idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
10.10.2008 13:05

"Weißbuch Schmerz": Erste Bestandsaufnahme der Versorgungssituation von Schmerzpatienten

Meike Drießen Pressestelle
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS)

    (Berlin, 9. Oktober 2008) Die deutsche Schmerzforschung ist international anerkannt und die Patientenversorgung entwickelte sich hierzulande in der Vergangenheit besser als in manchen anderen Ländern. Doch dieser Prozess stockt: Ein erheblicher - wenn nicht gar der größte - Teil der betroffenen Patienten erhält nach wie vor keine adäquate Behandlung. Geschieht nichts, warnen die Experten im neuen "Weißbuch Schmerz", werde der demographische Wandel die bestehenden Probleme verschärfen.

    Die zentrale Forderung der Herausgeber und Autoren lautet: "Es gilt den Millionen von Schmerzpatienten in Deutschland zu ihrem Recht auf eine angemessene Behandlung zu verhelfen und die Chronifizierung von Schmerzen durch intelligente Versorgungskonzepte und eine frühzeitige Behandlung möglichst zu verhindern."

    Akuter Schmerz ist ein Warnsignal. Schmerz ist ein ständiger oder wiederkehrender Begleiter von Erkrankungen, die nicht (mehr) geheilt werden können. Schmerz kann sich verselbstständigen und zu einer eigenständigen Krankheit werden, der chronischen Schmerzkrankheit. Mit all seinen Facetten ist Schmerz damit das häufigste Krankheitsbild überhaupt - häufiger als Diabetes, häufiger als Krebs und häufiger als Herz-Kreislauferkrankungen. Im Gegensatz zu diesen Leiden fehlt chronischer Schmerz jedoch in den meisten Statistiken zur Erfassung der Bedeutung von Erkrankungen. Dies hat gravierende Folgen zum Beispiel für politische Entscheidungen, die auf diesen Statistiken beruhen: Was nicht von der Statistik erfasst wird, existiert nicht. "Trotz großer Fortschritte in der Schmerzforschung während der letzten beiden Dekaden, wurde die Patientenversorgung nicht analog verbessert", erklären die Herausgeber des Weißbuches Schmerz, Dr. Marianne Koch und Prof. Dr. Hans Rüdiger Vogel. Es fehlte ein umfassender Überblick, der die Versorgungslage beschreibt und Lösungswege zur Verbesserung aufzeigt. Diese Lücke schließt nun das "Weißbuch Schmerz". In ihm geben führende Experten einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand der Versorgung von Patienten mit verschiedenen Schmerzformen und präsentieren Vorschläge, wie die Situation der Patienten verbessert werden kann.

    Schmerzforschung.
    Die deutsche Schmerzforschung ist international anerkannt. Auf dem Gebiet der Erforschung des neuropathischen Schmerzes ist Deutschland sogar weltweit führend. Dennoch besteht ein Missverhältnis zwischen der Bedeutung chronischer Schmerzen für die Patienten und die Gesellschaft und der Förderung der Schmerzforschung: Für sie werden weniger als ein Prozent der Folgekosten chronischer Schmerzerkrankungen aufgewendet. Es fehlt vor allem die Nachhaltigkeit. Dabei ist der Forschungsbedarf groß: Die Erkenntnisse der Schmerzforschung müssen schneller in neue Diagnose- und Therapieverfahren umgesetzt werden. Ebenso besteht großer Forschungsbedarf im Bereich der Epidemiologie und bei den schmerzbedingten Gesundheitskosten.

    Mediziner-Ausbildung.
    Diagnostik und Therapie von chronischen Schmerzen sind noch immer kein verbindlicher Bestandteil des Medizinstudiums und der Facharzt-Weiterbildung. In der Approbationsordnung fehlt die Schmerztherapie als Pflichtfach. Ob Schmerztherapie an einer Universität gelehrt und damit gelernt wird, steht im Ermessen der Hochschule. Es gibt zwar die Zusatzweiterbildung "spezielle Schmerztherapie" (eingeführt 1996), doch die Schmerztherapie ist nicht als eigenständiges Fach in der Medizin repräsentiert. Bis heute gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Schmerztherapie.

    Strukturprobleme im Gesundheitssystem.
    Zur Behandlung von Schmerzen stehen heute wirksame Methoden zur Verfügung. Darüber hinaus verbessern innovative Behandlungskonzepte, insbesondere multimodale und interdisziplinäre Ansätze, die Therapie chronischer Schmerzen. Diese Verfahren ermöglichen eine adäquate Versorgung und vor allem die Prävention der Schmerzchronifizierung. Der Bedarf an schmerztherapeutischen Einrichtungen, die interdisziplinär arbeiten, wird auf rund 3000 geschätzt. Vorhanden sind indes nur etwa 500. Vernetzte und übergreifende Strukturen, in denen auch die sektoralen Grenzen überwunden werden, entwickeln sich sehr langsam. Die Folge: Derzeit erzielt das System der Regelversorgung in Deutschland aufgrund der Defizite bei der Behandlung chronischer Schmerzen trotz einem hohen finanziellen Aufwand nur relativ schlechte Ergebnisse. Effektive Behandlungsmaßnahmen werden zumeist viel zu spät und zu zögerlich eingeleitet.

    Ökonomische Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem.
    Die ökonomischen Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem machen Leistungseinschränkungen bei der Versorgung unausweichlich und erschweren eine sachgerechte Therapie deutlich.

    Voraussetzungen für Verbesserungen in der Schmerzversorgung

    Auf der Grundlage der Bestandsaufnahme im Weißbuch Schmerz empfehlen die Präsidenten der deutschen Schmerzorganisationen eine Reihe von Maßnahmen, wie die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland nachhaltig verbessert werden könnte:
    ? Die Schmerzforschung in Deutschland muss entsprechend ihrer Bedeutung und ihrem internationalen Renommee stärker unterstützt werden und in den Plänen für die zukünftige Ausrichtung der
    Gesundheitsforschung als elementarer Bestandteil repräsentiert sein.
    ? Die Diagnostik und Therapie von akuten und chronischen Schmerzen müssen in die Approbationsordnung derÄrzte als Pflichtfach und in die Weiterbildung aller Facharztrichtungen aufgenommen werden.
    ? Die Schaffung einer Facharzt-Bezeichnung für Schmerztherapie würde der Schmerzmedizin an den Universitäten zu einer stärkeren und eigenständigen Repräsentation verhelfen. Davon würde auch die Schmerzforschung profitieren.
    ? Nötig sind verbesserte Präventionsmaßnahmen, eine rechtzeitige und ausreichende Therapie akuter sowie eine effektive interdisziplinäre Behandlung chronischer Schmerzen. Dies erfordert eine abgestufte Versorgung und definierte Behandlungspfade für Schmerzpatienten sowie klare Schnittstellen, die im Gesundheitswesen etabliert werden müssen.
    ? Erforderlich sind mehr ambulante oder stationäre Schmerzzentren, in denen verschiedene Fachrichtungen - Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten - zusammenarbeiten und Patienten gemeinsam betreuen.
    ? Die Versorgungsstrukturen müssen flächendeckend für die Mitglieder aller gesetzlichen Krankenversicherungen verfügbar sein. Nur so können "Patientenkarrieren" und die Chronifizierung von Schmerzen vermieden werden. Dazu sind nicht unbedingt mehr Mittel erforderlich, sondern vielmehr eine intelligentere Nutzung der vorhandenen.
    ? Diagnostik und Therapie von Schmerzen müssen in den Leistungsverzeichnissen der Gesetzlichen Krankenkassen sowie in den Fallpauschalen der Kliniken adäquat abgebildet sein.
    ? Der chronische Schmerz muss in die verschiedenen Statistiken als eigenständige Erkrankung aufgenommen werden. Nur dann wird der Schmerz nicht mehr nur als ein Symptom anderer Erkrankungen, sondern als eigenständige Krankheit wahrgenommen und verschlüsselt.

    "Weißbuch Schmerz" - eine Bestandsaufnahme der Versorgungssituation von Patienten mit chronischem Schmerz in Deutschland o Georg Thieme Verlag Stuttgart (2008) ISBN 978-3-13-149911-0

    Kontakt und weitere Informationen

    Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.
    Deutsche Schmerzliga e.V.
    Pressestelle: Dipl. Biol. Barbara Ritzert
    ProScience Communications GmbH
    Andechser Weg 17 o 82343 Pöcking
    Tel.: +49(0)8157 9397-0 o Fax: +49(0)8157 9397-97
    E-Mail: ritzert@proscience-com.de

    Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
    Pressestelle: Meike Drießen, M.A.
    c/o Ruhr-Universität Bochum
    44780 Bochum
    Tel.: +49(0)234 32-26952 o Fax: +49(0)234 32-14136
    Internet: http://www.dgss.org
    E-Mail: presse@dgss.org

    Pfizer Deutschland GmbH
    Unternehmenskommunikation
    Martin Fensch/Dr. Achim Janik
    Linkstraße 10 o D-10785 Berlin
    Telefon: +49(0)30 55 00 55 51088
    E-Mail : presse@pfizer.com


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).