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Wissenschaft
Mit Sprachkritik Politik machen
Was über Juden und Verbrechen der Nazis gesagt werden darf
RUB-Publikation zu "Political Correctness" soeben erschienen
Der Fall "Faruk Sen" ist nur ein hochaktuelles Beispiel, wie Sprachkritik Politik macht und wie rasch Verantwortliche auf unpassende Vergleiche mit Verbrechen an Juden reagieren. Auch wenn der Vorwurf von "political correctness" nicht laut wurde, unterschwellig schwang er mit, wenn Sen nun wegen seiner Äußerungen in türkischen Medien seinen Posten räumen muss. "Sprachpolitik ist in der Bundesrepublik zu einem neuen, partiell eigenständigen Feld politischen Handelns geworden". Diese These vertritt der Bochumer Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher in seinem soeben erschienenen Buch "Political Correctness - Der sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen". Der Band ist aus einem geförderten Projekt der Initiative "Geisteswissenschaften gestalten Zukunftsperspektiven" des Landes NRW in Zusammenarbeit des Teams von Prof. Hölscher mit der Bielefelder Arbeitsgruppe von Prof. Willibald Steinmetz hervorgegangen.
PC als politisches Argument
Auch wenn der Begriff "Political Correctness" erst Ende der 80er Jahre, aus den USA kommend, auch in Deutschland sich als "Schlagwort etablierte", der Boden für dessen Erfolg war seit Ende des Zweiten Weltkrieges bereitet worden. So erinnert Hölscher in seiner Einleitung zurecht daran, dass die "Humanisierung der deutschen Gesellschaft" nach dem Krieg durch die "Reinigung ihrer Sprache von inkriminierten Begriffen, Floskeln, grammatikalischen Formeln" erfolgte. Bücher wie das "Wörterbuch des Unmenschen" von Sternberger, Storz und Süßkind, sowie Viktor Klemperers "Lingua Tertii Imperii" und ihre nachhaltige Rezeption waren nach Hölscher Ausgangspunkt für eine "erfolgversprechende Form der Entlarvung ehemaliger Nazis". So wurde im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik "Political Correctness" zum politischen Argument zuerst konservativer Kritiker und im weiteren Verlauf zu einem Begriff, mit dem unterschiedliche Lager die "Grenzen des politisch Sagbaren" und angemessenen politischen Redens ausloten.
Einzelanalysen und -interviews
Das Buch erinnert und analysiert sprachpolitische und juristische Auseinandersetzungen von der frühen Bundesrepublik bis in die Gegenwart, von dem Ringen um die richtigen und falschen Worte über die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen im Bundestag bis hin zu der Gedenkrede Weizäckers am 8. Mai 1985. In Einzelanalysen beleuchtet es den Historikerstreit, den "Fall Jenninger", den "Fall Heitmann", die - erneut - aktuelle Debatte um Martin Walser, den "Fall Möllemann und den "Fall Hohmann". Es schließt ab mit 13 Einzelinterviews mit Politikern, Wissenschaftlern, Theologen, Schauspielern, Publizisten, Soziologen aus Nordrhein-Westfalen, die ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum politischen Kampfbegriff "Political Correctness" wiedergeben. Eine kommentierte Auswahlbibliografie rundet das Buch ab.
Titelaufnahme
"Political Correctness. Der sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen." Herausgegeben von Lucien Hölscher. Mit Beiträgen von Tillmann Bendikowski, Thomas Mittmann und Gunner Sandkühler. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 228 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-8353-0344-7
Weitere Informationen
Prof. Dr. Lucien Hölscher, Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Neuere Geschichte und Theorie der Geschichte, Tel. 0234/32-28691, Fax: 0234/32-14540, E-Mail: lucien.hoelscher@rub.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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