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Wissenschaft
Das aufregendste Schaf aller Zeiten stammt aus Schottland: Dolly, 1997 geboren, versetzte die ganze Welt in Aufruhr - schließlich wurde sie nicht im Liebesrausch gezeugt, sondern im Labor geklont. Das Dolly-Experiment lässt sich prinzipiell beim Menschen nachvollziehen, und es birgt viele Möglichkeiten, vor allem für die Behandlung von Krankheiten. Aber es wirft auch ethische Fragen auf. Mit diesem Spannungsfeld befasst sich der "Würzburger Kreis", der im November erstmals zusammengetreten ist.
Wie lief das Dolly-Experiment ab? Die Wissenschaftler des schottischen Roslin-Instituts entnahmen aus dem Euter eines Schafs eine normale Körperzelle. Dann lösten sie den Zellkern heraus, übertrugen ihn in die zuvor entkernte Eizelle eines anderen Schafs und pflanzten diese dem Tier ein. Die Eizelle entwickelte sich daraufhin weiter, ganz so, als wäre sie befruchtet worden. Und schließlich kam Dolly zur Welt: Genetisch identisch mit dem Schaf, von dem die Euterzelle stammte, und damit ein Klon.
Mit diesem Experiment hatten die Wissenschaftler gezeigt, dass sich der Kern einer erwachsenen Körperzelle nach der Übertragung in eine Eizelle wieder so verhält, als sei er in seinen embryonalen Zustand zurückgekehrt: Er beginnt sich zu teilen und bildet Zellen, die zunächst noch unreif sind. Aus diesen so genannten Stammzellen können im Prinzip alle anderen Zelltypen des Körpers entstehen - seien es Blut-, Leber- oder Nervenzellen.
Wie könnte diese Erkenntnis dem Menschen zugute kommen? Beispiel: Ein Kind erkrankt an einer akuten Leukämie; ein geeigneter Knochenmarkspender kann nicht gefunden werden. Also entnimmt man dem kleinen Patienten Zellen, etwa aus der Haut, löst den Kern heraus und überträgt ihn in eine Eizelle, die von der Mutter des Kindes gespendet wurde. Ziel: Man will blutbildende Stammzellen für die Therapie gewinnen.
Zellhaufen nutzen oder Embryo opfern?
An dieser Stelle beginnen die Probleme. Zuerst mit den Augen des Naturwissenschaftlers betrachtet: Die Eizelle mit dem Zellkern des Kindes fängt an sich zu teilen. Es entsteht ein Zellhaufen, den man im Labor mit einigem Aufwand dazu veranlassen könnte, blutbildende Stammzellen hervorzubringen. Diese würden dann dem Kind transplantiert - da sie ja genetisch mit ihm identisch sind, gäbe es keine Probleme mit der Verträglichkeit - und es könnte geheilt werden. Diese Vorgehensweise ist bislang gesetzlich verboten
Andere Sichtweise: Die Eizelle mit dem Zellkern des Kindes fängt an sich zu teilen. Es entsteht ein Embryo, also ein neuer Mensch, dessen Leben absolut schützenswert ist. Darf man erst einen Embryo erzeugen, um ihn dann zugunsten eines kranken Menschen zu opfern? Oder nutzt man hier nur einen "Zellhaufen"?
Dieser Sachverhalt beschreibt nur ein Problem aus dem Bereich der Stammzellforschung. Die Wissenschaftler sprechen hier vom therapeutischen Klonen, weil Zellen und Gewebe mit dem Ziel gezüchtet werden, sie für die Behandlung von Krankheiten einzusetzen. Mit diesem Thema befasste sich der "Würzburger Kreis" bei seinem ersten Treffen.
Die Gesprächsrunde besteht aus acht Fachleuten und hat ihre Wurzeln im Sonderforschungsbereich (SFB) 465 "Entwicklung und Manipulation pluripotenter Zellen", der 1996 an der Universität Würzburg eingerichtet wurde und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Zu den Aufgaben des Sonderforschungsbereichs gehört es, eine Diskussion über die ethischen Probleme der Stammzellforschung zu führen. Damit sollen die Forscher zur Meinungsbildung im SFB, aber auch in der Öffentlichkeit beitragen.
SFB-Sprecher Prof. Dr. Ulf R. Rapp nach der ersten Sitzung: "Wir haben vier Stunden lang heftig diskutiert." Der Würzburger Kreis treffe sich im kleinen Rahmen und nicht öffentlich, weil eine überschaubare Gesprächsrunde der Entwicklung von Gedanken und Ideen förderlicher sei als ein Diskurs, der vor vielen Zuhörern stattfindet. Die Diskussion wurde aufgezeichnet und soll auch veröffentlicht werden.
Im SFB 465 selbst laufen keine Arbeiten mit echten embryonalen Stammzellen von Menschen. Vielmehr widmen sich die Wissenschaftler dem Versuch, die Zellen von erwachsenen Geweben so umzuprogrammieren, dass sie sich embryonal verhalten, und sie dann in eine bestimmte Entwicklungsrichtung zu lenken. Bildlich gesagt: Wie kann man ein Brot wieder zu Mehl machen und dieses dann dazu bringen, zu einem Brötchen zu werden?
Die Sicht des Molekularbiologen
Prof. Rapp hat nach dem ersten Treffen des Würzburger Kreises eine Wunschliste erstellt: Demnach sollte die Übertragung von Kernen aus Zellen erwachsener Menschen in menschliche Eizellen und deren Kultur bis zu einem bestimmten Stadium (Blastozyste) erlaubt werden. Außerdem sollte es möglich sein, aus diesem Stadium embryonale Stammzell-Linien zu isolieren.
Wünschenswert ist es nach Ansicht des Molekularbiologen auch, die bei künstlichen Befruchtungen anfallenden überzähligen Embryonen bis zum Blastozysten-Stadium für die Gewinnung von Stammzellen verwenden zu dürfen. Dies will Prof. Rapp allerdings nur als Übergangslösung verstanden wissen, bis der Gesetzgeber der Wissenschaft einen anderen Weg erlaubt: Bei diesem sollten auf dem Weg der Organspende Eierstöcke zur Verfügung stehen, deren Eizellen man im Labor reifen lassen könnte.
Letzten Endes solle aber angestrebt werden, aus den embryonalen Zellhaufen so genannte pluripotente embryonale Stammzellen (ES-Zellen), die dauerhaft im Labor kultiviert werden können, zu gewinnen. Dann könnte man versuchen, die Kerne aus ausgewachsenen Zellen in diese entkernten ES-Zellen einzubringen. Bislang ist das zwar gesetzlich erlaubt, aber bis diese Vorgehensweise verwirklicht werden kann, besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Außerdem dürfen diese Experimente zur Zeit nicht mit Drittmitteln der DFG oder des Bundesforschungsministeriums durchgeführt werden.
Die Sicht des Moraltheologen
Aus ethischer Sicht stelle sich freilich eine Reihe von Bedenken und Fragen, so der Würzburger Moraltheologe Prof. Dr. Stephan Ernst: Kann man menschliches Leben überhaupt verrechnen, auch wenn auf der anderen Seite ein so wichtiger Wert wie eine mögliche Heilung von Krankheiten steht? Hat die Gesellschaft hier nicht auch ihre Solidarität mit denjenigen zu erweisen, die ihre Rechte noch nicht selbst vertreten können? In diesem Fall werde man um die Frage nach dem Personenstatus des Embryos nicht herumkommen.
Weiter sei zu fragen, so Prof. Ernst, welche Auswirkungen die Zulassung der Forschung an Embryonen sowie eine mögliche Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes haben werden: "Wird damit nicht, auch wenn eine solche Forschung zunächst von ihren Zielen her streng eingegrenzt werden soll, doch prinzipiell der Weg zu einer beliebigen Forschung an Embryonen geöffnet?" Schließlich müsse man fragen, ob die Ziele der Stammzellforschung wirklich nur auf dem Weg der "verbrauchenden Forschung an Embryonen" erreicht werden könnten oder ob nicht auch ein ethisch weniger heikler Weg möglich sei. Damit meint Prof. Ernst die Forschung mit gewebespezifischen Stammzellen: Aus diesen kann sich kein neuer Embryo entwickeln.
Prof. Berchem:
Geisteswissenschaftler einbeziehen
Eröffnet wurde das erste Treffen des Würzburger Kreises von Universitätspräsident Prof. Dr. Theodor Berchem. Er wies darauf hin, dass die ethische Verantwortung der Wissenschaftler umso größer werde, je mehr Macht und Einfluss sie auf das menschliche Leben haben. Im konkreten Fall gehe es auch darum, die Frage zu klären, ob und wie weit der Zweck die Mittel heiligen dürfe, was wichtiger sei: der Schutz des Lebens - auch des werdenden - oder die Heilung Schwerkranker oder Schwerverletzter.
"Ethisch-kritische und verantwortungsbewusste Begleitung der Forschung, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Transparenz nach außen, zu all dem, so scheint mir, ist mit der Institutionalisierung des Würzburger Kreises ein wichtiger Schritt getan", so der Präsident. Wünschenswert wäre es allerdings, auch Geisteswissenschaftler einzubeziehen, zum Beispiel einen "gestandenen Philosophen".
Dem Würzburger Kreis gehören an:
· Stephan Ernst, Moraltheologe, Universität Würzburg
· Peter Gruss, Molekularbiologe, Max-Planck-Institut Göttingen
· Albrecht Müller, Stammzellforscher, Universität Würzburg
· Ulf R. Rapp, Molekularbiologe, Universität Würzburg
· Michael Sendtner, Stammzellforscher, Universität Würzburg
· H. van der Veen, Reproduktionsphysiologe, Universität Bonn
· Holger Wormer, Wissenschaftsjournalist, Süddeutsche Zeitung
· Martin Wilhelm, Hämatoonkologe und Stammzelltherapeut, Universität Würzburg
Kontakt: Prof. Dr. Ulf R. Rapp, T (0931) 201-5140, Fax (0931) 201-3835, E-Mail: rappur@mail.uni-wuerzburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin, Philosophie / Ethik, Religion
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
Deutsch
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