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Der Zeithistoriker Norbert Frei von der Universität Jena beschreibt die "Achtundsechziger"
Jena (22.04.08) Vierzig Jahre "danach" sind die "Achtundsechziger" öffentlich präsenter denn je und kaum jemand bezweifelt noch ernstlich ihren Platz in der Geschichte der Bundesrepublik. Aus dem Protestler Joschka Fischer wurde ein Bundesaußenminister, Daniel Cohn-Bendit sitzt für die Grünen im Europaparlament und nicht wenige ihrer einstigen Mitstreiter haben führende Positionen in den Medien inne. Die Generation der "Achtundsechziger" reicht jedoch weit über Deutschland und Europa hinaus. Sucht man nach den Anfängen der Bewegung, so fällt der Blick auf die Vereinigten Staaten. Prof. Dr. Norbert Frei von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat darüber jetzt ein Buch vorgelegt: "1968. Jugendrevolte und globaler Protest."
Frei, Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte, macht deutlich, dass es "um 68" vielfältige Bewegungen gegeben hat. Der Historiker konstatiert rasante Veränderungen, die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts die gesamte westliche Welt erschütterten und bis hinter den Eisernen Vorhang wirkten. Ausgehend von den USA, wo der Kampf gegen die Rassendiskriminierung einen charismatischen Protagonisten wie Martin Luther King und schon 1964 in Berkeley eine "Free Speech Movement" hervorbrachte, rollte eine Welle des Protests durch die Demokratien des Westens. Ihre Akteure waren vornehmlich Studenten, das einigende Band der Protest gegen den Krieg in Vietnam.
Norbert Frei beleuchtet die jeweiligen Ereignisse, ihre Akteure und Motive. Er schildert eine Vielfalt unterschiedlicher Formen außerparlamentarischer Opposition gegen die als erstarrt empfundenen Strukturen. Nichts weniger als der Traum von einer Gesellschaft ohne Krieg, von einer gerechteren Welt habe die Jugend beflügelt. Slogans wie "Make Love, Not War" standen gleichberechtigt neben dem Ruf nach "Sex and Drugs and Rock 'n' Roll", der einen "Summer of Love" begleitete. Frei beschreibt mit ironischer Distanz die Suche nach neuen, unkonventionellen Formen des Zusammenlebens, ohne die Vorzeichen eines Umschlagens in Gewalt zu vergessen. So gerät ihm die im Schlamm endende Orgie beim legendären Woodstock-Festival von 1969 zum Menetekel heraufziehender gewaltsamer Auseinandersetzungen, die mit der Radikalisierung der Kriegsführung in Vietnam einhergingen.
In der Bundesrepublik stand die Jugendrevolte im Zeichen der Auseinandersetzung mit der Vätergeneration, so dass alle Konfrontationen den Vergangenheitsbezug in sich trugen. Der Mord an den Juden stand "wie ein Gebirge der Schuld" in der vergangenheitspolitischen Landschaft der Bundesrepublik. Dennoch konstatiert Frei keinen deutschen Sonderweg. Gewaltsame Exzesse auf beiden Seiten der Barrikaden gab es in Frankreich ebenso wie in den USA - und nicht zuletzt in Japan. Selbst der Weg in den Terror der RAF war kein speziell deutsches Phänomen, wie ein Blick nach Italien beweist.
Ein Rumoren gab es auch im Ostblock. Es reichte vom Verbot der dekadenten "Beatmusik" in der DDR bis zum Aufruhr polnischer Studenten und gipfelte im Prager Frühling, der im August 1968 von sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde. Die Nachkriegsordnung sei in einer Phase ebenso unerwarteter wie unwahrscheinlicher Beschleunigung, Entgrenzung und Radikalisierung in einer Vielzahl politischer und gesellschaftlicher Bezüge auf den Prüfstand gekommen - und an manchen Tagen sogar ein wenig ins Schlingern geraten, schreibt Norbert Frei. Ihre nicht selten diffusen Ziele mögen die "Achtundsechziger" verfehlt haben, Geschichte geschrieben haben sie auf jeden Fall - zumal ihre Reise über die Zeit der Revolte hinaus weiterging: in ein sich danach breit entfaltendes Gelände alternativer, aber auch akademischer und künstlerischer Subkulturen.
Passend zum Thema veranstaltet das "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts" der Friedrich-Schiller-Universität am 25. und 26. April ein Symposium über "Psychoanalyse und Protest. Alexander Mitscherlich und die 'Achtundsechziger'". In den Rosensälen (Fürstengraben 27) wird dabei sicher noch viel Erhellendes zum Generationenkonflikt der 60er Jahre zu hören sein.
Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2008, 288 Seiten, Preis: 15 Euro, ISBN: 3-423-24653-7
Kontakt:
Prof. Dr. Norbert Frei
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 13, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944450
E-Mail: sekretariat.frei[at]uni-jena.de
Cover der neuen Publikation.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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