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Wissenschaft
Unter Leitung des Psychiaters Dr. Philipp Kuwert vom Klinikum der Universität Greifswald startet in Mecklenburg-Vorpommern jetzt eine Studie zum Thema "Kriegsvergewaltigungen". Unterstützerin ist die Kölner Ärztin Dr. Monika Hauser, die für ihr Engagement gerade den alternativen Nobelpreis bekommen hat. Für die Studie werden Teilnehmerinnen aus Vorpommern gesucht, die bereit sind, an der umfassenden Befragung teilzunehmen. Ziel ist es, die heutige psychische Belastung betroffener Frauen zu evaluieren, die damaligen Umstände der Kriegsvergewaltigungen und deren Verarbeitungsmuster zu erfassen und verbesserte Therapieansätze zur Behandlung der traumatischen Spätfolgen zu entwickeln.
"Wenn am Donnerstag in den Kinos der Film Anonyma - eine Frau in Berlin anläuft, werden sich viele Frauen in Mecklenburg-Vorpommern so wie in ganz Deutschland an ihre schrecklichen Erlebnisse zu Ende des 2. Weltkrieges erinnern. Frauen, die in den letzten Kriegstagen und unmittelbar danach vergewaltigt wurden oder sexuelle Massenübergriffe durch die Sieger erlebten, leiden oft bis heute an den traumatischen Folgen der Erlebnisse. Vielen ist nicht einmal bewusst, dass ihre Psyche bis heute leidet und manch quälende Erkrankung dort ihre Wurzeln hat", so der Psychiater Dr. Philipp Kuwert.
Mit der Studie sollen erstmals die traumatischen Folgen sexueller Kriegsgewalt am Ende des 2. Weltkrieges untersucht werden. Die Untersuchung wird von zwei geschulten psychologischen Doktorandinnen bzw. Diplomandinnen durchgeführt, die die Befragungen entweder bei Betroffenen zu Hause oder in Räumen der psychiatrischen Universitätsklinik in Greifswald bzw. Stralsund durchführen werden. Dabei wird Vertraulichkeit zugesichert.
Derzeit reichen die finanziellen Mittel nur für begrenzte Befragungen in Vorpommern, je nach Resonanz auch in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Brandenburg. Nach Ansicht von Philipp Kuwert und Monika Hauser wäre es jedoch dringend geboten, die Untersuchung auszudehnen, um so eine umfassende Dokumentation der Folgen sexualisierter Kriegsgewalt zu ermöglichen. Beide sind sehr an einer Internationalisierung des Themas interessiert, um so auch die Länder einbeziehen zu können, die damals Opfer des deutschen Vernichtungskrieges wurden. Es gibt Dokumente, die massenhafte Vergewaltigungen zum Beispiel durch SS-Angehörige in den damals besetzten Teilen Osteuropas dokumentieren. Erste Kontakte mit osteuropäischen Universitäten (St. Petersburg, Donnetsk) wurden bereits hergestellt.
Das Thema sexualisierte Kriegsgewalt ist bis heute hochaktuell, auch in Europa. Es ist kein Zufall, dass die Kölner Ärztin Dr. Monika Hauser Unterstützerin ist. Sie wurde für ihr Engagement mit der von ihr gegründeten Organisation medica mondiale mit dem Alternativen Nobelpreis 2008 geehrt.
"medica mondiale bemüht sich seit Jahren, das verschwiegene Thema der Kriegs- und Nachkriegsvergewaltigungen zu enttabuisieren. Unsere tiefe Überzeugung und 15-jährige Erfahrung in vielen aktuellen Kriegs-/Nachkriegsgebieten ist, dass nur eine Ent-Stigmatisierung zu Prozessen führt, die das Sprechen für Frauen möglich macht. So kann eine individuelle Bearbeitung und bestenfalls eine kollektive Erinnerungskultur ermöglicht werden und die betroffenen Frauen erfahren eine - wenn auch minimale - Gerechtigkeit. Die geplante Studie von Dr. Kuwert ist ein außerordentlich wichtiger Beitrag zu unserem gemeinsamen Anliegen." Das erklärte Monika Hauser.
Dr. Philipp Kuwert hofft, dass die enttabuisierende Wirkung des Kinofilms hilft, Frauen zu bewegen, an dieser Studie teilzunehmen. Angesichts der begrenzten Mittel werden insbesondere betroffene Frauen aus Vorpommern eingeladen, sich über die Studientelefonnummer 0176-87254306 für eine Befragung anzumelden. Frauen aus weiteren Teilen Deutschlands können eventuell bei Folgeprojekten berücksichtigt werden, so dass die Arbeitsgruppe auch an bundesweiten Rückmeldungen grundsätzlich Interesse hat. Weiterhin sind betroffene Kinder eingeladen, um an einem Folgeprojekt zu deren Belastungen und Identitätsentwicklung zu einem späteren Zeitpunkt teilzunehmen.
Weitere Informationen:
Erfahrungen hat das Team bereits bei Vorprojekten zu Kriegskindern, Flakhelfern und Kriegsüberlebenden des Balkankrieges gesammelt. Parallel zu der aktuellen Erhebung besteht für ältere Kriegsüberlebende, die unter posttraumatischen Symptomen leiden, die Chance, an einer kostenlosen, über das Internet angebotenen, spezialisierten Schreibtherapie teilzunehmen.
Anmeldung und Nachfragen betroffener Frauen
Dipl.-Psych. Elena Grundke
Cand.-Psych. Svenja Eichhorn
Studienhandy: 0176/87254306
Studienleiter Dr. Philipp Kuwert
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Rostocker Chaussee 70, 18437 Stralsund
Telefon 03831 452158
kuwert@uni-greifswald.de
Interessierte an der Therapiestudie "Lebenstagebuch" wenden sich an
Dipl.-Psych. Maria Böttche
Telefon 030 30390632
maria.boettche@lebenstagebuch.de
http://www.lebenstagebuch.de - Lebenstagebuch
http://www.medicamondiale.org/ - medica mondiale
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Psychologie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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