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23.04.2009 09:39

NATURE: Den Gesundheitszustand von Artgenossen "erschnüffeln"

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Neue Rezeptorfamilie entdeckt
    Alte Bekannte des Immunsystems sprechen Vomeronasalorgan an

    Bisher war es ein Rätsel, wie Säugetiere "erschnüffeln" können, ob ein Artgenosse krank ist. Eine heiße Spur verfolgen die Biologen Prof. Dr. Marc Spehr und Daniela Flügge. Sie entdeckten, dass ein Botenstoff des Immunsystems, der bei Bakterieninfektionen Abwehrzellen an den Ort des Geschehens lockt, auch Rezeptoren im Vomeronasalorgan der Nase anspricht. Das noch weitgehend unerforschte Organ, das auf Pheromone reagiert, wird auch für spontane Abneigung oder Sympathie und Entscheidungen bei der Partnerwahl verantwortlich gemacht.

    Die Studie zur im Riechsystem neu entdeckten Rezeptorfamilie FPR ist in der aktuellen online Ausgabe von NATURE erschienen.

    Lebenswichtig: Informationen aus der Nase

    Aufspüren und Qualitätsbewertung von Nahrung, Fernwahrnehmung möglicher Gefahren, Erkennung von Reviergrenzen oder unterbewusstes Auslösen verschollen geglaubter Erinnerungen - der Geruchssinn (Olfaktorik) vermittelt eine Fülle wichtiger Informationen. Eine besondere Funktion üben dabei Duftsignale aus, die zwischen Artgenossen für die soziale und sexuelle Kommunikation von entscheidender Bedeutung sind. Solche chemischen Signale, häufig als Pheromone bezeichnet, werden bei den meisten Säugetieren von einem speziellen Sinnesorgan, dem sog. Vomeronasalorgan (VNO), wahrgenommen. Das VNO ist ein an der Basis der Nasenscheidewand liegendes, von einigen tausend Nervenzellen ausgekleidetes, röhrenförmiges Sinnesorgan. Die Nervenzellen im VNO "erkennen" Pheromone mit Hilfe bestimmter Proteine, der sog. vomeronasalen Rezeptoren. Bei Mäusen kennt man z. B. etwa 300 verschiedene solcher Rezeptoren, die grob in zwei Proteinfamilien eingeordnet werden - sog. V1R und V2R Rezeptoren.

    Proteine leiten Immunzellen zum Wirkungsort

    Zu den enormen Leistungen des Geruchssinns gehört auch die Fähigkeit vieler Säugetiere, anhand des individuellen Körpergeruchs eines Artgenossen Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu ziehen. "Wie der Geruchssinn diese Aufgabe bewältigt und welche Prozesse dabei auf der Ebene individueller Nervenzellen aktiv sind, ist eine der spannendsten aktuellen Fragen der modernen Neuro- und Sinnesbiologie", so Prof. Spehr. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe des Neurogenetikers Prof. Dr. Ivan Rodriguez von der Universität Genf ist es Spehr und seiner Mitarbeiterin Daniela Flügge jetzt gelungen, eine neue Familie von VNO-Rezeptorproteinen zu identifizieren und ihre Funktion zu untersuchen. Die als Formylpeptidrezeptoren (FPR) bezeichneten Proteine galten bislang als Spezialproteine des Immunsystems. Bei Entzündungsreaktionen infolge bakterieller Infektionen sind sie es, die die gezielte Wanderung (Chemotaxis) bestimmter Immunzellen (Granulozyten) an den Ort der Infektion bewirken. Dabei werden die Rezeptoren von bakteriellen Abbauprodukten, u.a. durch so genannte Formylpeptide aktiviert.

    Bakterielle Abbauprodukte werden "riechbar"

    FPRs gehören, wie auch die bekannten vomeronasalen V1R- und V2R-Proteine, zur großen Gruppe der sog. G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Mit Hilfe fluoreszenzmikroskopischer Aktivitätsmessungen ist es dem deutsch-schweizerischen Forschungsverbund nun gelungen, nicht nur die Existenz von fünf dieser Rezeptoren in Säugetiergeruchsorganen nachzuweisen, sondern auch wichtige Aspekte ihrer dortigen Funktion aufzuklären. Flügge und Spehr konnten zeigen, dass u.a. die gleichen bakteriellen Substanzen, die eine Immunantwort auslösen, auch vomeronasale Nervenzellen aktivieren können. Die Bindung von bakteriellen Peptiden an FPRs führt zu einem kurzzeitigen Anstieg der Kalziumkonzentration in den Nervenzellen, ein Signal das daraufhin elektrische Entladungen der Zelle auslöst. Da die bei Entzündungsreaktionen gebildeten bakteriellen Abbauprodukte auch in verschiedenen Körpersekreten ausgeschieden werden, glauben die Wissenschaftler nun, einen wichtigen Weg gefunden zu haben, der es einem Individuum erlaubt, den Gesundheitszustand eines Gegenüber anhand dessen Körpergeruchs zu bewerten.

    Vita Marc Spehr

    Marc Spehr leitet seit April 2006 die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Chemosensorik sozialer Kommunikation" an der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der Ruhr-Universität Bochum. Er studierte Biologie (Diplom 1999) an der Ruhr-Universität und promovierte anschließend mit dem Schwerpunkt Neurophysiologie am Institut für Zellphysiologie bei Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt. Als Postdoktorand und Emmy Noether-Auslandsstipendiat wechselte er 2004 an die medizinische Fakultät der University of Maryland in Baltimore in die Abteilung für Anatomie und Neurobiologie. Seit 2008 ist Spehr Mitglied des Jungen Kollegs der Akademie der Wissenschaften NRW, das von der Mercator-Stiftung gefördert wird. Im April 2009 wurde er als Lichtenberg-Professor für Chemosensorik an die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) nach Aachen berufen. Lichtenberg-Professuren sind eine Initiative der VolkswagenStiftung. Drittmittelgeförderte, interdisziplinäre Kollaborationen mit nationalen wie internationalen Partnern ermöglichen Marc Spehr und seinen Mitarbeitern damit neurophysiologische Grundlagenforschung an der Schnittstelle von Biologie, Medizin, Naturstoffchemie und Verhaltensforschung.

    Titelaufnahme

    Stéphane Rivière, Ludivine Challet, Daniela Fluegge, Marc Spehr & Ivan Rodriguez: Formyl receptors-like are a novel family of vomeronasal chemosensors. In: NATURE, online am 22.4.2009, DOI: 10.1038/nature08029

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Marc Spehr, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, Institut für Biologie II, Abteilung "Chemosensorik", 52074 Aachen, Tel.: 0177/7051933, Fax: 0241/8022133, E-Mail: marc.spehr@rwth-aachen.de

    Redaktion: Meike Drießen


    Bilder

    Schematische Skizze eines Mauskopfes mit eingezeichnetem Vomeronasalorgan inklusive Nervenverbindung in das Riechhirn. Unten: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen des VNO im Querschnitt (Übersicht links, Detailaufnahme rechts). Die grüne Fluoreszenz stammt von der Anregung eines grün fluoreszierenden Proteins (GFP), das durch genetische Verfahren in die VNO-Nervenzellen eingebracht wurde.
    Schematische Skizze eines Mauskopfes mit eingezeichnetem Vomeronasalorgan inklusive Nervenverbindung ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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