heidelberg zwar in großem Umfang statt. Diese Arbeitsgruppen arbeiten aber inzwischen weitgehend mit Kleintieren und Zellkulturen.
Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Rainer Nobiling
Tierschutzbeauftragter der Medizinischen Fakultät Heidelberg
Tel. Freitag, 23. Juni 2000, 13-17 Uhr: 06221 566386
Tel. Samstag, 24. Juni, ab 13 Uhr: 06221 548281
Fax 06221 564208
tierschutz@urz.uni-heidelberg.de
"Kirchheimer Mühle" am Samstag:
Dr. Markus Josten
Leiter des Zentralen Tierlabors
Tel. 06224 931313, Fax 931325
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
am 24. Juni mobil über Prof. Nobiling zu erreichen
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Organisatorisches
Deutsch
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