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Wissenschaft
Prof. Dr. Cornelius Prittwitz, Juristische Fakultät
Einige (nicht nur strafrechtliche) Überlegungen zum studentischen "Streik"*
Dieser Streik ist ein Streik und doch kein Streik - aber darauf kommt es nicht an!
Ist dieser Streik ein Streik? Auf den ersten Blick: Ja! Im Duden steht: "Streik: Arbeits-niederlegung!" Die Vollversammlung der Studierenden hat beschlossen, das normalerweise vorgesehene Studium und die damit verbundene Arbeit niederzulegen.
Nochmal: Ist dieser Steik ein Streik? Auf den zweiten Blick: Nein! Im allgemeinen geht es beim Streik um Arbeits-nieder-legungen von Arbeitnehmern, um den Ver-handlungen mit Ar-beit-gebern Nachdruck zu verleihen. Studenten arbeiten zwar, aber sie sind keine Arbeitnehmer - hochschulfinanzierende (oder eben nicht finanzierende) Politiker sind - jedenfalls im Verhältnis zu den Studenten - keine Arbeitgeber.
Zum letzten Mal: Ist dieser Steik ein Streik? Auf den dritten Blick: Vielleicht doch eher! Denn gleichgültig, ob man es Streik nennt oder Ausstand, ob man es als Aktion oder als Demonstra-tionbezeichnet: Es geht stets um einen Versuch, aktiv und demonstrativ Forderungen Nach-druck zu verleihen gegenüber einer Instanz, die "am längeren Hebel sitzt" oder zu sitzen scheint.
Streik ist "Nötigung"
Mit der provozierenden These , Streik sei Nötigung, soll ein m.E. zentraler Punkt offen angesprochen werden. Streik ist zwar, dies vorneweg zur Beruhigung, in aller Regel keine strafbare Nötigung, aber Streik ist strukturell Nöti-gung, beziehungsweise Nötigungs-versuch (weil der "Nötigungserfolg", eine spürbare Reaktion der Landes- oder Bundesregierung nicht in Sicht ist). Beim klassischen Streik im Zusammenhang mit Auseinander-setzungen im Arbeits-bereich ist dieser Nötigungscharakter deutlich, beim "Studentenstreik" im Prinzip aber das-selbe: Man versucht, einen anderen mit anderen Mitteln als mit Argumenten dazu zu bringen, etwas zu tun, was er eigentlich nicht tun wollte.
Streik ist (in aller Regel) kein Fall für's Strafrecht
Daß Streik Nötigung ist, heißt nun - wie schon betont - keineswegs, daß Polizei und Justiz aufgefordert sind, einzuschreiten. In aller Regel wird man umge-kehrt dem Strafrecht und allen, die mit dem Gedanken an das Strafrecht liebäugeln, mit aller Entschiedenheit sagen müssen, daß das Strafrecht hier nichts zu suchen hat. Warum das grundsätzlich so ist, warum in manchen Fällen das Strafrecht trotz-dem eine Rolle spielt, und wo die Grenzfälle liegen, darauf will ich jetzt noch kurz eingehen.
Zunächst gilt: Daß man mit Druck versuchen darf etwas durchzusetzen, ist im demokratischen Rechtsstaat alles andere als selbstverständlich. Das gilt bezogen auf den arbeitsrechtlichen Streik für die Privatrechts-gesell-schaft, in der sich (jedenfalls im Modell) freie Vertragspartner gegenüberstehen. Es gilt aber auch und vor allem bezüglich politischer Aktionen oder Demon-stra-tionen. "Rechtsstaat und Demo-kratie" dürfen, das gilt vor allem, aber nicht nur für Politi-ker, sondertn auch für die Staatsbürger, nicht zu schmückenden Ornamenten in Sonntagsreden verkümmern. Das heißt: Als Bürger ist man auf eine bestimmte Art, in bestimmten Formen und Verfahren - insgesamt freilich nach der Konzeption unserer Verfassung - mehr mittelbar als unmittelbar) an der politischen Willensbildung und ihrer Ausführung beteiligt. Wer nicht ein-ver-standen ist, kann außerdem seinen Wider-spruch - wiederum in einem bestimmten Rahmen - auf dem Rechtsweg vorbringen.
Wenn gleichwohl und vollkommen zu recht unbestritten ist, daß Streiks, aber grundsätzlich auch Aktionen und Demonstra-tionen wie die der Studierenden legal sind, und auch legitim sein können, dann liegt das an einer "klugen Verfassung". Denn obwohl alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, obwohl Politik durch Wahlen beeinflußbar und durch Gerichte überprüfbar ist, geht die Verfassung davon aus, daß Demonstrationen Teil des politischen Meinungskampfes sind und stellt durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Ver-einigungsfreiheit klar, daß es sich nicht etwa um Ungehorsam und Auf-leh-nung, sondern um die Wahrnehmung von Bürgerrechten handelt.
Das genau ist der Unterschied zwischen dem Obrigkeitsstaat, der sich auch gerne das Mäntel-chen einer wohlklingenden Verfassung umhängt, um besser auszu-sehen, und dem demokra-ti-schen Rechtsstaat, daß in ihm aktive Bürgerbeteiligung nicht nur toleriert wird, sondern aus-drücklich erwünscht ist und zwar auch insoweit, als es um Widerspruch gegen den Staat geht. Einem Zwischenruf, daß man ab und zu den einen oder anderen Staatsrepräsentanten, der seine dienende Funktion aus dem Auge verloren hat, daran erinnern muß, wird man übrigens kaum widersprechen können.
Der tiefere Grund für diese scheinbare Großmut liegt meines Erachtens in der Einsicht, daß die demokratischen Institutionen des Rechtsstaats zwar in aller Regel zu befriedigenden Ergeb-nis-sen führen, jedenfalls aber zu Ergebnissen, die man hinnehmen muß, auch wenn man nicht damit einverstanden ist, daß dies aber nicht immer und nicht automatisch der Fall ist. Die Ein-fluß-möglich-keiten auf die Politik sind, wenn man nicht nur idealistisch über das Modell Demo-kratie, sondern pragmatisch auch auf die Verfassungswirklichkeit eingeht, durchaus unter-schiedlich. Auf den Punkt gebracht: Die paar Dutzend Privatflieger, um deren Flugbenzin-kosten es vor enigen Jahren ging, haben sich in den Prozeß der deutschen Gesetzgebung bis-her erfolgreicher einbringen können als die Hochschulen mit ihren Tausenden von Mitarbeitern und ihren Millionen von Studenten. Auch das hat übrigens einen Grund: Gerade weil der Staat (aus meiner Sicht vernünftigerweise) die Hochschulen finanziert und unterhält, haben die Hoch-schulen keine besondere Lobby! Man kann also als erstes Zwischenergebnis zusammen-fassen: Bei den studentischen Aktionen geht es nicht um Rebellion, sondern um gelebte Demokratie.
Grund und Grenzen dieses Rechts, Politik zu beeinflussen
Das heißt nun umgekehrt nicht, daß um des guten Zweckes wegen alles erlaubt ist. Es scheint mir vielmehr zentral, den kategorialen Unterschied zwischen wenig verantwortlicher Hoch-schul-politik und quasi-revolutionärer Situation nicht aus den Augen zu verlieren.
Rechtlich gesprochen: Man darf politischen Druck ausüben im Rahmen der Spielregeln, aber man darf nicht die Gesetze in die eigene Hand nehmen und die Spielregeln, die die eigenen Freiheitsspielräume garantieren, für sich außer Kraft setzen wollen, weil man ja nur das beste will. Und man darf vor allem nicht verwechseln den Unterschied zwischen politischem Druck und persönlichem Druck, von der Anwendung körperlicher Gewalt ganz zu schweigen - wenn-gleich hier zum Teil schwierige Grenzfragen auftauchen, wenn man z.B. an das Verhalten von Streikbrechern und Streikbrecher-Verhinderern denkt. Wer sich an diese Spielregeln nicht hält, muß sich dessen und der möglichen Folgen bewußt sein. Man hat diese Problematik z.B.bei Sitzblockaden, sit-ins oder Sitzdemonstrationen, erörtert. Meines Erachtens muß sich , wer Regeln bewußt symbolisch zu Protestzwecken bricht, bewußt sein, daß ihn die Folgen treffen. Das heißt nicht, daß man deswegen gleich Täter einer verwerflichen und also strafbaren Nöti-gung ist, es heißt aber sehr wohl, daß man legalerweise und legitimerweise ein straßenver-kehrs-rechtliches oder versammlungsrechtliches Bußgeld bekommen kann.
Wichtiger ist jedoch die politische Ebene: Wer andere Mittel als Argumente nutzen will, um die Politik zu beeinflussen, sollte vorher auf den vorgesehenen Wegen alles mögliche versucht haben - von den Parteien über die Gerichte und ein-schließ-lich aller anderen Versuche, argu-men--ta-tiv zu wirken. Legt man diesen Maßstab an die Aktionen der ver-gan-genen Wochen an, dann besteht für mich kein Zweifel, daß es sich um notwendige Aktionen handelt. Die Auf-gaben der Hochschulen steigen, ihre Möglichkeiten sinken. Für beide Entwicklungen - seit langem wirksam und gegenläufig - ist die Politik mitverantwortlich. Damit gefähr-det sie die Hochschulen, eine, wenn nicht die zentrale Ressource Deutsch-lands. Sie tut dies sehenden Auges und allen Warnungen und Argumenten zum Trotz. Ich glaube nicht, daß man die Hoch-schulen von Mitschuld frei-sprechen kann; mindestens haben sie - einschließlich ihrer Studie-renden - sich alles viel zu lang und geduldig angeschaut. trotzdem muß man sich auch um fünf Minuten nach Zwölf rühren - schließlich ist "fünf nach Zwölf" nur der eine, nicht auch schon der nächste Tag zu Ende.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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