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09.12.1997 00:00

Interdisziplinäres Zentrum: erblicher Brustkrebs

Adolf Kaeser Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Frauen, in deren Familien gehaeuft Brustkrebs auftritt, haben moeglicherweise die Veranlagung fuer diese Krankheit geerbt. Das bedeutet zwar nicht, dass sie unumgaenglich an Brustkrebs erkranken werden, aber sie tragen ein hoeheres Risiko. "Gehoere ich zu dieser Risikogruppe? Soll ich mich genetisch testen lassen? Was sind die Konsequenzen?" Solche Fragen werden im "Interdisziplinaeren Zentrum fuer familiaeren Brust- und Eierstockkrebs" der Universitaet Wuerzburg beantwortet.

    Das Zentrum, das von der Deutschen Krebshilfe gefoerdert wird, bietet eine umfassende Beratung und Betreuung an, die auch psychotherapeutische Hilfe einschliesst. Es hat vor wenigen Monaten unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Weber vom Institut fuer Humangenetik seine Arbeit an der Universitaet aufgenommen.

    Der Brustkrebs ist eine sehr haeufige Krebserkrankung: Allein in Deutschland entwickelt etwa jede zehnte bis zwoelfte Frau im Laufe ihres Lebens ein Mammakarzinom, wobei seit einigen Jahren weltweit eine steigende Haeufigkeit beobachtet wird. Sie liegt derzeit in Deutschland bei 100 Erkrankungen pro 100.000 Frauen jaehrlich. Die grosse Mehrzahl der Mammakarzinome tritt sporadisch, also nicht familiaer gehaeuft auf, waehrend in schaetzungsweise fuenf bis zehn Prozent aller Faelle eine positive Familienanamnese vorliegt. Kennzeichen dafuer sind das Auftreten mehrerer Brusttumoren in aufeinanderfolgenden Generationen einer Familie, eine Manifestation im fruehen Lebensalter, das Auftreten von Ovarial- und maennlichem Mammakarzinom sowie eine erhoehte Rate anderer Karzinomarten, wie Prostata- und Kolonkarzinom.

    Genetik des Brustkrebses

    Waehrend die Ursachen fuer die Entstehung der sporadischen Brustkrebsformen noch weitgehend unklar sind, werden fuer die grosse Mehrzahl der familiaeren Faelle die beiden Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2 verantwortlich gemacht. Beide Gene wurden in juengster Zeit isoliert, ihre Nukleotid-Sequenzen bestimmt - dies eroeffnete die Moeglichkeit der direkten molekulargenetischen Diagnostik.

    Bei familiaeren Brustkrebspatientinnen haben Wissenschaftler in beiden Genen eine grosse Anzahl von Veraenderungen (Keimbahnmutationen) gefunden. Wie Prof. Weber erlaeutert, steigt durch eine Keimbahnmutation im BRCA1-Gen das lebenslange Risiko einer Frau, an Brust- bzw. Eierstockkrebs zu erkranken, auf etwa 80 bzw. 60 Prozent. Fuer BRCA2 betraegt dieses Risiko etwa 60 bzw. 20 Prozent. Maenner mit einer Veraenderung im BRCA2-Gen muessen mit einem lebenslangen Brustkrebsrisiko von etwa sechs Prozent rechnen. Fuer Kolon- bzw. Prostatakrebs liegen bisher keine Risikozahlen vor.

    Intakte BRCA1- und BRCA2-Genprodukte unterdruecken offenbar das Wachstum von Brusttumoren. Es wird angenommen, dass fuer die Entstehung eines Tumors zwei Mutationen erforderlich sind. Bei den familiaeren Faellen von Brustkrebs wird eine erste Mutation im BRCA1- bzw. BRCA2-Gen von einem Elternteil geerbt. Das bedeutet, dass diese Mutation in allen Zellen des Koerpers vorliegt, weshalb sie als Keimbahnmutation bezeichnet wird. Eine Keimbahnmutation allein fuehrt jedoch noch nicht zu einem Tumorwachstum, da in jeder Zelle noch eine intakte Kopie des BRCA1- bzw. BRCA2-Gens vorhanden ist. Erst wenn auch diese intakte Kopie des Gens durch eine zweite, somatische Mutation (Veraenderung in einer einzelnen Koerperzelle) ihre Funktion verliert, kommt es in dieser Zelle letztlich zur Entartung und damit zur Tumorentstehung.

    Voraussetzungen fuer eine molekulargenetische Untersuchung im BRCA1- bzw. BRCA2-Gen

    Durch die Entschluesselung der Nukleotid-Sequenzen des BRCA1- und BRCA2-Gens wurde die technische Voraussetzung geschaffen, um moegliche Gentraeger auf Mutationen zu untersuchen. Die bisherigen Befunde haben laut Prof. Weber gezeigt, dass in den einzelnen "Brustkrebsfamilien" in der Regel unterschiedliche Mutationen vorliegen. Daher muss in jeder Familie erneut das gesamte BRCA1- bzw. BRCA2-Gen untersucht werden, um die jeweilige familienspezifische Mutation zu identifizieren.

    Bisher wurden etwa 150 verschiedene BRCA1- und 100 verschiedene BRCA2-Mutationen beschrieben, die sich gleichmaessig ueber den kodierenden Bereich des jeweiligen Gens erstrecken. Es hat sich gezeigt, dass BRCA1- und BRCA2-Keimbahnmutationen ganz ueberwiegend in sogenannten Hochrisiko-Brustkrebsfamilien gefunden werden, also in solchen Familien, in denen drei und mehr Mammakarzinome vor der Menopause bzw. mindestens ein Mamma- in Verbindung mit mindestens einem Eierstockkarzinom auftreten.

    Interdisziplinaerer Ansatz zur genetischen Testung

    Seit Ende 1996 foerdert die Deutsche Krebshilfe einen interdisziplinaeren und multizentrischen Schwerpunkt, um eine Reihe methodischer, gynaekologischer, psychosozialer und ethischer Fragen im Zusammenhang mit einer praediktiven BRCA1/BRCA2-Testung in Deutschland zu klaeren. Eines der wesentlichen Ziele dieser Foerderung ist es, neue Strategien fuer eine adaequate Beratung, Betreuung und (vorbeugende) Behandlung von Brustkrebspatienten bzw. Mutationstraegern zu entwickeln. Zehn Zentren haben inzwischen ihre Arbeit aufgenommen: in Berlin, Bonn, Duesseldorf, Frankfurt, Heidelberg, Kiel, Muenchen, Muenster, Ulm und Wuerzburg. Sie bringen in einem interdisziplinaeren Ansatz Molekulargenetiker, Gynaekologen, genetische Berater und Psychologen zusammen.

    Im Wuerzburger Zentrum wird seit April 1997 eine genetische Beratung angeboten, die in Zusammenarbeit mit der Abteilung fuer Medizinische Genetik des Instituts fuer Humangenetik (Projektbetreuung: Prof. Dr. Tiemo Grimm), der Universitaets-Frauenklinik (Projektbetreuung: Prof. Dr. Hans Caffier) und dem Institut fuer Psychotherapie und Medizinische Psychologie (Projektbetreuung: PD Dr. Dr. Hermann Faller) durchgefuehrt wird.

    Dabei wird zunaechst eine detaillierte Familienanamnese erhoben, um das Risiko fuer eine genetische Vorbelastung abschaetzen zu koennen. Die Ratsuchenden werden anschliessend ueber die Moeglichkeiten und Grenzen einer genetischen Testung und ueber die derzeit empfohlenen gynaekologischen Massnahmen zur Vorsorge und Kontrolle aufgeklaert. Um bei der Bewaeltigung psychischer Probleme im Zusammenhang mit der Brust- oder Eierstock-Krebserkrankung und des moeglichen erhoehten Erkrankungsrisikos durch genetische Belastung in der Familie Hilfestellungen geben zu koennen, wird den Ratsuchenden eine begleitende psychotherapeutische Betreuung angeboten, die waehrend der Entscheidungsphase und nach der Mitteilung des Testergebnisses in Anspruch genommen werden kann.

    "Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dieser interdisziplinaere Ansatz der Beratung sehr positiv aufgenommen wird", sagt Prof. Weber. Denn dieser Ansatz ermoegliche den Ratsuchenden eine fundierte und informierte Entscheidung darueber, ob eine DNA-Testung stattfinden soll oder nicht. Die Erfahrung des Zentrumsleiters: Eine Testung wird oft von Frauen gewuenscht, die bereits von Brust- oder Eierstockkrebs betroffen sind. Dagegen neigen juengere, nichtbetroffene Frauen aus Hochrisiko-Brustkrebsfamilien eher dazu, von der DNA-Testung Abstand zu nehmen.

    Konsequenzen der molekulargenetischen Untersuchung

    Wird bei der genetischen Analyse der BRCA1- und BRCA2-Gene eine Keimbahnmutation gefunden, ergeben sich daraus nicht nur Konsequenzen fuer die untersuchte Person, sondern auch fuer deren Angehoerige bzw. Nachkommen. Da die Vererbung der Mutation dem autosomal dominanten Erbgang folgt, koennen sowohl Maenner als auch Frauen Mutationstraeger sein und somit einem erhoehten Krebsrisiko unterliegen. Fuer die Nachkommen besteht ein Risiko von 50 Prozent, das veraenderte BRCA1- oder BRCA2-Gen und damit die Veranlagung fuer die Entwicklung von Krebserkrankungen zu erben. Frauen, die keine Veranlagung geerbt haben, tragen weiterhin das allgemeine Risiko von etwa 1:10, an Brustkrebs zu erkranken.

    Sollte in einer Familie keine Mutation nachweisbar sein, ist zunaechst keine weitergehende Aussage ueber die Ursache der Brustkrebserkrankungen in der Familie moeglich. Es kann sein, dass eine Mutation vorliegt, die mit den zur Zeit verfuegbaren Testmethoden nicht zu erfassen ist. Es kann aber auch sein, dass ein anderes, nicht untersuchtes Gen fuer die Krebsentwicklung verantwortlich ist. Schliesslich besteht die Moeglichkeit, dass die Krebserkrankungen in einer Familie nicht auf einer erblichen Vorbelastung beruhen.

    Vorsorgemassnahmen

    Zur Zeit gibt es keine Moeglichkeit, das Auftreten von Brust- oder Eierstockkrebs bei Frauen mit einer erblichen Vorbelastung zu verhindern. Es gilt jedoch, dass die moeglichst fruehe Erkennung einer Krebserkrankung die groesste Chance einer Heilung bringt. Wenn aufgrund einer Familienvorgeschichte oder aufgrund des Testergebnisses ein erhoehtes Risiko besteht, Brust- oder Eierstockkrebs zu bekommen, wird ein engmaschiges Vorsorgeprogramm empfohlen. Dieses schliesst einen Katalog von Massnahmen ein, der von der Selbstuntersuchung der Brueste ueber Ultraschalluntersuchungen bis hin zur Mammographie und kernspintomographischen Untersuchung reicht. Andere Vorsorgemassnahmen, zum Beispiel die Einnahme von Medikamenten, oder chirurgische Massnahmen, wie die vorsorgliche Entfernung der Brust oder der Eierstoecke, sind bisher umstritten.

    Kontaktaufnahme

    Im Wuerzburger Zentrum fuer familiaeren Brust- und Eierstockkrebs stehen fuer weitere Informationen bzw. fuer die Vereinbarung von Beratungsterminen die Medizinerinnen Dr. Sigrun Hofferbert und Dr. Jael Backe sowie die Diplom-Psychologin Ulrike Worringen unter T (0931) 888-4084 zur Verfuegung.

    Kontakt: Prof. Dr. Bernhard Weber, Telefon (0931) 888-4062, E-Mail: bweb@biozentrum.uni-wuerzburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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