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31.07.2008 15:17

Im Gespräch mit dem Ornithologen Prof. Dr. Martin Wikelski

Claudia Leitenstorfer Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Konstanz

    Er ist nicht nur, aber auch der Vogelgrippe auf der Spur: In Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft hat die Universität Konstanz eine neue Professur für Ornithologie eingerichtet. Ab dem Wintersemester 2008/2009 soll es das neue Lehrangebot im Fachbereich Biologie geben. Prof. Dr. Martin Wikelski hat die Professur übernommen. Gleichzeitig wurde er zum dritten Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen und Radolfzell berufen und mit der Leitung der Vogelwarte Radolfzell betraut. "Im Gespräch" hat sich bei ihm nach Details erkundigt.

    Herr Wikelski, von der Vogelgrippe ist nicht mehr viel die Rede. Trotzdem steht sie als ein wichtiger Punkt auf Ihrer Themenliste...

    Die Vogelgrippe war der Ausschlag für die Einrichtung der Professur. Wir wollen keine Panik machen, aber die Vogelgrippe wird uns sicherlich wieder intensiver beschäftigen - spätestens, wenn die Entenvögel im Herbst von Sibirien und Russland nach Europa ziehen. Die Vogelgrippe ist aber nur eine von vielen Krankheiten, um deren Erforschung wir uns kümmern. Weitere Beispiele sind Ebola und das West-Nil-Virus. Bei diesen Krankheiten geht es darum, nicht nur das Virus zu untersuchen, sondern auch die Übertragungswege beziehungsweise -mechanismen in der Umwelt zu erforschen. Wenn man sich alle Spuren anschaut, kommt man beispielsweise auch auf Vögel und Fledermäuse. Wie bewegen sich diese Tiere, wie interagieren sie? Das sind Fragestellungen, mit denen wir uns beschäftigen.

    Um Vorhersagen machen zu können?

    Ja, man kann das mit dem Wetterbericht vergleichen. Wir haben uns viel um Epidemiologie und Virologie gekümmert. Nur die Verbindung zur Ökologie und zur Immunologie ist noch nicht hergestellt - es gibt ein ganz großes Forschungsdefizit, was die Bewegungsanalyse von Tieren anbelangt. Nehmen Sie Gänse in Sibirien. Wir haben zwar generelle Zugmuster, wie sie sich jedes Jahr bewegen...

    Aber mit der Erforschung von Gänsen hat sich doch Konrad Lorenz besonders beschäftigt?

    Mit der Erforschung seiner Gänse. Allgemeine Angaben haben wir aber nicht. Ein weiteres Beispiel ist der Singvogelzug. Wir haben ein unglaubliches Defizit beim Thema, was Vögel zum Wohlbefinden des Menschen beitragen. Was brauchen die Tiere für Grundbedingungen, damit sie überhaupt ziehen? Wir wissen nicht, wann und wieso Vögel sterben. Auch die Ringfunde sagen nichts über die wirklichen Probleme aus.

    Was ist der Grund für dieses Forschungsdefizit?

    Uns fehlen die technischen Möglichkeiten. Es gibt nur den Flug von Wanderdrosseln, den wir im mittleren Westen in den USA sechs Nächte lang dokumentiert haben. Das war sehr aufwändig: Wir mussten den Tieren im Auto hinterherfahren. Sie fangen kurz vor Mitternacht zu fliegen an und hören wieder auf, wenn die Sonne aufgeht. In einer Nacht haben die Tiere, die pro Stunde bis zu 35 Meilen zurücklegen, bis zu 600 Kilometer geschafft - oft mit Rückenwind. Das entspricht einer Entfernung vom Bodensee bis nach Hannover. Wir konnten sie vom Boden aus maximal zehn Kilometer weit sehen und hören.

    Trifft diese Problematik auch auf die Erforschung der Singvogelzüge zu?

    Ja. Bisher können wir sie nur aus kleinen Flugzeugen oder ebenfalls vom Boden aus beobachten. Dabei sind die Singvögel immens wichtig: Sie fressen Tausende von Insekten. Wollte man die alle besprühen, wird einem schnell die Größenordnung klar. Da wäre ein eigener Satellit, über den das Zugverhalten beobachtet werden kann, noch äußerst preisgünstig.

    Ist Besserung in Sicht, was das technische Equipment anbelangt?

    Mit der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA testen wir ein System aus, das über die Internationale Raumstation funktioniert.

    Was haben Sie mit all den Daten vor, die Sie zusammentragen?

    Wir wollen eine so genannte Movebank, eine globale Datenbank für Tierbewegungen, erstellen. Darin soll beispielsweise dokumentiert sein, wie sich ein Bussard in Amerika verhält und wie einer in Indien. Dokumentiert werden soll auch, sobald die Tiere ihre Zugmuster verändern.

    Das hört sich nach viel Arbeit und Geduld an...

    Das stimmt. Das Problem ist: Krankheiten wurden bisher oft als lokales Problem eingeschätzt und damit unterschätzt - sie können aber auch ein globales Problem werden. Bisher lautete die Fragestellung: Wie könnte die Krankheit übertragen worden sein? Das wollen wir ändern: Wir wollen nicht nur nachher, sondern schon vorher wichtige Daten dazu liefern.

    Wie sind Sie überhaupt "auf den Vogel gekommen"?

    Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe dort das Verhalten von Rauchschwalben untersucht. In Bayern 3 gab es eine Sendung über eine Beringungsaktion an der Vogelwarte in Radolfzell. Ich habe eine Rauchschwalbe beringt und war total fasziniert, als sie im Jahr drauf wieder da war. Das war ein Schlüsselerlebnis.

    Ihre letzte Professur hatten Sie in den USA. Hatten Sie auch dort ein Schlüsselerlebnis?

    Ja. Ich habe in Illinois Leute kennen gelernt, die in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren für die Wildtier-Telemetrie Sender gebaut haben. Damals war klar, dass diese Art von Forschung einen ungeheuren Boom erleben würde. Die ersten 20, 30 Jahre war das auch so. Dann gab es eine Stagnation. Jetzt ist der Anspruch global: Haben wir die Gesetze der Bewegungen von Organismen dokumentiert, die dazugehörigen Algorithmen herausgefunden, können wir sie beispielsweise auf Flugzeuge und Schiffe übertragen. Das ist ein Riesenmarkt. Man könnte zum Beispiel Flugzeuge vor Vögelschwärmen warnen. Immerhin macht der Schaden, der durch Vögel an Flugzeugen verursacht wird, weltweit jährlich eine Milliarde Euro aus.

    Welche Projekte liegen Ihnen noch am Herzen?

    Wir wollen herausbekommen, wie es Streifengänse schaffen, den Mount Everest zu überfliegen - sie wurden aus Flugzeugen bis in einer Höhe von 9000 Metern gesehen. Hierzu wollen wir beispielsweise die Herzfrequenz untersuchen. Die Tiere ziehen zwischen der Mongolei und Indien hin und her und leben auch am Shanghai-See im Nordwesten von China, einem Vogelgrippe-Gebiet. Populationen gibt es auch beispielsweise in Afghanistan. Wir wissen allerdings nicht, wie groß diese sind - Enten und Zugvögel zu zählen, ist eines der schwierigsten Probleme. Ein weiteres Projektbeispiel: Wir wollen die Interaktionen von Rabenvögeln erforschen. Sind sie anfällig für Krankheiten? Noch ein Projektbeispiel: Wir untersuchen, wie genau Wanderfalken, die mit die tollsten Jäger sind, ihre Beute schlagen. Mal tun sie dies in der Luft wie bei Tauben, mal auf dem Boden wie bei Hasen. Für die Untersuchung nehmen wir zehn Mal pro Sekunde GPS-Punkte.

    Können Sie ein Beispiel für ein Projekt nennen, in dem Sie Kooperationspartner sind?

    Mit dem National Geographic schauen wir uns auf den Falklands eine Synopsis an. Dabei geht es darum, herauszufinden, wie sich Albatrosse, Pinguine, Kormorane und Möwen gemeinsam bewegen.

    Welche Vögel mögen Sie besonders?

    Tukane. Die sind unglaublich schlau und schön und leben in einer tollen Gegend. Und Ölvögel. Diese Tiere hat Humboldt in Südamerika entdeckt. Sie holen sich nachts Ölfrüchte von den Bäumen.

    Haben Sie auch in Deutschland einen Lieblingsvogel?

    Ja, den Wiederhopf. Der ist immer so lustig.

    Was ist mit Papageien?

    Die sind zum Untersuchen einfach zu schlau.

    Zur Person:

    Martin Wikelski wuchs in Bayern auf und diplomierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Für seine Doktorarbeit untersuchte er die Evolution der Körpergröße der Galapagos Meerechsen an der Universität Bielefeld. Danach ging Wikelski 1995 als Postdoc an die University of Washington in Seattle, USA, wo er in Zusammenarbeit mit dem Smithsonian Tropical Research Institute in Panama die Fortpflanzung von Vögeln unter mehr konstanten Umweltbedingungen in den Feuchttropen Zentralamerikas erforschte.

    Im Jahr 1998 wurde Wikelski als Assistant Professor an die University of Illinois in Urbana-Champaign berufen. Zwei Jahre später wechselte er zur Princeton University, eine der Eliteuniversitäten der amerikanischen Ostküste. Dort wurde er 2006 zum Professor auf Lebenszeit berufen, vor allem für seine Forschungen über den Vogelzug im Freiland und den Aufbau einer globalen Datenbank für Tierbewegungen.

    Vor kurzem wechselte Wikelski, dessen Frau Michaela Hau auch Professorin in Princeton war, an die Universität Konstanz und an das Max Planck Institut für Ornithologie, wo auch Michaela Hau eine unabhängige Forschungsgruppe leitet. Wikelskis Forschungsschwerpunkte werden in Zukunft die Erforschung globaler Vogelzugmuster sein und die Auswirkungen von Tierbewegungen auf Krankheitsübertragungen.


    Bilder

    Prof. Dr. Martin Wikelski
    Prof. Dr. Martin Wikelski
    Universität Konstanz
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsprojekte, Personalia
    Deutsch


     

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