idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
25.02.2008 10:12

Gaue als Mittelinstanzen im NS-"Führerstaat"

Stephan Laudien Referat Öffentlichkeitsarbeit
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Publikation zur Struktur- und Funktionsgeschichte der Gaue im "Dritten Reich" erschienen

    Jena (25.02.08) Historiker haben das "Dritte Reich" in nahezu all seinen Facetten beleuchtet. Die Zeit des Nationalsozialismus dürfte damit zu den am besten erforschten Perioden deutscher Geschichte gehören. Doch gibt es bis heute weiße Flecken. Dazu gehören die Gaue als quasistaatliche Handlungs- und Mobilisierungsstrukturen des "Dritten Reiches". Initiiert von Prof. Dr. Jürgen John von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat sich Ende 2005 eine Konferenz in Berlin mit den NS-Gauen befasst. Deren Tagungsband liegt nun vor.

    Im Grunde zeichne sich erst jetzt eine systematische Gauforschung ab, sagt Jürgen John. Zwar haben sich Regional- und Milieuforschungen zur NS-Zeit mit den Gauen befasst. Insbesondere ihre Kulturpolitik sei recht gut erforscht. Zudem gab es eine frühe Studie über die NSDAP-Gauleiter und Einzelbiografien - darunter jüngst zum Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel. Die Gaue seien dabei, so John, nur als Partei- und "Gleichschaltungs"-Instanzen der NSDAP oder reichs-distanzierte Regionalmilieus wahrgenommen worden. "Die eigentliche Struktur- und Funktionsgeschichte der Gaue gleichsam ,im Reichsauftrag' blieb nahezu unberücksichtigt", so der Jenaer Historiker. Hier habe die Konferenz angesetzt, was der Tagungsband belegt. Jürgen John nennt die Befunde: "Seit 1936 und im Kriege stattete das NS-Regime die Parteigaue mit quasistaatlichen Mobilisierungs- und Steuerungsfunktionen aus und ordnete ihnen Provinzialverwaltungen als Hilfsstrukturen zu. So wurden die Gaue zu ,neustaatlichen' Mittelinstanzen des NS-Systems und zur neuen Regionalstruktur, die sich über die Länder und Provinzen legte." Damit zählten die NS-Gaue zur Kategorie mobilisierender und systemstabilisierender "Sondergewalten" an der "inneren Front" des "Altreichs" und der "Anschlussgebiete" von 1938/39. Ihre damit verbundenen "neustaatlichen" Funktionen prägten sich je nach Politikfeld, "Innerreich"- oder "Grenzland"-Lage unterschiedlich aus. Dieser Grundtrend habe jedoch alle Gaue erfasst.

    "Ein solcher systemgeschichtlicher Blick auf die NS-Gaue als ,neustaatliche' Sondergewalten und Reichs-Mittelinstanzen führt in noch unklare und heftig diskutierte Fragen nach dem Grundcharakter der im Kern kriegsgerichteten NS-Diktatur und ihrer Staatlichkeit", sagt John. Theorien habe es genügend gegeben. Sie reichten vom "totalen", "totalitären", allein vom "Führer gelenkten" oder auf ihn ausgerichteten Staat bis zur Vorstellung eines polykratischen, destruktiven, sich in Konflikten und konkurrierenden Instanzen "selbst zerstörenden" Systems. Zwar würden solche Theorien durchaus im Einzelnen charakteristische Phänomene beschreiben, sagt John, sie könnten indes nicht schlüssig erklären, wie das NS-System jahrelang einen massiven Angriffs- und Vernichtungskrieg zur ,Neuordnung Europas' führen konnte. Neuere Forschungen - auch zu den NS-Gauen - zeigen das Ausmaß kriegsgerichteter und systemstabilisierender Mobilisierungsfähigkeit des NS-Systems und seiner "Zustimmungs"- und "Volksgemeinschafts"-Diktatur.

    Die Diktatur sei - bei allen Konflikten und Konkurrenzen - lange Zeit eher von Konsens als von Dissens geprägt gewesen, wobei der traditionelle "Normenstaat" und der neue NS-"Maßnahmestaat" auch auf Gauebene interaktiv und komplementär zusammenwirkten. "Erst nach 1945 wurden die unvermeidlichen Konkurrenzen und Konflikte zu Resistenz, Dissens und Widerstand umgedeutet", betont John. Systematische Gau-Forschungen unter solchen Aspekten können - so der Jenaer Historiker - diesen Grundtrend neuerer NS-Forschung verstärken und zu besseren Einblicken in die Funktionsweise des NS-Systems verhelfen. Der neue Tagungsband soll dafür Wege weisen, ein vertiefendes Forschungsprojekt wird folgen.

    Jürgen John, Horst Möller, Thomas Schaarschmidt (Hg.): Die NS-Gaue. Mittelinstanzen im zentralistischen "Führerstaat", Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Verlag R. Oldenbourg, München 2007, 440 Seiten, Preis 69,80 Euro, ISBN 978-3-486-58086-0

    Kontakt:
    Prof. Dr. Jürgen John
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944484
    E-Mail: juergen.john[at]uni-jena.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de


    Bilder

    Cover der Publikation.
    Cover der Publikation.

    None

    Der Jenaer Historiker Jürgen John.
    Der Jenaer Historiker Jürgen John.
    Foto: Peter Scheere/FSU
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).