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03.01.2001 17:17

Nachruf Willard Van Orman Quine

Ramona Ehret Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Medieninformation vom 3. Januar 2001

    Nachruf
    Willard Van Orman Quine
    (1908 - 2000)

    Willard Van Orman Quine ist am Weihnachtstag des Jahres 2000 verstorben. Er hat die Philosophie des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet. Frühere Lexika haben ihn bloß als Logiker eingestuft; schon bald wurde er aber als Philosoph im umfassenden Sinn dieses Wortes anerkannt - zunächst als
    Fachmann auf dem Gebiet der Philosophie der Logik und als Sprachphilosoph, schließlich als Metaphysiker, dessen grundlegende Ideen über Ontologie, Erkenntnistheorie und Kommunikation sich auf alle wichtigen Gebiete der Philosophie ausgewirkt haben.
    Sein Frühwerk - angefangen von seiner Dissertation (1932) bis zum Jahr 1943 - betraf hauptsächlich die Logik. Die wichtigste Publikation in diesem Zeitraum war der elfseitige Aufsatz "New Foundations for Mathematical Logic" in der Zeitschrift American Mathematical Monthly (1937). Dieser kleine Aufsatz hat eine ganze Reihe weiterer Arbeiten angeregt und bildet sogar heute noch den Gegenstand
    intensiver Forschungsarbeit und Diskussion.
    Quines logische Arbeiten waren von allem Anfang an philosophisch motiviert, und er hat sich zunehmend immer mehr auf philosophische Themen konzentriert. Ontologische Fragen tauchen bereits in "Ontological remarks on the propositional calculus" (Mind 1934) auf, und Ontologie blieb immer eines der Kernanliegen von Quine. Er brachte ontologische Fragen auf den Punkt (etwa durch sein berühmtes
    dictum "To be is to be the value of a variable") und warf die Frage nach den sogenannten ontologischen Verpflichtungen auf. Er hatte immer einen Hang zum Spartanischen; so geht es in seinem Buch Set Theory and Its Logic (1963) um die grundsätzliche Frage, wie man die Ontologie möglichst
    minimal halten kann. Gemeinsam mit Nelson Goodman erkundete er die Möglichkeit, ein Nominalist zu sein. Im Unterschied zu Goodman hat er sich mit einem platonischen Realismus abgefunden. In seinem späteren Werk gab er diesem Realismus jedoch eine verblüffende neue Wende in Richtung auf
    Unbestimmtheit der Referenz, was in der Sekundärliteratur noch nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
    Ein anderes Hauptthema trat bereits früh im Werk von Quine zutage und wurde schließlich sein Hauptbeitrag zur Philosophie: Es begann als ein Skeptizismus gegenüber Bedeutung und verwandten Begriffen wie Analytizität und Modalität. Dieser Skeptizismus führte zu einer Verwerfung früherer philosophischer Ansichten über Kommunikation und die Beziehung der Sprache zur Welt. Ein erster
    Schimmer davon taucht bereits in "Truth by Convention" (1936) auf. Ab 1943 fand dieser Standpunkt in einer Reihe von Aufsätzen seinen Ausdruck, welche sich gegen Modalbegriffe wie Notwendigkeit und Möglichkeit richteten. 1951 skizzierte Quine eine alternative Auffassung von Bedeutung in "Two Dogmas of Empiricism". Dieser Standpunkt wurde in Word and Object (1960) ausgearbeitet; darin
    verband er seine Kritik an den Modalitäten mit dem Argument, daß ein Quantifizieren in modale Kontexte zu einem "Kollaps" von modalen Unterscheidungen führt.
    Quines Einwänden gegen ein Quantifizieren in modale Kontexte kann damit begegnet werden, daß die traditionelle Semantik zugunsten einer neuen Semantik aufgegeben wird, in welcher sogenannte "genuine" singuläre Terme bzw. "rigide Designatoren" denselben Gegenstand in allen möglichen Welten
    bezeichnen, in denen der betreffende Gegenstand überhaupt existiert. Diese grundlegende Idee der sogenannten "neuen Theorie der Referenz" entstand als Antwort auf Quines kritische Einwände und verdankt viel seiner scharfsinnigen Analyse der zugrunde liegenden Probleme.
    Quines Hauptanliegen - seine Kritik an den Begriffen der logischen Notwendigkeit und Möglichkeit sowie der Analytizität und an traditionellen Auffassungen von Bedeutung - bleibt aktuell. In einer Reihe von Büchern und Aufsätzen hat Quine die Auffassung von Bedeutung, die er in Word and Object vorgeschlagen hat, weiterentwickelt. Zwar stimmt Quine in der zentralen Idee, um die es dabei geht -
    nämlich in der Idee von der öffentlichen Natur der Sprache - mit den meisten anderen Sprachwissenschaftlern und Philosophen überein; sein Hauptbeitrag besteht jedoch darin, daß er diese Idee ernstgenommen und mit großer Hartnäckigkeit bis hin zu Konsequenzen verfolgt hat, welche für viele Philosophen nur mehr schwer zu akzeptieren sind. Eine dieser Konsequenzen - die Unbestimmtheit der Übersetzung - ist wohl die meistdiskutierte Idee von Quine. Sie ist jedoch nur eine Konsequenz aus noch grundlegenderen Ideen, welche die öffentliche Natur der Sprache betreffen und welche Quine in seinen späteren Schriften verfeinert und zum Teil revidiert hat. Bereits von den ersten Seiten von Word and Object an hat Quine besonders betont, daß das, was wir wahrnehmen und wovon wir annehmen, daß es andere wahrnehmen, eine maßgebliche Rolle beim Spracherwerb und bei der Sprachbenützung spielt. Dies ist der entscheidende Punkt bei Quine:
    Semantik und Erkenntnistheorie sind eng miteinander verflochten. Seine Erkenntnistheorie ist
    naturalistisch: Als Teil der empirischen Psychologie gehört sie zu den Naturwissenschaften; und dennoch liefert gerade die Erkenntnistheorie eine Erklärung der Daten-Basis der Naturwissenschaften einschließlich der empirischen Psychologie selbst. Ein Schlüsselproblem bei der Untersuchung von
    Bedeutung und Kommunikation besteht darin, Einsicht in das zu gewinnen, was andere wahrnehmen, ohne ihnen unsere eigene Sicht der Welt und unsere eigene Ontologie zu unterstellen. In Word and Object hat Quine dieses Problem mit Hilfe der Begriffe von Reiz und Reaktion zu lösen versucht. Obwohl
    jedoch Reiz und Reaktion empirisch zugänglich sind, sind sie nicht öffentlich zugänglich. Die Daten, auf die wir uns beim Spracherwerb und bei der Sprachbenützung stützen, müssen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem täglichen Leben zugänglich sein. Während der 35 Jahre, die zwischen Word and
    Object und Quines letztem Buch From Stimulus to Science (1995) liegen, hat Quine immer wieder einen Weg gesucht, um erörtern zu können, was andere wahrnehmen, ohne die Fragen von Bedeutung und Übersetzung von vornherein beantwortet zu haben. An der Bewältigung dieser Aufgabe sind Quines
    philosophische Einsichten in ihrer ganzen Bandbreite beteiligt: seine erkenntnistheoretischen und
    ontologischen Auffassungen sowie seine Ansichten über Kausalität, natürliche Arten, Zeit, Raum und
    Individuation.
    Quine hat einen neuen Weg gewiesen, diese ewigen Fragen der Philosophie und die Beziehungen zwischen ihnen zu untersuchen. Er hinterläßt einer neuen Generation von Philosophen eine verwandelte philosophische Landschaft, die es noch zu erforschen und zu erobern gilt.
    Quine wurde am 25. Juni 1908 in Akron, Ohio, geboren. Er erhielt seinen B.A. 1930 am Oberlin College und verbrachte sein ganzes Berufsleben in Harvard, wo er 1932 seinen Ph.D. erhielt, von 1932 bis 1933 Sheldon Traveling Fellow und von 1933 bis 1936 Junior Fellow war und seither Philosophie
    lehrte, ab 1956 als Edgar Pierce Professor. Er erhielt von zahlreichen Universitäten Ehrendoktorate, war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien und erhielt viele Preise, darunter den ersten Rolf-Schock-Preis 1993 in Stockholm und den Kyoto-Preis 1996 in Tokyo.
    Willard Van Orman Quine hinterläßt drei Töchter und einen Sohn, sechs Enkelkinder und ein Urenkelkind.

    Prof. Dr. Dagfinn Føllesdal
    Department of Philosophy
    Stanford University

    Weitere Informationen erteilen Ihnen gerne: Dr. Günter Abel, Professor für Philosophie und Vizepräsident für Forschung an der TU Berlin, Tel.: 030/314-240040, -24286, Fax: 030/314-26959, E-Mail: vp3@tu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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