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23.04.2001 13:42

Religionspädagogik

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    In verschiedenen Erklärungen haben die evangelische und katholische Kirche in Deutschland Kooperationen in der religiösen Erziehung befürwortet. Die Tübinger Religionspädagogen Prof. Albert Biesinger und Prof. Friedrich Schweitzer haben die Absichtserklärungen in ein wissenschaftliches Projekt umgesetzt: Lehrer und Kinder wurden im kooperativen, evangelischen und katholischen Unterricht beobachtet und ebenso wie die Eltern befragt.

    Gemeinsamkeiten stärken und Unterschieden gerecht werden

    Konfessionelle Kooperation im evangelischen und katholischen Religionsunterricht

    Seit vielen Schülergenerationen ist es Routine: Wenn "Religion" auf dem Stundenplan steht, teilen sich die christlich getauften Kinder in zwei Gruppen. Die katholischen Kinder werden von einem Lehrer oder Pfarrer gleicher Konfession unterrichtet, die evangelischen entsprechend von evangelischen Lehrkräften. Dass es auch anders geht, haben Prof. Albert Biesinger von der Katholisch-Theologischen und Prof. Friedrich Schweitzer von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen gezeigt. Sie haben nun zum ersten Mal in einem wissenschaftlich begleiteten religionspädagogischen Projekt "Konfessionelle Kooperation im evangelischen und katholischen Religionsunterricht" die Zusammenarbeit gewagt. Dazu haben sie in acht verschiedenen Grundschulen Religionslehrer, Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse und deren Eltern in ihre Untersuchungen und Befragungen einbezogen.

    "Anstoß zu diesem Projekt gaben verschiedene Erklärungen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, in denen seit 1994 und zuletzt 1998 in einer gemeinsamen Erklärung solche Kooperationen ausdrücklich erwünscht sind", erklärt Schweitzer. Das Projekt war nicht repräsentativ angelegt, entscheidend für die Auswahl der Grundschulen waren Interesse und Zustimmung der Religionslehrer. Die Eltern der Kinder wurden bei Elternabenden oder schriftlich über das Projekt des gemeinsamen Religionsunterrichtes informiert. Sie zeigten keine Berührungsängste mit der jeweils anderen Konfession, Einwände gegen das Projekt gab es nicht. "Von den Kindern wurde häufiger berichtet, dass sie die Trennung im Religionsunterricht nicht wollten. Doch bei unserer Befragung zeigten sich stark geteilte Meinungen", berichtet Schweitzer. Während die einen einfach lieber "die Jungs" in der anderen Gruppe sehen würden, wollten andere wegen eines netten Lehrers doch lieber zusammen bleiben. "Die Wünsche der Kinder allein können daher nicht ausschlaggebend sein - sie sind zu widersprüchlich", stellt Schweitzer fest. Insgesamt schienen den Kindern ruhige, angenehme und effektive Lernverhältnisse am wichtigsten zu sein. Biesinger setzt hinzu: "Es zeigte sich auch, dass Lehrer nicht immer richtig liegen, wenn sie meinen zu wissen, was Schüler wollen und denken." Es spreche viel dafür, den Ansatz der Kinderforschung auszuweiten.

    In unterschiedlichen Kooperationsformen wurden beim Lehrerwechsel die katholischen und evangelischen Kinder getrennt von jeweils einem Lehrer der anderen Konfession unterrichtet oder sie blieben im Klassenverband zusammen und die Lehrer wechselten. "Überraschenden Lehrerwechsel mögen die Grundschüler nicht, doch wenn jeweils angekündigt wird, wer die nächsten Stunden hält, kamen sie damit gut klar", hat Schweitzer beobachtet. Die Tübinger Wissenschaftler favorisieren jedoch eine dritte Form, das so genannte Team-teaching, bei dem jeweils ein evangelischer und ein katholischer Lehrer gemeinsam unterrichten. Die Lehrer erhielten die Vorgabe, in jedem Halbjahr ein Thema durchzunehmen, das in beiden Konfessionen eine Rolle spielt wie etwa die Taufe, und eines, das die Unterschiede in den Konfessionen deutlich macht, zum Beispiel die Erstkommunion bei den katholischen Kindern oder die Konfirmation bei den Protestanten. Es wurden auch zum Vergleich evangelische und katholische Kirchen besucht, der katholische Pfarrer zeigte seine Gewänder. "Die Kinder hatten keine Scheu zu fragen, auch wenn ihnen die Vokabeln fehlten. Der Tabernakel wurde einfach zum 'Schrank'", erklärt Biesinger. Die Lehrer haben es als Herausforderung gesehen, zum Beispiel erklären zu müssen, warum die evangelische Kirche so leer aussieht oder warum dort in der Mitte des Altars die Bibel aufgeschlagen liegt. "Manche Lehrer sagten, sie hätten sich auch gegenüber dem Kollegen anderer Konfession noch einmal überlegen müssen, warum wird dies in meiner Kirche eigentlich so gemacht?", berichtet Biesinger.

    Der katholische Theologe betont, dass für das Projekt keine zusätzlichen Stellen oder Finanzmittel benötigt wurden: "Das war keine Luxusvariante an Unterricht, wir haben mit dem gearbeitet, was vorhanden war." Ebenso wenig sei das Projekt des gemeinsamen Religionsunterrichts geeignet, an die Einsparung von Lehrern zu denken. Die Schulen haben nun die Möglichkeit, das Projekt ohne wissenschaftliche Begleitung fortzusetzen. "Vielfach gab es in den Schulen jedoch Personalwechsel, manche Lehrer wollen ein solches Projekt nicht jedes Jahr machen, aber doch bald wiederholen", sagt Schweitzer. Selbst überrascht waren die Tübinger Theologen über die hohe grundsätzliche Zustimmung der Eltern zum Religionsunterricht, die sie in einer schriftlichen Abschlussbefragung feststellten.

    Von keiner Seite habe es Bedenken gegeben, die Kinder könnten die evangelische und katholische Glaubensrichtung vermischen oder gar zur anderen Konfession übertreten wollen. "Im Gegenteil, die Kinder waren nach dem Projekt eher sicherer, wohin sie gehören", sagt Schweitzer. Auch habe der kooperative Unterricht nicht zu Streit um die "bessere" Konfession geführt. Die Tübinger Theologen wollten mit dem Projekt erreichen, dass die Gemeinsamkeiten der beiden Konfessionen gestärkt, den Unterschieden dabei aber Rechnung getragen wird. "Es ging darum, den anderen wahrzunehmen. Ich als Katholik akzeptiere, dass die evangelische Kirche anders ist und auch sein will. Daher kommen wir auch gut miteinander aus", sagt Biesinger. Schweitzer und er wollen ein ähnliches Kooperationsprojekt im Religionsunterricht mit neunten Klassen an Hauptschulen und Gymnasien wiederholen. Während die neunjährigen Kinder der dritten Klassen die unterschiedlichen Glaubenswelten kennen lernten, ohne Kritik zu üben, rechnen die Tübinger Wissenschaftler bei den neunten Klassen mit ganz neuen Fragen und Diskussionen. Vielleicht wird der kooperative Unterricht in evangelischer und katholischer Religion jedoch in Zukunft nicht mehr die Ausnahme bleiben: Biesinger und Schweitzer legen Wert darauf, schon in der Ausbildung der Religionslehrer in gemeinsamen Studienseminaren den Austausch zwischen den Pädagogen beider Konfessionen zu fördern. (6140 Zeichen)

    Nähere Informationen:
    Prof. Albert Biesinger Prof. Friedrich Schweitzer
    Katholisch-Theologische Fakultät Evangelisch-Theologische Fakultät
    Liebermeisterstr. 12 Liebermeisterstr. 12
    72076 Tübingen 72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 80 61 Tel. 0 70 71/2 97 33 16
    Fax 0 70 71/29 42 07 Fax 0 70 71/29 53 99


    Weitere Informationen:

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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