idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Bochum, 19.06.1995, Nr. 92
Brecht-Biographie trotzt Kaltem Krieg
Vom Universitaetsberuf bis zum Journalismus
Prof. Dr. Marianne Kesting haelt Abschiedsvorlesung
Mit 359.000 Exemplaren in 34 Auflagen erreicht ihre Brecht-Biographie Verkaufszahlen, von denen erfolgreiche Belletristik-Autoren selten, Literaturwissenschaftler gar nicht zu traeumen wagen. Dabei ist dieses auch in Schulen zur Standardlektuere gehoerende Buch, mit dem 1959, mitten im Kalten Krieg, fuer den damals in Westdeutschland noch verpoenten Dichter eine Bresche geschlagen wurde, nur ein kleiner Ausschnitt ihres ausserordentlich weitgespannten Interessespektrums. Die Rede ist von Prof. Dr. Marianne Kesting, die am Freitag, dem 23.06.1995 (16 h, HGB 30) ihre Abschiedsvorlesung "Homme qui marche. UEber Gehen und Imagination" haelt. Zuvor werden Rektor Prof. Dr. Manfred Bormann und Dekan Prof. Dr. Rudolf Behrens Grussworte, Paul Heinemann, M.A., fuer die Mitarbeiter den Dank sprechen und Prof. Dr. Wolf-Dieter Lange (Univ. Bonn) die Laudation auf Prof. Kesting halten. (Die OEffentlichkeit ist herzlich eingeladen)
Seit 1975 lehrt Prof. Kesting an der Ruhr-Universitaet Bochum, der Universitaet ihrer Heimatstadt, Komparatistik. Das Fach, das erst sie hier aufgebaut hat, fuehrt zwar die offizielle Bezeichnung Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, doch selbst diese Grenzen waren der studierten Musik- und Theaterwissenschaftlerin zu eng. Sie weitete die Komparatistik aus auf den Vergleich der Literatur mit anderen Kuensten, mit der Musik, Photographie, den Bildenden Kuensten und selbst der Architektur. Prof. Kesting bestach dabei nicht nur durch ihre facettenreiche und selbstaendige Persoenlichkeit; in ihren auch stilistisch lesenswerten essayistischen und wissenschaftlichen Arbeiten hat sie sich ebenfalls nie gescheut, tradierte Gewohnheiten ihres Faches kritisch zu ueberpruefen. Komparatistin sei sie ,auch jenseits des Universitaetsberufs immer" gewesen, schrieb Prof. Kesting in einem Aufsatz: ,Komparatistische Lese- und Lebenserfahrungen" (1983). Was mit der Dissertation, der ersten deutschen wissenschaftlichen Arbeit aus komparatistischer Sicht ueber ,Das epische Theater" (1957) ueberhaupt, und mit der Brecht-Biographie (1959) begann, fand Fortsetzung in einer heute kaum noch zaehlbaren Zahl von wissenschaftlichen Arbeiten in Buechern, Aufsaetzen, Essays, in Hoerfunkfeatures, Literatur- und Theaterkritiken und Feuilletonbeitraegen fuer die namhaftesten deutschen Zeitungen und Zeitschriften, wie FAZ, Die Zeit, Merkur, Akzente, Deutsche Rundschau, etc. Das absurde Theater und die Theorien Antonin Artauds, die AEsthetik des Dramas und Romans im 19. und 20. Jahrhundert und die Relation der Literatur zu anderen Kuensten sind nur einige Eckpunkte ihrer Interessen, und in den letzten Jahren immer wieder die Dichtungen von Charles Baudelaire, St"phane Mallarm", Edgar Allan Poe und Samuel Beckett. Werke wie ,Der Dichter und die Droge" (1973), ,Die Diktatur der Photographie" (1980) und Aufsaetze wie ,Aspekte des absoluten Buches bei Novalis und Mallarm"", ,Die Welt im Schaedel. UEber Malewitsch und Beckett" und ,Zylinder und Schaedelraum oder Beckett und die Verhaltensforschung" nehmen nicht nur thematisch ungewoehnliche Aspekte ins Visier, auch die Form, wie Prof. Kesting die Themen vermittelt, reizt zum Weiterdenken.
Marianne Kesting, am 16. Maerz 1930 in Bochum geboren, fand in ihrem Elternhaus einen wohl gefuellten Buecherschrank, und sie hatte einen Vater, der, wie sie schreibt, in der Jugend ihren Lesehunger auch mit im Dritten Reich verbotenen und daher in der zweiten Reihe hinter den Klassikern verborgenen Buechern stillte. Mit schon betraechtlichen Leseerfahrungen kommt sie nach dem Abitur (1950 in Wetter/Ruhr) nach Freiburg i. Br., wo sie zunaechst bis 1953 Geige und Musik an der Hochschule fuer Musik studiert. Daran schliesst sie ein Studium der Neueren Germanistik, Musik- und Theaterwissenschaft an der Universitaet Muenchen an. UEber Freunde ihrer Eltern lernt sie Bertholt Brecht in Ost-Berlin 1952 kennen, bei dem sie von 1954 bis zu seinem Tod 1956 alle Semesterferien die Proben des Berliner Ensembles verfolgen kann. Die Summe dieser Erfahrungen sind in der Brecht- Biographie und in ihrem Buch ueber ,Das epische Theater" nachzulesen. Nach der Promotion 1957 bei Prof. Dr. Hermann Kunisch in Muenchen fuehrt Marianne Kestings ,Schreibtemperament" sie in die Theater- und Literaturkritik sowie zu laengeren Auslandsaufenthalten in Rom und Paris. Neben der ausgedehnten Feuilletontaetigkeit entsteht 1962 das Buch ,Panorama des modernen Theaters", mit dem sie dem deutschen Publikum internationale Dramenautoren und Inszenierungen vermittelt, und 1965 die ,Vermessung des Labyrinths. Studien zur modernen AEsthetik". Vom laengeren Ausflug in den Journalismus und die praktische Welt des Theaters kehrt sie in die Wissenschaft zurueck und habilitiert sich 1971 an der Universitaet Koeln. Dabei gibt es ein Kuriosum: In Koeln wird das Fach Komparatistik nicht angeboten; Kestings Habilitationsvater, der Germanist Prof. Dr. Walter Hinck, und der Romanist, Prof. Dr. Fritz Schalk, formulieren daraufhin fuer die venia legendi den Kompromiss ,Neuere deutsche Literatur und vergleichende Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts". 1972 folgt Prof. Kesting einem Ruf an die Universitaet Bielefeld, 1975 uebernimmt sie schliesslich den neu eingerichteten Lehrstuhl fuer Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universitaet Bochum, wo sie das Fach in den folgenden Jahren konsequent aufbaut und zu internationalem Ruf fuehrt. Daneben arbeitet sie in mehreren Literaturgremien mit, so in der Jury des Muehlheimer-Dramatiker-Preises, der des Carl-Szuka-Preises des Suedwestfunks und im Stipendiengremium des Internationalen PEN- Clubs, der Preise an junge Schriftsteller vergibt.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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