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05.03.2009 12:58

Unterschiedliche Reichweite von Signalmolekülen verursacht Wachstumsstörungen

Dr. Patricia Marquardt Pressestelle
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik

    Wissenschaftler beschreiben molekulare Abläufe beim Längenwachstum der Finger

    Als Brachydaktylie bezeichnen Mediziner eine Gruppe von seltenen, genetisch bedingten Erkrankungen, bei denen einer oder mehrere Finger verkürzt sind (Griech. brachys = kurz, dactylos = Finger). Seit langem bekannt ist die Brachydaktylie A1, bei der die mittleren Fingerglieder betroffen sind. Wissenschaftler der Universitäten Hong Kong und Shanghai konnten jetzt gemeinsam mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik und der Charité - Universitätsmedizin Berlin zeigen, dass die Verkürzung der Finger nicht durch eine Wachstumsstörung einzelner Knochen hervorgerufen wird. Vielmehr fehlt dem Organismus bei dieser Erkrankung die Fähigkeit, Zellen aus dem umliegenden Gewebe in den wachsenden Knorpel einzubauen und damit das Längenwachstum zu verstärken. Die vorab in der online-Version der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie klärt erstmalig den molekularen Mechanismus einer menschlichen Brachydaktylie auf und gibt neue Einblicke in die grundsätzlichen Abläufe beim Wachstum der Finger (Gao B, et al., Nature, doi:10.1038/nature07862, advance online publication March 1st, 2009).

    Der menschliche Finger besteht aus drei einzelnen Gliedern. Während der Embryonalentwicklung werden zunächst knorpelige Anlagen für jeden Finger und die Mittelhand angelegt, die sich im weiteren Verlauf zu insgesamt vier einzelnen Knochen (Mittelhandknochen und Fingerknochen 1-3) entwickeln. In der vorliegenden Studie untersuchten die beteiligten Wissenschaftler der Universitäten Hong-Kong und Shanghai, gemeinsam mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik und der Charité - Universitätsmedizin Berlin eine bestimmte Form der erblich bedingten Kurzfingrigkeit (Brachydaktylie A1). Bei dieser Erkrankung führen Mutationen im Indian Hedgehog (Ihh)-Gen bei den betroffenen Personen zu einer Verkürzung bzw. dem Fehlen der mittleren Fingerglieder. Brachydaktylie A1 ist die erste menschliche Erkrankung, für die bereits 1903 ein mendelscher autosomal-dominanter Erbgang nachgewiesen werden konnte. Für das Entstehen der Krankheit genügt es also, wenn das veränderte Ihh-Gen von nur einem Elternteil (Vater oder Mutter) weitergegeben wird.

    "Finger entstehen, indem unspezifische embryonale Zellen (Mesenchymzellen), anfangen, sich zu Knorpelzellen zu differenzieren;" erläutert Stefan Mundlos, Leiter der Berliner Arbeitsgruppe, die an dem Projekt beteiligt war. "Dieser initiale Knorpel beginnt, sich zu ordnen und bildet aus Knorpel bestehende Vorläuferknochen, sogenannte Anlagen, die anschließend zu echten Knochen umgebaut werden."
    Hauptverantwortlich für die Differenzierung der Knorpelzellen ist das Indian Hedgehog-Protein (Ihh). Im gesunden Organismus wird es von bestimmten Knorpelzellen gebildet und diffundiert in das umliegende Gewebe, wo es mit zwei weiteren Molekülen, dem Rezeptor PTCH1 und seinem Gegenspieler HIP1 interagiert. HIP1, das sogenannte Hedgehog-Interacting Protein ist dabei für die Festlegung des Aktionsradius des Ihh verantwortlich. Es wird am äußeren Rand der entstehenden Knorpelanlage gebildet, wodurch die Wirkung des Ihh auf einen bestimmten Bereich begrenzt bleibt. An der Spitze des wachsenden Fingers im Bereich des künftigen zweiten und dritten Fingergliedes ist die Abgrenzung durch HIP1 jedoch unterbrochen, so dass die Ihh-Moleküle bis in das undifferenzierte Embryonalgewebe (Mesenchym) diffundieren können. Dort bewirken sie die Aufnahme von Mesenchymzellen in den wachsenden Knochen und verstärken dadurch das Längenwachstum des Fingers.
    Die Forscher fanden heraus, dass Ihh bei Patienten mit Brachydaktylie A1 so verändert ist, dass es nicht mehr so gut an seinen Rezeptor und an HIP1 binden kann. Dadurch können die Ihh-Moleküle weiter in das umgebende Gewebe diffundieren, als es normalerweise der Fall ist. Im Bereich des ersten Fingergliedes gelangt Ihh auf diese Weise in die sogenannte Interzone zwischen den künftigen Fingergliedern 1 und 2/3. Dort verstärkt es die Bildung des Parathyroid-hormone-related-Peptide (PTHrP), das in Folge über einen negativen Rückkopplungsmechanismus die Bildung von Ihh insbesondere im vorderen Fingerglied 2/3 unterdrückt. Hier kann entsprechend nicht mehr genügend Ihh in das undifferenzierte Gewebe an der Spitze des wachsenden Fingers gelangen und die Aufnahme zusätzlichen Materials bricht zusammen.

    Die vorgelegte Studie klärt erstmalig den molekularen Mechanismus einer menschlichen Brachydaktylie auf. Weiterhin stellen die Wissenschaftler einen neuen, bislang unbekannten Mechanismus zum Wachstum der Finger vor. Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Entstehung von Knorpelzellen vor allem durch Signale "von außen", beispielsweise aus der Haut oder dem umgebenden undifferenzierten Embryonalgewebe gesteuert wird. Die jetzt publizierte Arbeit zeigt jedoch, dass das vom Knorpel selbst produzierte Ihh essentiell für das Längenwachstum des Fingers ist.

    Originalveröffentlichung:
    Gao, B., Hu, J., Stricker, S., Cheung, M., Ma, G., Fong Law, K., Witte, F., Briscoe, J., Mundlos, S., He, L., Cheah K.S.E., Chan, D. (2009). A mutation in Ihh that causes digit abnormalities alters its signaling capacity and range. Nature, doi: 10.1038/nature07862, advance online publication March 1st, 2009

    Kontakt (Pressestelle):
    Dr. Patricia Marquardt
    Max-Planck-Institut für molekulare Genetik
    Ihnestr. 63-73
    14195 Berlin

    Tel.: +49 30 8413-1716
    Fax: +49 30 8413-1671
    Email : patricia.marquardt@molgen.mpg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.molgen.mpg.de/research/mundlos/ - Homepage der Forschungsgruppe Mundlos


    Bilder

    Modell der molekularen Mechanismen bei der Entstehung des Fingers. Erläuterung siehe Text.
    Modell der molekularen Mechanismen bei der Entstehung des Fingers. Erläuterung siehe Text.
    Grafik: MPI für molekulare Genetik, Berlin
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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