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17.07.1996 00:00

25 Jahre GhK

Bernt Armbruster Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Kassel

    Innovation, Interdisziplinaritaet, Internationalitaet

    Die Universitaet Gesamthochschule Kassel (GhK) nach 25 Jahren : Revision als Vision

    Kassel. Schon im zarten Alter von fuenfzehn Jahren hatte sie ihr Planziel erfuellt: 9461 Studenten und Studentinnen waren 1986 an der Universitaet Gesamthochschule Kassel (GhK) eingeschrieben. Als sie zwanzig wurde, war die Zahl der Studierenden bereits auf 14.839 geklettert. Die GhK wuchs wohl schneller als jedes andere Kind hessischer Bildungspolitik der Nachkriegszeit. Doch trotz des beschleunigten Reifungsprozesses blieb sie beweglich: Ihr gelang selbst der Spagat, Anerkennung in der internationalen Forschungslandschaft zu erringen, ohne Reformziele wie Offenheit des Zugangs und Durchlaessigkeit, Interdisziplinaritaet und Praxisbezug preiszugeben. In diesem Jahr wird die GhK 25. Doch es bleibt ihr wenig Zeit, sich auf dem Erreichten auszuruhen: Die Landesregierung braucht neue Entwicklungsplaene fuer Hessens Universitaeten. Angesichts schwindender finanzieller Ressourcen lautet die Vorgabe nun "Umbau statt Ausbau". Oder besser: "Revision als Vision" - so jedenfalls sieht die GhK ihre Aufgabe im Jubilaeumsjahr selbst.

    Nichts von alledem konnten die Gruender voraussehen, als sie im Oktober 1971 in Kassel die erste "integrierte Gesamthochschule" der Bundesrepublik aus der Taufe hoben. Unter dem Eindruck von Studentenrevolte, dem Willen zu einer umfassenden Bildungsreform und einem enormen Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskraeften war die Idee einer Hochschule geboren worden, die modern und leistungsfaehig, durchlaessig und praxisnah sein sollte. Chancengleichheit und ein demokratisches Bildungswesen zu verwirklichen, war der hehre Auftrag der Reformhochschule vor 25 Jahren. Zugleich verfolgten die Politiker mit der Neugruendung ein handfestes Ziel: Sie erhofften sich wirtschaftlichen Fortschritt fuer die strukturschwache Region Nordhessen.

    Schon 1958 hatte der damalige Kasseler Wirtschaftsdezernent Dr. Karl Branner deshalb eine Hochschule fuer Nordhessen gefordert. Dass es mehr als zehn Jahre brauchte, diese Forderung umzusetzen, lag wohl nicht zuletzt daran, dass Hessen mit vier Universitaeten gut versorgt schien. Ein Bedarf an zusaetzlichen Studienplaetzen bestand aus landesweiter Sicht nicht unbedingt- der Norden indes war ein weisser Fleck in der Hochschullandschaft geblieben.

    Das aenderte sich bald, nachdem Kultusminister Prof. Ludwig von Friedeburg das Projekt "Gesamthochschule Kassel" auf den Weg gebracht hatte. Das neue Angebot wurde angenommen. Die Zahl der Studierenden kletterte innerhalb von zehn Jahren von 2913 auf 7612. Bundesweit einmalige Angebote wie reformierte Lehrerausbildung, gestufte Studiengaenge, Projektstudium und ein intensiver Praxisbezug machten die GhK ueber die Grenzen Hessens und Deutschlands hinaus bekannt (siehe: Studieren in Kassel von A bis Z). Inzwischen ist der Anteil der Studierenden aus dem Ausland hoeher als im Bundesdurchschnitt: Sie stellen etwa acht Prozent, unter den Studienanfaengern ist der Anteil gar doppelt so hoch. Mehr als 85 Nationalitaeten sind vertreten.

    Neben einem regen weltweiten Austausch mit ihren 18 Partneruniversitaeten und in zahlreichen internationalen Netzwerken auf fachlicher Ebene gelang es der GhK zudem, sich in der eigenen Region fest zu verankern. Nicht zuletzt durch die Praxisphasen der Studierenden, aber auch durch eine offensive Transferstrategie in Technologie und Wirtschaft, Kultur und wissenschaftlicher Weiterbildung. Immerhin sind mehr als zwei Drittel der Studenten und Studentinnen Landeskinder, etwa die Haelfte kommt aus Nordhessen.

    Doch die GhK kostete es eine enorme Kraftanstrengung, all dies zu erreichen. Denn nicht immer bekam die junge Hochschule, was sie zum Wachsen brauchte. Die Bedeutung, die dem Bildungswesen noch Anfang der siebziger Jahre beigemessen wurde, schwand bald nach Gruendung der Reformhochschule. So mangelte es an Personal ebenso wie an geeigneten Raeumen und der technischen Ausstattung der Werkstaetten, Lehr- und Forschungslabors.

    Noch dazu war die junge Hochschule unter erschwerten Bedingungen angetreten. Neben dem Aufbau neuer Bereiche wie der Lehrerausbildung musste sie in ihren ersten Jahren eine ganze Reihe raeumlich getrennter Vorgaengereinrichtungen integrieren - darunter so traditionsreiche wie die Hochschule fuer bildende Kuenste, die auf die 1777 von Landgraf Friedrich II gegruendete Kunstakademie zurueckgeht (siehe gesonderten Beitrag), eine nur 55 Jahre juengere Ingenieurausbildung oder die traditionsreiche Agrarausbildung im nahen Witzenhausen (siehe gesonderten Beitrag). Deren Lehr- und Studienangebote musste die GhK gewissenhaft aufnehmen, zunaechst weiterfuehren und rasch zu wissenschaftlichem Niveau entwickeln. Auch die zum Teil weit verstreuten Gebaeude der verschiedenen Fachbereiche stellte erhebliche Anforderungen an die Hochschulorganisation. Zumal anfangs unklar blieb, wo das Herz der jungen Hochschule schlagen sollte. So dauerte es vierzehn Jahre, bis der Campus am Hollaendischen Platz mit neuer Bibliothek, Studentencafes, Hoersaelen und Forschungseinrichtugen eingeweiht wurde.

    Doch trotz vieler widerstreitender Verpflichtungen und bescheidener Ausstattung in den Gruenderjahren gelang es der GhK, Fuss zu fassen - mehr noch: ein eigenes Profil und eigene Ansprueche zu entwickeln, die sie inzwischen mit ihren drei leitenden Begriffen beschreibt: Innovation, Interdisziplinaritaet und Internationalitaet. Das spiegelt sich auch im Namen wider: 1993 wurde er per Konventsbeschluss in "Universitaet Gesamthochschule Kassel" geaendert. Die etwas umstaendliche Bezeichnung soll verdeutlichen, dass hier ein Lehr- und Forschungsbetrieb mit universitaerem Standard und einem modernen, offenen Studienangebot gewachsen war, das inzwischen von ueber 18.000 Studierenden genutzt wird.

    So stoesst das dem internationalen Studiensystem entsprechende "Kasseler Modell" gestufter Studiengaenge (siehe Abbildung) mit seinen aufeinander aufbauenden Einstiegsmoeglichkeiten in die Berufs- und Wissenschaftswelt in der aktuellen Hochschulreformdiskussion auf neues Interesse. So wurden neben den schon gut entwickelten Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften ab den achtziger Jahren auch die Natur- und Technikwissenschaften ausgebaut. In neuen Fachbereichs- und Institutsgebaeuden mit hochmodernen Forschungslabors entstanden gute Arbeitsbedingungen fuer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. So konnten sich auch in diesem Bereich neue wettbewerbsfaehige Forschungsschwerpunkte entwickeln.

    Die Struktur der Hochschule ermoeglichte zudem - eher als anderswo - Lehre und Forschung ueber Fachdisziplinen hinweg. Wohl auch deshalb wurden z. B. oekologische Fragestellungen, Probleme der Technikentwicklung sowie Themen der Berufs- und Arbeitswelt in Kassel fruehzeitig aufgegriffen. Aufbauend auf der Grundlagenforschung entstanden interdisziplinaere Arbeitsgruppen und Wissenschaftliche Zentren, die sich immer neuen, gesellschaftlich relevanten Fragen widmen. Der zunehmende Stellenwert der Forschung in Kassel laesst sich auch an der Hoehe der Drittmittel ablesen: 1995 kletterten sie auf 26,7 Millionen Mark und machten bereits rund dreizehn Prozent des 201 Millionen-Etats aus.

    Nachdem in diesem Fruehsommer endlich der letzte Bauzaun gefallen ist, hat die GhK im Jubilaeumsjahr auch architektonisch ihr Planziel erreicht: Mit der Vollendung das 450 Millionen Mark teuren groessten Campus der Universitaet, zuvor eine Industriebrache, ist der Aufbau in diesem Jahr vorlaeufig abgeschlossen: Ein urbanes und abwechslungsreiches Quartier unmittelbar am Stadtzentrum, das bundesweit als besonders gelungen gilt, keine Betonburg wie das noch in den Gruenderjahren flink errichtete "Aufbau- und Verfuegungszentrum" am Rande Kassels. Bestimmend ist eine postmoderne Backsteinarchitektur mit Arkadengaengen, Plaetzen und gepflasterten Wegen, deren Vielgestaltigkeit und Verspieltheit mit klaren modernen Bauten und umgenutzter Industriearchitektur spannende Kontrapunkte bildet. Die Mensa, ein lichter hoher Raum, die modernen Hoersaele und Seminarraeume entwickelten sich auch zum vielgefragten Versammlungs- und Tagungsort, seit Kassel in die Mitte der neuen Bundesrepublik gerueckt ist.

    Angesichts einer 25 Jahre waehrenden Bauphase ist es kein Wunder, dass die Aufbruchstimmung bis in die erste Haelfte der neunziger Jahre hinein blieb. Zumal sich die GhK hinsichtlich ihrer Studentenzahlen selbst uebertraf. Ein Entwicklungskonzept "GhK 2002" sah deshalb den weiteren Ausbau auf immerhin 12.000 Studienplaetze (tatsaechlich sind nach wie vor mehr als 18.000 Studierende eingeschrieben) vor. Doch nun wurden die landespolitischen Weichen vorerst anders gestellt. Zwar bleibt Kassel mit seinem Nachholbedarf als einzige hessische Universitaet vom Stellenabbau verschont. Doch an Ausbau ist angesichts knapper Haushaltsmittel derzeit nicht mehr zu denken. Fuer die GhK gilt es, neue Visionen zu entwickeln. Und dies soll auf dem Weg der Revision geschehen: Die grosse fachliche Breite der Hochschule soll nun zugunsten von Schwerpunktbildungen in Lehre und Forschung aufgegeben werden. Die Zahl der Professuren soll mittelfristig von knapp 380 auf 300 reduziert und der nur schwach ausgebaute Mittelbau gestaerkt werden.

    So ist kein Zufall, dass die GhK das Motto "Vision und Re-Vision" fuer ihr Veranstaltungsprogramm im Jubilaeumsjahr waehlte. In der Mitte ihrer zwanziger Jahre schickt sie sich an, noch einmal hart an sich selbst zu arbeiten. Ohne das bisher Erreichte aufzugeben. Kassels Universitaet der Zukunft wird deshalb keine andere sein. Nur ihr Profil wird schaerfer sein als je zuvor.

    Ruth Rabenhorst


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