idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
13.03.2001 10:03

"Gläserne Produktion" als Reaktion auf die BSE-Krise

Renate Scheidemann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim e.V.

    P r e s s e i n f o r m a t i o n des ATB 03 / 2001

    Vom Ausbruch der BSE in Deutschland sind nicht nur die Landwirtschaft und die Öffentlichkeit überrascht worden, sondern auch die Politik - und zum Großteil auch die Forschung. Nach Ausbruch der Maul- und Klauenseuche steht in vielen landwirtschaftlichen Betrieben die Existenz auf dem Spiel, denn die Märkte, speziell für Rindfleisch, sind bereits weitgehend zusammengebrochen.

    Auf der anderen Seite haben die Verbraucher das Vertrauen verloren. Sie haben Angst vor BSE bzw. der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) und vor Antibiotikaresistenz als Folge des breiten Antibiotikamissbrauchs in der Tierernährung. Sie haben auch kein Verständnis dafür, dass nun große Mengen von Tieren getötet werden müssen - zur Risikoabwehr und zur Marktstabilisierung.

    Die Politik hat dieses Mal allerdings schnell und umfassend reagiert:
    - mit dem Tiermehlverfütterungsverbot,
    - mit dem Ausbau der BSE-Untersuchungskapazitäten,
    - mit Vorsorgemaßnahmen bezüglich Maul- und Klauenseuche (MKS) und
    - mit Importstops.

    Durch die generelle Krise ist aber deutlich geworden, dass in der Landwirtschaft offensichtlich vieles nicht stimmt. Insofern wird das Problem unter der neuen Landwirtschafts-ministerin viel grundsätzlicher angegangen. Ihr politisches Ziel ist ein ökologischer Umbau der gesamten Landwirtschaft, wobei der Verbraucher künftig stärker geschützt werden soll. Einige Stichpunkte aus der Regierungserklärung unterstreichen dieses:
    - "den Verbraucher schützen, und nicht den Verbrauch"
    - "Maßstab ist jetzt Klasse statt Masse"
    - "die Bauern dürfen nicht mehr der billige Jakob sein"
    - "ökologischere Landbewirtschaftung, "artgerechte Tierhaltung" und
    - "gläserne Produktion: Von den Futtermitteln über Weide und Ställe bis zur Ladentheke muss in Zukunft dokumentiert werden, was mit der Nahrung, geschieht".
    Daraus wird deutlich, dass die Lebensmittel künftig qualitativ besser und vor allem sicherer werden, aber auch teurer!

    Welche Rolle kann dabei eine agrartechnische Forschungseinrichtung spielen? Forschung zu BSE als Krankheit ist nicht ihre Aufgabe; hierzu ist sogar vor kurzem an der Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) ein neues Institut etabliert worden.
    Ein agrartechnisches Institut kann sich allerdings um das Problem der Entsorgung vorhan-dener Tiermehlbestände kümmern oder um den Anbau und die Verfütterung von eiweiß-reichen Futterpflanzen als Ersatz für Tiermehl und letztendlich um die Entwicklung von Konzepten für eine "gläserne Produktion".
    Hierdurch soll speziell bei der Rinderproduktion sicher gestellt werden, dass umweltscho-nend erzeugtes, möglichst betriebseigenes Futter verwendet wird, dass die Tiere weitge-hend artgerecht gehalten werden, und dass der Weg des Produktes bis hin zur Ladentheke verfolgt werden kann. Dies alles soll möglichst umfassend dokumentiert werden. Ziel ist es, auf diese Weise das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen.

    Auch bisher haben progressive Landwirtschaftsbetriebe ihre Feldproduktion und Tierhaltung über "Ackerschlagkartei", "Stallbuch" und betriebliche Gesamtbilanzen genau dokumentiert - zunehmend unter Nutzung von PC-Programmen.

    Was das ATB will ist eine weitgehende Automatisierung der Datenerfassung und die Entwicklung von Modellen für eine ganzheitlich betrachtete "gläserne Produktion".

    Trotz allem wird der Mensch, der Betriebsleiter, die bedeutendste Rolle in einem solchen System zur Qualitäts-sicherung spielen.

    Dass dieses nicht nur Ansätze aus der Forschung sind, zeigen Vorschläge zur Entwicklung eines Betrieblichen Qualitätsmanagement-Systems (QMS) aus praktischen Landwirt-schaftsbetrieben. Hier zielt die Qualitätssicherung nicht nur auf das Produkt, z. B. Rindfleisch sondern auch auf die "Qualität des Prozesses" einer umweltverträglichen und tiergerechten Produktion.

    Zurück zur möglichst automatischen Erfassung und Dokumen-tation der einzelnen Prozessab-schnitte:
    - Die Feldproduktion auch von Futter lässt sich über Bordcomputer auf dem Traktor für alle wesentlichen Vorgänge automatisch erfassen.
    - Bei neuen Technologien wird "teilflächenspezifisch" gearbeitet; Düngegaben bzw. Pflanzenbehandlungsmittel werden automatisiert nur nach Bedarf ausgebracht: dichte-rer Pflanzenbestand = mehr Dünger (Mineraldünger oder auch Gülle bzw. Festmist); Unkrautbekämpfung nur, wo Unkräuter dicht stehen.
    Diese Technik reduziert nicht nur den Aufwand und damit die Kosten. In Verbindung mit Satellitennavigation (DGPS) lassen sich die Aufwandmengen über die Gesamt-feldfläche im Detail (teilflächenspezifsich) auf einer digitalen Karten auch dokumen-tieren. Dieses könnte künftig ein wesentliches Element der "gläsernen Produktion" sein.
    - Die Aufbereitung des betriebseigenen Futters erfolgt in verschiedenen, z. T. automatisierten Prozessen, z. B. Silierung, Trocknung, Zerkleinerung, und Lagerung. Diese Prozesse beinhalten oft das Zumischen von Hilfsstoffen. Diese gilt es, sorgfältig aus-zuwählen und ebenfalls zu dokumentieren.
    - In der Tierhaltung, speziell in der Rinderhaltung ist die individuelle Tierkennzeichnung Pflicht. Künftige Verfahren werden statt der Ohrmarken mit elektronischen Chips arbeiten, die am Tier unter die Haut implantiert werden. Diese Methode erlaubt eine elektronische Tiererkennung, z. B. beim Melken, und eine individuelle Fütterung. Die Erfassung der Produktqualität z. B. der frisch gemolkenen Milch kann hier ver-bunden werden mit einer automatischen Gesundheitsüberwachung und den ökonomi-schen Vorteilen der automatisierten Kraftfutterzuteilung.

    - Dass das zugekaufte Kraftfutter in der Vergan-genheit nicht den Qualitätserfordernis-sen entsprochen hat, war mit ein Grund für die Ausbreitung von BSE. Es darf dabei übrigens nicht übersehen werden, dass auch vor Auftreten der BSE-Krise die Verfütte-rung von Tiermehl an Rinder nicht gestattet war.

    Auf jeden Fall ist zu fordern, dass auf der Verpackung des Kraftfutters die Inhaltsstoffe angegeben werden, wie es übrigens in der DDR der Fall war, und dass der Landwirt selbst beim Kauf Sorgfalt walten lässt.

    Bei Schlachtrindern erlaubt die elektronische Tierkennzeichnung nicht nur die Verfolgung des Lebensweges des Schlachttieres; sie ermöglicht auch hier die Dokumentation der Fütterung im Detail. Auf diese Weise könnte noch auf der Verpackung in der Auslage z. B. drauf-stehen: "Kalbfleisch, aus eigener Aufzucht, mit betriebseigenem Futter ernährt". Sicher wäre aber ein Qualitätssiegel für den Verbraucher einfacher und aussagekräftiger.

    Eine "gläserne Produktion" mit der Zielrichtung Lebensmittelqualität und -sicherheit lässt sich im Sinne des Stoffkreislaufgedanken noch ausweiten.

    Nicht nur der Weg des Futters ist dabei von Bedeutung, sondern auch der Umgang mit den tierischen Exkrementen. Gülle bzw. Festmist sind beste Dünger für die Pflanzenproduktion - auch für die Produktion von Futterpflanzen. Die Dokumentation ihrer Rückführung auf den Acker ist eine wesentliche Aussage über eine umwelt-freundliche und nachhaltige Landnutzung. Nur mit diesem Nachweis macht die Forderung nach Koppelung der Tierhaltung an den Boden (z. B. nicht mehr als zwei Rinder pro Hektar Land) auch Sinn.

    Zusammenfassend ist festzustellen: viele Elemente zur Dokumentation ordnungsgemäßer Produktionsabschnitte (im Sinne einer "gläsernen Produktion") existieren bereits. Auch gibt es Ansätze, diese zu Gesamtkonzepten der Qualitätssicherung sowie des Nachweises einer ökologische-ren Produktionsweise zusammenzuführen. Die Forschung ist hier mit der Entwicklung von Modellen auch in Zukunft gefordert. Trotz zunehmender Automatisierung in der Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, auch bei der Datenerfassung: der Betriebsleiter wird der wesentliche Faktor sein, der die Qualität seiner Produkte sowie das Image seines Betriebes bestimmt.

    Ansprechpartner:
    Gudrun Spaan oder Renate Scheidemann
    Institut für Agrartechnik Bornim e.V.
    Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0331/ 5699723 oder 0331/5699714
    Fax: 033/ 5699849
    E-Mail: gspaan@atb-potsdam.de
    rscheidemann@atb-potsdam.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Tier / Land / Forst
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).