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05.12.2000 14:16

Bei Verkehrsunfällen mit Kindern: Verletzungen trägt auch die Seele davon

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena. (05.12.00) Jedes zehnte Kind, das in einem Verkehrsunfall verletzt wird, erleidet auch eine psychische Traumatisierung. Das hat Dr. Regina Steil, Psychologin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in einer empirischen Studie mit 50 Thüringer Kindern zwischen sieben und 15 Jahren ermittelt.

    So genannte posttraumatische Belastungsstörungen äußern sich noch lange nach dem Unfallereignis und verursachen einen Leistungsabfall in der Schule, übertriebene Ängstlichkeit, Furcht vor dem Alleinsein oder verzögern die kindliche Entwicklung. "Eltern sollten genau auf solche Alarmsignale achten", empfiehlt die Psychologin. "Wichtig ist, dass Kinder den Unfall nicht verdrängen, sondern ihn in altersgerechter Form verarbeiten lernen. Dabei kann die ganze Familie helfen."

    Gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen Sabine Müller und Petra Gundlach befragte Dr. Regina Steil 30 Jungen und 20 Mädchen, die in der Jenaer Unfallchirurgie behandelt wurden, acht bis 63 Wochen nach dem Unfall. "Die Zusammenarbeit mit dem Kinderchirurgen Professor Felix Schier war vorzüglich", urteilt sie, "alle Eltern waren einverstanden, und auch die Ärzte und Pfleger in der Klinik halfen gern mit, weil sie für die psychische Betreuung ihrer kleinen Patienten neue Erkenntnisse erwarteten."

    Zwölf der 50 Kinder behielten bleibende körperliche Schäden zurück, Psychotraumata jedoch, so ein erstes wichtiges Ergebnis, können auch nach nur leichten Verletzungen auftreten: "Es kommt darauf an, wie lebensbedrohlich das Kind subjektiv die Situation empfunden hat." Je jünger die Kinder waren, umso schwerwiegendere Verletzungen der Seele stellten die Psychologinnen fest. Die althergebrachte Meinung, "Kinder stecken so etwas leicht weg", stimmt nicht.

    Grundsätzlich erleiden offenbar Jungen häufiger Verkehrsunfälle, von posttraumatischen Belastungsstörungen sind hingegen Mädchen stärker bedroht. "Vielleicht liegt das an einer geschlechtsspezifischen Erziehung", meint Regina Steil. "Jungen lernen, aktiver ihre Probleme zu bewältigen, während Mädchen häufig introvertierter, grüblerischer ihre Erlebnisse verarbeiten." So bewerteten die befragten Mädchen ihre Verkehrsunfälle zumeist subjektiv als gefährlicher und nehmen die Einschätzungen ihrer Eltern intensiver wahr.
    Generell machen unangemessene Einstellungen der Erwachsenen den Kindern bei der psychischen Bewältigung ihrer Erlebnisse schwer zu schaffen. Wenn es darum geht, posttraumatische Belastungsstörungen zu vermeiden, nehmen die Eltern als ihre wichtigsten Bezugspersonen eine Schlüsselrolle ein. "Auf keinen Fall dürfen sie abblocken, wenn ihre Kinder über das Ereignis sprechen wollen", warnt Steil. "Statt zu verdrängen, müssen sie lernen, das Erlebte aktiv zu bewältigen."

    Zum Beispiel, indem der Unfallhergang mit den Eltern ruhig und im Detail durchgesprochen oder in spielerischen Situationen nachempfunden wird. "Dabei haben vor allem die Kinder das Wort, Eltern sollten genau zuhören", empfiehlt die Wissenschaftlerin. Den Hergang verstehen, das eigene Verhalten einschätzen und aus möglichen eigenen Fehlern lernen: Das sind die Teilschritte in einem kognitiven Prozess, in dem die Kinder den Umgang mit ihrem erlittenen Schicksal bewältigen.

    Schutzreaktionen der Eltern sind dabei eher hinderlich. Wenn der Unfall zum Beispiel mit dem Fahrrad auf dem Weg zu Freunden passiert ist, dann sollten Eltern nicht anbieten, ihre Kinder künftig mit dem Auto zu chauffieren. "Solche Vermeidungsstrategien führen zur Verdrängung", weiß Dr. Steil. Besser wäre es, das Kind zu fragen, ob es denn nicht wieder mit dem Rad fahren will, und, wenn es unsicher ist, vielleicht beim ersten Mal mitzufahren. "Auf diese Weise gewinnen die Kinder allmählich wieder Sicherheit und Selbstvertrauen", so die Psychologin. "Es hilft ja nichts: Sie müssen selber lernen, ihren Weg durchs Leben zu gehen."
    Nur wenn alles nicht nützt, sollte ein Kinder- und Jugendpsychologe aufgesucht werden. "Das ist immer noch besser, als wenn das Kind aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörungen soziale Nachteile erleidet, etwa in der Schule", gibt Steil zu bedenken. Die Behandlungskosten trägt in der Regel die Krankenkasse.

    Ansprechpartnerin:
    Dr. Regina Steil
    Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Tel.: 03641/945183, Fax: 945182
    E-Mail: Regina.Steil@rz.uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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